Inschriftenkatalog: Rhein-Hunsrück Kreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 60: Rhein-Hunsrück-Kreis I (2004)

Nr. 40 St. Goar, Evang. Stiftskirche 1350

Beschreibung

Grabplatte des Diether von Katzenelnbogen, Abt des Benediktinerklosters Prüm in der Eifel. Innen an der Südwand des südlichen Seitenschiffs zwischen Portal und westlicher Seitenkapelle auf einem Sockel vor die Wand gestellt. Große Platte aus rotem Sandstein mit oben wie unten unterbrochener Umschrift zwischen Linien, in den oberen Ecken zwei einfache Wappen. Im vertieften Feld ist der Verstorbene unter einer Kielbogenarkade in Halbrelief dargestellt, bekleidet mit Kutte, Skapulier und einer auf die Schulter reichenden, nach oben in zwei gerundete Spitzen auslaufenden Almutie1). Zu Füßen liegen ein Drache und ein Löwe. Über der vor die Brust gehaltenen rechten Hand befindet sich (anstelle des sonst üblichen Regelbuches) eine rechteckige, ehemals wohl verschließbare Nische2), die Linke umfaßt den senkrecht gestellten, in Blattwerk auslaufenden Abtsstab. Abgesehen von leichten Verwitterungsspuren und geringem Textverlust in der oberen linken Ecke befindet sich das Grabdenkmal in einem guten Zustand.

Maße: H. 227, B. 123, Bu. 6 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

Bild zur Katalognummer 40: Grabplatte des Abtes Diether von Katzenelnbogen

Heinz Straeter (GDKE Denkmalpflege) [1/1]

  1. [+] · ter · c · mille//nis an(n)is simu/l · x · quater · v · bis octobris trina da(m)pnabilisa) ip(s)a ruina abbas dy/the//rusb) / pulcher no(n) t(em)p(or)e serus mortuus · e(st) chr(ist)ec) veni peto cernat ut isted) amen ·

Übersetzung:

Im Jahr 1350 (dreimal hundert und tausend Jahre, sowie viermal zehn und zweimal fünf), am 3. Oktober ereignete sich der verdammenswerte Unfall. Der vortreffliche Abt Diether starb zu jung (nicht spät in der Zeit). Ich bitte dich, Christus, komm, damit er dich sehe, Amen.

Versmaß: Vier leoninische Hexameter4), erster einsilbig, sonst zweisilbig rein.

Wappen:
Benediktinerkloster Prüm3)Katzenelnbogen

Kommentar

Die erste erhaltene Minuskel im Bearbeitungsgebiet zeigt zum Teil etwas unsicher ausgeführte, schmucklose Buchstaben der Jahrhundertmitte, bei denen die Schäfte vielfach nicht exakt senkrecht stehen, dennoch in vielen Fällen große Übereinstimmungen zur Schrift der nur wenig älteren Tumbenplatten der Mainzer Erzbischöfe Peter von Aspelt († 1320) und Matthias von Bucheck († 1328) aufweisen5). Zwar handelt es sich hierbei größtenteils um zeitbedingte, der Buchschrift verpflichtete Erscheinungen, doch sind die Ähnlichkeiten so groß und die Unterschiede zu frühen Minuskeln anderer Gebiete so deutlich6), daß sich die Frage stellt, ob man von einer mittelrheinischen Prägung dieser Minuskel sprechen darf. Es stimmen überein: Der linke Teil des gebrochenen oberen Bogens des a ist im unteren Teil gerade verlaufend zum Schaft zurückgebogen und berührt den unteren Bogen; der obere Bogenabschnitt des c ist waagerecht umgebrochen und verhältnismäßig lang; der Bogen des h reicht weit nach links gebogen bzw. abgeknickt unter die Grundlinie; im oberen Schaftdrittel des langen s ist links ein Sporn angesetzt; der Balken des t ist sehr breit, das v spitzzulaufend. Anders als in Mainz werden hier keine Majuskel-Versalien und keine i-Striche verwendet, zudem ist der Übergang der beiden Bögen des runden s gelegentlich als Balken gestaltet, dem x fehlt der Mittelbalken. Als Worttrenner dienen unregelmäßig gesetzte Quadrangeln.

