Inschriftenkatalog: Rhein-Hunsrück Kreis
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 60: Rhein-Hunsrück-Kreis I (2004)
Nr. 19 Oberwesel, Kath. Pfarrkirche Unserer Lieben Frau 4.V.13.Jh.
Beschreibung
Glocke. Glockenstuhl, erste Glocke von Osten. Kleine Glocke mit einzeiliger Schulterumschrift zwischen oben fünf und unten vier Rundstegen. Zwischen den einzelnen Buchstaben große Spatien (jeweils ca. 17,5 cm) und drei zu Beginn des Textes, in der Mitte und am Ende eingefügte, völlig verwitterte Münzen. Der Schlagrand ist leicht ausgezackt. Gewicht ca. 600 kg, Schlagton g'1).
Maße: H. 80, Dm. 95, Bu. 3-4 cm.
Schriftart(en): Gotische Majuskel.
-
+2) · AVE MARIAa)3) ·
Textkritischer Apparat
- AVE MARIA GRACIA PLENA NN.; Lehfeldt.
Anmerkungen
- Angaben nach Sebastian Schritt, Glockensachverständiger in Trier, Klanganlayse vom 25. Januar 2001.
- Tatzenkreuz mit kreisförmiger Verdickung in der Mitte.
- Nach Lk 1,28.
- Vgl. DI 43 (Rheingau-Taunus-Kreis) Nrr. 16 und 17.
- Etwa geritzt, eingeschnitten oder aus Modeln gefertigt; vgl. dazu Schilling, Glocken 111f.
- Dagegen datiert Kdm. die Glocke in die erste Hälfte bzw. in die Mitte des 13. Jh. und bezeichnet die Schrift als romanische Majuskel.
- Vgl. Nr. 27.
- Zwei weitere erhaltene Glocken der Liebfrauenkirche weisen ebenfalls das Ave-Maria auf; vgl. Nrr. 42 und 62. - Denkbar ist auch ein Zusammenhang mit dem abendlichen Ave-Maria-Läuten, das sich allerdings erst im Verlauf des 15. Jh. allgemein durchsetzte; vgl. dazu DI 1 (Main-Taubergrund) Nr. 452.
Nachweise
- NN., Liebfrauenkirche 49.
- Lehfeldt, Bau- und Kunstdenkmäler 616.
- Renard, Glocken 15 mit Abb. 6, teilw. Nachzeichnung.
- Kdm. Rhein-Hunsrück 2.2, 361 mit Abb. 228.
Zitierhinweis:
DI 60, Rhein-Hunsrück-Kreis I, Nr. 19 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di060mz08k0001908.
Kommentar
Die von Hand aus Wachsfäden kunstvoll modellierten Buchstaben fallen durch ihre variantenreichen, mit ausgeprägten Zierelementen versehene Formen auf: So erscheint A zum einen mit eingerollten Schaftenden, doppelt gebogenem Balken und zwei begleitenden, beidseitig eingerollten Zierlinien am gerundeten Scheitel, zum andern mit einem Balken aus zwei sich kreuzenden Linien, dreiecksförmigen Schaftenden und zwei kleinen hakenförmig gekrümmten Zierlinien am Scheitel; das in eingerollte Zierlinien auslaufende unziale E ist geschlossen, zudem kreuzt der durchgezogene Mittelbalken einen innen liegenden Zierschaft; I erscheint mit Nodus, und R ist mit unten eingerolltem, von einem kleinen Balken überkreuztem Schaft versehen sowie mit einer S-förmigen Cauda, die am Ende ebenfalls in eine eingerollte Zierlinie ausläuft. Als Worttrenner dienen Dreipunkte. Die gerundete Oberfläche der Buchstaben ist auf die besondere Herstellungsart zurückzuführen. Aufgrund der auffallend ähnlichen Schriftformen dürfte die Glocke einem unbekannten Gießer zuzuschreiben sein, von dem im Taunus zwei weitere Glocken4) erhalten geblieben sind.
Obwohl die hier verwendete Schrift mit den in etwa gleichzeitigen, aber meist in anderer Technik5) ausgeführten gotischen Majuskeln auf Glocken nur eingeschränkt zu vergleichen ist, dürfte sie aufgrund ihrer noch ohne deutliche Schwellungen ausgeführten Formen und ihrer variantenreichen Struktur in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstanden sein. Zudem legt das bereits geschlossene E eine Datierung ins letzte Viertel des Jahrhunderts6) nahe. Da die heutige, nach 1308 erbaute Liebfrauenkirche7) frühestens mit der 1331 vollzogenen Weihe des Hochaltars liturgisch benützt werden konnte und die Fertigstellung des Westturms erst nach 1351 anzusetzen ist, dürfte die Glocke - zusammen mit einigen wenigen Gegenständen wie ein spätromanisches Taufbecken, zwei Achtecksäulen und Tonfliesen - aus der 1213 erstmals als Pfarrkirche erwähnten und 1258 zum Stift erhobenen Vorgängerkirche übernommen worden sein. Möglicherweise spielt der als Inschrift verwendete Mariengruß8) auf das unveränderte Patrozinium beider Kirchen an.