Inschriftenkatalog: Rhein-Hunsrück Kreis
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 60: Rhein-Hunsrück-Kreis I (2004)
Nr. 15 Boppard, Städtisches Museum (aus St. Severus?) E.12./A.13.Jh.
Beschreibung
Relief mit der Darstellung der Geburt Christi. Herkunft unbekannt1), vermutlich aus St. Severus stammend, der zur damaligen Zeit einzigen Pfarrkirche Boppards. Quaderförmiger, rechts unregelmäßig ausgebrochener Block aus hellem Sandstein. Oben links strohgefüllte kastenförmige Krippe mit dem gewickelten Kind; auf der Vorderseite der Krippe Beginn der Bildbeischrift in zwei Zeilen. Darunter Reste der auf einem Lager ruhenden, sich dem Kind zuwendenden Muttergottes, rechts davon Josef auf dem Boden hockend, seinen (nicht erhaltenen) Kopf in die rechte Hand gestützt. Zwischen beiden Personen setzt sich die Inschrift in vier kurzen Zeilen fort. Alle Figuren sind stark beschädigt, Maria bis zur Unkenntlichkeit. Das Fragment war vermutlich Teil einer umfangreicheren szenischen Darstellung zum Marienleben.
Maße: H. 42, B. 48, Bu. 2,2-3,2 cm.
Schriftart(en): Romanische Majuskel.
-
HA(N)C PEPE/RIa) P(RO)LE(M)b) // PAR/TVc) · N(ON) · / PASSA · / DOLOR(EM)d)
Übersetzung:
Dieses Kind habe ich geboren, (aber) bei der Geburt keinen Schmerz erlitten.
Versmaß: Ein leoninischer Hexameter, zweisilbig unrein gereimt.
Textkritischer Apparat
- Zweites E klein eingestellt.
- E klein eingestellt.
- V klein eingestellt.
- Zweites O eingestellt.
Anmerkungen
- Das Relief wird gegenwärtig in der römischen Abteilung des Museums unter dem Titel "Skulpturen aus der römischen Stadtmauer" aufbewahrt.
- Vgl. dazu den Hinweis bei Fuchs, Weiheinschriften 36.
- Kdm. bietet lediglich HAC Pc Pe RIP / PAR NN PASSA DOLOR.
- Übereinstimmender freundlicher Hinweis nach Autopsie von Herrn Dr. Theo Jülich, Darmstadt, und Herrn Prof. Dr. Dethard von Winterfeld, Mainz, am 7. September 2002.
- Maßgeblich für die Verbreitung dieser Auffassung dürfte Paschasius Radbertus (ca. 790 bis ca. 860) mit seiner Schrift "De partu virginis" gewesen sein. Später heißt es etwa bei Bernhard von Clairvaux "non solum sine pudore conceptus et partus sine dolore, sed et mater est sine corruptione" (vgl. Sermones 223), sowie um 1270 in der von Jacobus de Voragine zusammengestellten Legenda aurea (S. 50): "Es war über die Natur, daß eine Jungfrau empfing; es war über Vernunft, daß sie Gott gebar, es war über menschliche Kraft, daß sie ohne Schmerzen gebar".
- Vgl. dazu ausführlich Wilhelm, Geburt Christi 93 und 103ff. mit Abb. Taf. 1,3.
Nachweise
- Kdm. Rhein-Hunsrück 2.1, 416.
Zitierhinweis:
DI 60, Rhein-Hunsrück-Kreis I, Nr. 15 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di060mz08k0001504.
Kommentar
Die nur schwach eingetiefte Inschrift zeigt neben flachgedecktem trapezförmigem A mit geknicktem Mittelbalken und nach links überstehendem Deckbalken auch unziales A mit unter dem Knick des rechten Schaftes ansetzendem stark gebogenem linkem Schaft, durchgehend unziales E, neben kapitalem auch gebogenes L sowie R mit geschwungener Cauda. Die Sporen an den Buchstabenenden sind stark ausgeprägt; als Worttrenner dienen Punkte. Da A zwar in einigen Varianten, jedoch nicht mehr in seiner konservativen spitzen Form2) vorkommt, zugleich aber noch keine Gotisierungstendenzen wie Bogenschwellungen oder geschlossene Buchstabenformen zu erkennen sind, bietet sich eine grobe zeitliche Einordnung des bislang weder sinnvoll gelesenen noch datierten Fragments3) in die 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts an. Kunsthistorische Erwägungen erlauben eine genauere Datierung Ende des 12./Anfang des 13. Jahrhunderts4).
Die in der Inschrift thematisierte Aussage von der schmerzfreien Geburt des Jesuskindes entstammt nicht dem Neuen Testament. Sie dürfte ein früher Reflex auf mittelalterliche Erklärungsversuche der Jungfrauengeburt sein, die nicht nur die Tatsache, sondern auch die Umstände in das von Menschen nicht Faßbare rückten5). Die Darstellung der Geburt Christi mit dem in der kastenförmigen Krippe liegenden Kind, der auf einer Lagerstatt ruhenden Gottesmutter und dem nachdenklich auf dem Boden sitzenden Josef ist dem byzantinischen Bildtypus verpflichtet und in der romanischen Kunst öfter nachweisbar6).