Als einer der zahlreichen Nachkommen7) aus der zweiten Ehe Graf Wilhelms I. von Katzenelnbogen mit Gräfin Adelheid von Waldeck zum geistlichen Stand bestimmt, ist Diether8) seit 1319 bzw. 1329 als Domherr zu Mainz und Trier nachweisbar, zudem seit 1327 als Inhaber von Pfarrstellen verschiedener Gemeinden. Zu Beginn des Jahres 1342 erfolgte seine Wahl zum 36. Abt des bedeutenden Benediktinerklosters Prüm in der Eifel, zu dessen wichtigsten Besitzungen auch das Stift St. Goar9) gehörte. Dort ließ Diether 1344 anstelle eines älteren Baues ein "aptey"10) genanntes Gebäude errichten, das den Prümer Äbten als zeitweiliger Sitz dienen sollte. Um ihren geistlichen Pflichten besser nachkommen zu können11), übertrugen im Jahr 1347 Abt und Konvent die Verwaltung der Abtei Prüm mit allen Hoheitsrechten dem Erzbischof Balduin von Trier und erklärten sich mit der geplanten Inkorporation12) in das Erzstift Trier einverstanden. Offenbar legte Abt Diether von Katzenelnbogen in diesem Zusammenhang sein Amt nieder und zog sich nach St. Goar zurück.

Während sich sein auf Burg Rheinfels (über St. Goar) residierender Vater im Zisterzienserkloster Eberbach im Rheingau, der damaligen Grablege des Geschlechts, beisetzen ließ13), fand seine bereits 1329 verstorbene Mutter in der damaligen Stiftskirche St. Goar ihre letzte Ruhestätte14). Dies könnte mit ein Grund dafür gewesen sein, daß sich Diether nicht in seinem ehemaligen Kloster, sondern ebenfalls in der Stiftskirche begraben ließ - vorausgesetzt, es handelt sich bei dem vorliegenden Denkmal um seine Grabplatte und nicht um ein anläßlich seines Todes von der Familie oder von den St. Goarer Stiftsherren in Auftrag gegebenes Kenotaph. Auffällig ist die ungewöhnliche, ganz der gewählten Versform unterworfene Inschrift, die eigentlich nur über ein nicht näher bezeichnetes Unglück oder einen Unfall informiert und in etwas dunklen Worten den möglicherweise damit in Verbindung stehenden Tod des Abtes mitteilt. Freilich ist nicht auszuschließen, daß dampnabilis ruina - poetisch erhöht - ebenfalls den eingetretenen Tod des Abtes am 3. Oktober 1350 bezeichnen soll, wobei es sich bei der Klage um den "zu jung" Verstorbenen sicher um einen Topos des Totenlobs handelt. Diethers sonst nicht überliefertes Todesdatum würde gut zu der Nachricht passen, daß sein Nachfolger im Prümer Abbatiat am 13. November 1350 dem Trierer Erzbischof den Treue- und Gehorsamseid leistete.

Das bislang wenig beachtete und zudem gelegentlich falsch datierte Grabdenkmal15) wurde jüngst als "deutlich schwächere(r) letzte(r) Ausklang"16) einer kleinen Gruppe17) älterer mittelrheinischer Skulpturen in Mainz, Kloster Eberbach und St. Goar bezeichnet.

Textkritischer Apparat

  1. Sic!
  2. Die Bögen des s sind rund und leicht versetzt ausgeführt.
  3. Befund xpe.
  4. Winkelmann und alle ihm folgenden überliefern fälschlich ipse.

