Inschriftenkatalog: Rhein-Hunsrück Kreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 60: Rhein-Hunsrück-Kreis I (2004)

Nr. 71 St. Goar, Evang. Stiftskirche 1444

Beschreibung

Bauinschrift außen am östlichen Strebepfeiler der nördlichen Seitenschiffskapellen, in den obersten Sandsteinquader unter dem Wasserschlag in sieben Zeilen eingehauen. Äußerst stark verwittert, links oben und in der Mitte erheblich beschädigt, zudem dick mit roter Farbe überstrichen.

Erg. nach NN., Steintafel.

Maße: H. 35, B. 90, Bu. 3 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

Bild zur Katalognummer 71: Bauinschrift außen am östlichen Strebepfeiler der nördlichen Seitenschiffskapellen der Stiftskirche St. Goar

Thomas G. Tempel (ADW) [1/1]

  1. [Hein](n)e[r]a) war ir v(or)sta(n)de(n)b) · Diese kirch ist mit a[n]g[e]/fa(n)[ge(n)] nach sa(n)ct Mar[x]c) am neste(n) dage · da ma(n) gemeyn / [jare] zalt von c(ri)st gebv(r)t m · ccccxliiiid) dis · pylers ort · Der / [erst] stey(n) war gelacht · Vo(n) · h(e)r(n) phlips des edln macht · / In dogende wol erzog(en) · Graff vnd herr zv kaczenele(n) · /boge(n) · Dem got gebe daz ewige gut · Vnd wer sey(n) / hulfe zum buwe dut · Hans wynt werkmeister

Versmaß: Deutsche Reimverse.

Datum: 26. April 1444.

Kommentar

Abgesehen von der Beobachtung, daß die zahlreichen, in der Regel als vergrößerte Gemeine ausgeführten Versalien im gereimten Teil der Inschrift zur Kennzeichnung der Reimanfänge eingesetzt wurden, erlaubt die schlechte Erhaltung keine näheren Aussagen zur Gestaltung der Schrift. Als Worttrenner dienen unregelmäßig gesetzte kleine Quadrangeln.

Die für die Baugeschichte der heutigen Kirche1) zentrale, wohl daher schon früh abschriftlich überlieferte Inschrift bezieht sich auf die nur hier belegte Grundsteinlegung (des Langhauses) am 26. April 1444 durch den Patronatsherrn Graf Philipp d. Ä. von Katzenelnbogen2). Sie nennt in deutscher Sprache zuerst den als Vorstand der Kirche3) fungierenden (vermutlich kurz zuvor verstorbenen) Dekan Heinrich Mulner als eigentlichen Bauherrn4), dann die Datierung sowie den inschriftentragenden Pfeiler als genauen Ort des Baubeginns und endet mit der Nennung des Werkmeisters Hans Wynt. Dazwischen berichtet sie in Reimform von der Grundsteinlegung als guter Tat des Grafen Philipp, dem sie mit den anderen, die sich finanziell am Bau beteiligen, das ewige Heil in Aussicht stellt.

Vor Beginn der Arbeiten dürfte das Langhaus der romanischen Vorgängerkirche abgerissen worden sein, erhalten blieben die Krypta mit dem Grabmal des hl. Goar5) sowie Teile des Chors, beider Chorflankentürme und des Westturms. Der nur durch die Inschrift bekannte, sonst nicht bezeugte Hans Wynt war als werkmeister (magister operis) für die praktische Durchführung der Bauarbeiten zuständig. Der Neubau der Stiftskirche als stattliche dreischiffige Emporenhalle durch den 1479 verstorbenen Graf Philipp d. Ä. dürfte auch im Zusammenhang mit dem Ausbau der überhalb St. Goars gelegenen Burg Rheinfels als landesherrliche Residenz der Grafen von Katzenelnbogen zu sehen sein.

