Inschriftenkatalog: Rhein-Hunsrück Kreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 60: Rhein-Hunsrück-Kreis I (2004)

Nr. 51 Boppard, Kath. Pfarrkirche St. Severus zw. 1361 u. 1379

Beschreibung

Kelch mit Stifterinschrift des Kardinalbischofs und Propstes Johannes (de Blandiaco). Silbervergoldeter Kelch mit achtseitigem Sternfuß, darauf ein graviertes Medaillon mit erhaben ausgearbeitetem Weihekreuz (Wiederkreuz). Schaft mit durchbrochenem Maßwerk, Nodus mit rosettenbesetzen Rotuli, Kuppa wohl ergänzt1). Auf der Unterseite des Fußes im Zentrum ein achteckiges Medaillon mit ehemals emailliertem Wappenbild und weiter außen ein in zwei Zeilen umlaufendes graviertes Schriftband mit der in zwei Zeilen erhaben ausgearbeiteten Inschrift.

Maße: H. 20,5, Dm. (Kuppa) 12,8, Bu. 0,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel, erhaben.

Thomas G. Tempel (ADW) [1/2]

  1. + hu(n)c · calice(m) · donauit · nob(ilibus) · sex · cano(n)icis · bop(par)d(ie) · reu(er)end(us) · d(omi)n(u)s n(oste)ra) · io(hannes) ep(iscopu)s · sabine(n)s(is) · cardinalis p(re)p(osi)t(u)s / · s(an)c(t)i · mart(in)i · wormacien(sis)

Übersetzung:

Diesen Kelch schenkte den vornehmen sechs Kanonikern Boppards unser ehrwürdiger Herr Johannes, Kardinalbischof von Sabina (und) Propst von St. Martin in Worms.

Wappen:
Johannes de Blandiaco?2)

Kommentar

Die Buchstaben sind trotz ihrer geringen Größe exakt gearbeitet, die Oberlängen von h und l durchbrechen das Band. Der linke und der mittlere Schaft des w sind linksschräg gestellt, so daß der Eindruck eines den Städtenamen betonenden Versals entstehen könnte. Kontraktive Kürzungszeichen sind teils oberhalb teils unterhalb des Bandes plaziert, suspensive hinter dem jeweiligen Wort hochgestellt. Als Worttrenner dienen erhabene Punkte, die zwischen der Titulatur und dem Namen des Stifters durch Rosetten ersetzt werden.

Das im Jahr 1000 von Kaiser Otto III. zunächst dem Wormser Bischof übergebene Stift in Boppard3) wurde im Verlauf des 11. Jahrhunderts dem neugegründeten Wormser Stift St. Martin inkorporiert und bestand Ende des 12. Jahrhunderts lediglich aus fünf, seit 1309 aus sechs Kanonikern. Eine nachwirkende Folge dieses Übergangs zeigte sich in der spätestens seit der Mitte des 13. Jahrhunderts nachweisbaren Personalunion der Bopparder Propstei mit der von St. Martin in Worms. Da bereits 1241 auch die Bopparder Stiftskustodie mit dem zugehörigen Amtsgut dem Wormser Stift einverleibt worden war, verblieb in Boppard ein sich selbst verwaltendes Kollegium von sechs Kanonikern ohne institionell verankerte Dignität. Erschwerend kam hinzu, daß die ursprüngliche Funktion des Propstes als Leiter beider Stifte sich im Lauf der Zeit zu einer reinen Würde ohne Amtsgeschäfte wandelte, ohne Verpflichtung zur Residenz oder zum Chordienst. Weil aber die vereinigte Propstei nach wie vor mit der am besten ausgestatteten Pfründe versehen blieb, wurde es immer mehr zur Gewohnheit, daß diese Stelle nicht mehr durch die Wahl des Kapitels besetzt, sondern durch den Papst an ihm genehme Kandidaten verliehen wurde.

Diese zu erheblichen Streitigkeiten zwischen Wormser Kapitel und römischer Kurie führende Praxis brachte im Jahr 1361 auch Johannes de Blandiaco4), zunächst Bischof von Nîmes, dann Kardinalbischof von Sabina (vor Rom), in den Genuß dieser reichen Pfründe. Während seiner Amtszeit gelang es dem Wormser Kapitel, im Jahr 1375 eine Aufteilung der Bopparder Propsteipfründe je zur Hälfte zwischen dem Propst und dem Martinsstift herbeizuführen und so eine gewisse Konsolidierung zu erreichen. Ob die Stiftung des bislang in die 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts datierten Kelches5) mit dieser Maßnahme in irgendeinen Zusammenhang zu bringen ist bleibt offen, jedenfalls belegt sie eine bislang nicht bekannte Verbindung6) zwischen dem am 6. Juli 1379 verstorbenen Propst und "seinen" Bopparder Kanonikern.

Textkritischer Apparat

  1. NI(COLAUS) Kubach/Verbeek; ni(colaus) Kdm.

Anmerkungen

  1. So Jopek.
  2. Ein schreitender Hirsch.
  3. Vgl. dazu und zum Folgenden ausführlich Pauly, Stifte 30ff.
  4. Vgl. dazu und zum Folgenden Como, St. Martin 24ff. - Johannes stammte vermutlich aus dem heutigen Blandy (Dép. Seine-et-Marne).
  5. Der Bopparder Kelch gehört offensichtlich zu einer kleinen Gruppe sich in Form und Dekor stark ähnelnder Stücke aus dem Rheinland (vgl. dazu Schatzkunst Nrr. 104 und 108 sowie Fritz, Goldschmiedekunst Nr. 126 und 128), deren bisherige Datierung in die 1. H. des 14. Jh. - auch aufgrund eines weiteren vergleichbaren, 1369 datierten Kelches (vgl. dazu Schatzkunst Nr. 115) - neu zu überdenken wäre.
  6. Die bisherigen Angaben, der Kelch sei von einem "Kanoniker namens Josefus aus St. Martin in Worms" (so Jopek) gestiftet worden, beruhen ebenso auf einer Mißinterpration der Inschrift wie der von Kdm. als Nikolaus Johannes gelesene Name des Kardinals.

Nachweise

  1. Kubach/Verbeek, Denkmälerinventar I 83.
  2. Jopek, Kelch, Abb. S. 162.
  3. Kdm. Rhein-Hunsrück 2.1, 263 (die dort angeführte Abb. 158 zeigt den Kelch Nr. 266).

Zitierhinweis:
DI 60, Rhein-Hunsrück-Kreis I, Nr. 51 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di060mz08k0005100.