Anmerkungen

  1. Zu dieser winterlichen, mit Pelz gefütterten, vornehmlich im 14. und 15. Jh. gebräuchlichen Kopf- und Schulterbedeckung, die auch als Teil der Chorkleidung bei Stiftsgeistlichen diente; vgl. Bock, Gewänder II 352f. mit Taf. L Fig. 8 sowie Braun, Almutie 402f. und Düll, Inschriftendenkmäler 42. - Die auffälligen runden Spitzen sind durch das sich darunter befindliche Birett zu erklären.
  2. Vermutlich diente sie als Reliquiendepositorium, bzw. -ostensorium; vgl. dazu den Hinweis bei aus'm Weerth und zum Vergleich die sogenannte Madonna von Kastellaun aus dem 15. Jh. mit entsprechender Vorrichtung; vgl. dazu Kdm. Rhein-Hunsrück 1, 458f. mit Abb. 400.
  3. Nimbiertes Lamm mit Kreuzesfahne. Dieses Wappen ist für Prüm erstmals auf einem 1342 verwendeten Siegel des Abtes Diether nachzuweisen; vgl. Faas, Siegel und Siegler 120.
  4. Der erste Hexameter ist folgendermaßen zu lesen: Ter centum millenis annis simul ix quater u bis.
  5. Vgl. dazu DI 2 (Mainz) Nrr. 33 und 37. - Vgl. zur Datierung vor 1340 Kessel, Sepulkralpolitik 18f.
  6. Vgl. dazu Neumüllers, Schrift und Sprache pass.
  7. Vgl. Europ. Stammtafeln NF XI Taf. 120.
  8. Vgl. zum Folgenden Demandt, Regesten I 40f. und Hollmann, Domkapitel 392f.
  9. Vgl. Pauly, Stifte 154, 169 und 207.
  10. Vgl. Knoch, Antiquitates mit dem Grundriß (ohne Paginierung beigeheftet) und Pauly, Topographie 74f. mit einer Ansicht des imposanten, erst im Jahr 1825 abgerissenen Bauwerks.
  11. So Faas, Siegel und Siegler 119.
  12. Vgl. dazu ebd. 119f. - Das merkwürdige Unternehmen schlug fehl, da Erzbischof Balduin von Trier zwar die kaiserliche, nicht jedoch die päpstliche Zustimmung einholen konnte. Dennoch ging das Stift St. Goar der Abtei Prüm langfristig verloren und gelangte als kurtrierische Pfandschaft an die bereits die Vogteirechte ausübenden Grafen von Katzenelnbogen und mit deren Aussterben 1479 an die Landgrafen von Hessen.
  13. Vgl. DI 43 (Rheingau-Taunus-Kreis) Nr. 42.
  14. Vgl. zu ihrer Grabplatte Nr. 26 und zu ihrem figürlichen, aber inschriftlosen Epitaph Kessel, Grabmäler 208f.
  15. "um 1320", so Dehio Rheinland-Pfalz 914 und Böcher 247.
  16. So Kessel, Grabmäler 215 Anm. 30.
  17. Von Suckale, Hofkunst 96ff. - ohne das vorliegende Grabdenkmal zu beachten - als Werke der "Rheinpfälzischen Werkstätten" und ihrer Nachfolger bezeichnet.

Nachweise

  1. Winkelmann, Beschreibung 117.
  2. Lucae, Graffen=Saal 187.
  3. Imhof, Chronicon Sp. 2216.
  4. Dielhelm, Rhein. Antiquarius 699.
  5. Grebel, St. Goar 35.
  6. NN., Pfarrkirche zu St. Goar.
  7. L. v. Eltester, Nachzeichnung (LHAK Best. 700,30 Nr. 753).
  8. aus'm Weerth, Grabdenkmäler 118 mit Taf. IX.
  9. V. F., Zu Heft LXIV, S. 118, der Bonner Jahrbücher, in: Monatsschrift für die Geschichte Westdeutschlands 5 (1879) 95.
  10. Demandt, Regesten I 329 Nr. 1079a.
  11. Pauly, Stifte 152.
  12. Ensgraber, Chronik 211.
  13. Böcher, Stiftskirche mit Abb. S. 247.
  14. Krammes, Stiftskirche mit Abb. S. 105.
  15. Imhof, Stiftskirche, Abb. S. 24.

Zitierhinweis:
DI 60, Rhein-Hunsrück-Kreis I, Nr. 40 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di060mz08k0004005.