Textkritischer Apparat

  1. Heinent Knoch; Grebel; Brief; Rhein. Antiquarius; Heine(n)t NN., Pfarrkirche; NN., Steintafel. - Für diese heute fast völlig zerstörte Stelle liefern die Gewährsleute seit der Mitte des 18. Jh. eine weitgehend übereinstimmende Buchstabenfolge. Da sich aber ein Sinn nicht erkennen läßt - die Interpreation als Ortsangabe "Hier, wo ihr steht", so Kluck, Grundstein 5, ist abwegig - ist nach einer Verlesungsmöglichkeit aus dem Minuskelbestand zu fragen. Die Vertiefung über dem zweitletzten Buchstaben könnte ein Kürzungszeichen darstellen, das - wie oben vorgeschlagen - links davon ausgeführt werden kann und nicht rechts, wie NN., Pfarrkirche und NN., Steintafel nahelegen. Der letzte, durchgehend als t gelesene Buchstabe könnte mit einem r verwechselt worden sein, das sich etwa im Wort wer (zweitletztes Wort der zweitletzten Zeile) auch nicht wesentlich von einem t unterscheidet. Auch dort hat die Nähe zum oberen Bogenende des e die sonst übliche Brechung reduziert, außerdem gleicht die Fahne des r einem kurzen Balken. Vgl. zu der sich aus dieser neuen Deutung ergebenden Identifizierung unten Anm. 3.
  2. vorstande Knoch; vorstand Grebel; Rhein. Antiquarius; v(or)stand NN., Steintafel. NN., Pfarrkirche überliefert handschriftlich vsdade mit Kürzungsstrichen über v, a und e. - Eindeutig zu erkennen ist ein Punkt über dem v.
  3. S. Maria Grebel; Brief; Rhein. Antiquarius; sa(n)ct mari[e] bzw. mari[a] NN., Steintafel. - Ergänzung nach Knoch.
  4. MCCCCXLIII Clemen; M.CCCCLXIIII Knoch; Brief; Lehfeldt, Bau- und Kunstdenkmäler 627 vermerkt - ohne die Inschrift zu zitieren - "1344 von Werkmeister Hans (?) Wynt begonnen".

Anmerkungen

  1. Vgl. zum Folgenden Pauly, Stifte 149f. und Demandt, Grafen 87ff.
  2. Vgl. dazu Benrath, Stifter 3ff. und zu seinem Grabmal im Kloster Eberbach DI 43 (Rheingau-Taunus-Kreis) Nr. 256.
  3. Faßt man den bisher unverständlichen Beginn der Inschrift in dem Sinne "Heiner hat ihr (dieser Kirche) vorgestanden" auf, so läßt sich in Heinner unschwer eine deutsche Variante des Namens Heinrich (bzw. Henricus) erkennen und mit dem damaligen Dekan Heinrich Mulner identifizieren. Die Stelle wurde bislang nur von NN, Steintafel ähnlich interpretiert "Heinen war ihr Vorstand (Pfarrer?)", ohne jedoch weiterführende Vorschläge zu machen. - Die Auslegung des ersten Wortes als Namensform wird auch durch die anderen, ebenfalls in zeitgenössischen Varianten gebotenen Namen Marx für Marcus, Phlips für Philipp und Hans für Johannes unterstützt.
  4. Der bereits in Darmstadt und Neukatzenelnbogen bepfründete, seit 1422 als Kanoniker zu St. Goar bezeugte Heinrich Mulner amtierte von 1428 bis 1442 als Dekan des Stiftes und war daher für die Planung des Bauvorhabens verantwortlich. Er dürfte sein Amt aber bis Ende 1443 oder Anfang 1444 ausgeübt haben, da sein Nachfolger Friedrich erst 1444 gewählt wurde; vgl. dazu Pauly, Stifte 240.
  5. Das inschriftenlose Grabdenkmal befindet sich seit 1658 in der kath. Pfarrkirche St. Goar; vgl. dazu Nr. 395.

Nachweise

  1. Knoch, Antiquitates § 111.
  2. Grebel, St. Goar 33.
  3. Brief von 1844 an Pfarrer Hegemann (Evangelische Archivstelle Boppard, Sign. 71-3-3).
  4. NN., Pfarrkirche.
  5. Rhein. Antiquarius II 7, 135.
  6. NN., Steintafel.
  7. Knab, St. Goar 70.
  8. Clemen, Gotische Monumentalmalereien 335.
  9. Kluck, Grundstein pass.
  10. Benrath, Stifter 1.
  11. Krammes, Stiftskirche 105.
  12. Imhof, Stiftskirche 19 mit Abb.

Zitierhinweis:
DI 60, Rhein-Hunsrück-Kreis I, Nr. 71 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di060mz08k0007104.