Inschriftenkatalog: Die Inschriften des Rhein-Hunsrück-Kreises II

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 79: Rhein-Hunsrück-Kreis II (2010)

Nr. 66 Simmern, Evangelische Stephanskirche (1509) 1522

Beschreibung

Epitaph des 1509 verstorbenen Herzogs Johann I. von Pfalz-Simmern, eingelassen in die Südwand der Anna-Kapelle. Der lebensgroß und mit porträtähnlichen Zügen dargestellte Ritter steht im Harnisch mit dem Schwert in der Linken in einer von Pilastern gerahmten Rundbogenarkade, die von einer Gruppe insgesamt sechs unbezeichnete Wappen1) haltender Putten ausgefüllt wird. Weitere vier unbezeichnete Ahnenwappen befinden sich auf den Kapitellen und auf den Postamenten der Pilaster. Barhäuptig, die Hände betend gefaltet und den Blick auf den (ehemaligen) Altar gerichtet, steht Johann auf einem kauernden Löwen; das Medaillon seiner Halskette zeigt den hl. Christophorus. Im Rundbogen monumentale Datumsinschrift der Herstellung (A), verdeckt von dem Wappenensemble und deswegen kaum sichtbar. Im Sockel auf einer nach innen geschwungenen Tafel dreizeilige Grabinschrift (B), an den oberen Enden der mit Rankenornamenten verzierten Pilaster je ein Täfelchen mit dem Namen des Bildhauers (C) und dem Jahr der Herstellung (D). Das aus Weiberner Tuff und Kalkstein hergestellte Grabdenkmal wurde 1897 von dem Stuttgarter Bildhauer Karl Wüst restauriert und zuletzt 1956/57 ausgebessert2).

Maße: H. 345, B. 166, Bu. 8 (A), 4,5 (B), 2 (C, D) cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Thomas G. Tempel) [1/4]

  1. A

    ◦ ANNO ◦ D(OMI)NI ◦ M ◦ Vca) XXII ◦ M[...]AVG[.]VSb)

  2. B

    AN(NO) ◦ D(OMI)NI ◦ Mo ◦ Vcoc) ◦ IXo ◦ XXVII[A]d) ◦ DIE ◦ IA(N)VARII ◦ OBIITe) ◦ ILLVSTRIS ◦ PRI(N)=/CEPS ◦ D(OMI)N(V)S ◦ IOAN(N)ES ◦ CO(MES)f) ◦ PAL(ATINVS) ◦ RE(NI) ◦ DVX ◦ BAVARIE ◦ ET ◦ CO(MES)f) ◦ IN ◦ SPA(NHE)I(M)g) / ETATIS ◦ SVE ◦ 50 ◦ ET ◦ REGEMINIh) ◦ EIVS ◦ 28 ◦ P(ATRIS) ◦ P(IE) ◦ M(EMORIE) ◦ E(RECTVM)i)

  3. C

    IACOB(VS)

  4. D

    1 ◦ 5 ◦ 2 ◦ 2

Übersetzung:

(A) Im Jahr des Herrn 1522 (...). – (B) Im Jahr des Herrn 1509 am 27. Tag des Januars starb der durchlauchtige Fürst Herr Johann, Pfalzgraf bei Rhein, Herzog von Bayern und Graf zu Sponheim, im Alter von 50 Jahren und im 28. Jahr seiner Herrschaft. Errichtet zum frommen Gedächtnis an den Vater.

Wappen:
Pfalz-Simmern3)Sponheim (Vordere Grafschaft)
Pfalz-Simmern4)Geldern5)
Veldenz6)Kleve-Mark7)
Nassau-Saarbrücken8)Arkel9)
Burggraftum Nürnberg10)Burgund11).

Kommentar

Die feinstrichig mit schwacher Linksschrägenverstärkung und linksschräger Schattenachse bei O ausgeführte Kapitalis vermittelt auf den ersten Blick einen klassizierenden Eindruck, der durch dreiecksförmige Worttrenner und die Verwendung von Kürzungszeichen in Form langer waagerechter Striche mit Ausbuchtung nach oben verstärkt wird. Dagegen verweisen spitzes A mit einseitig nach links überstehendem Deckbalken, E mit deutlich verkürztem mittlerem und ungleichmäßig langen äußeren Balken, überbreite D und G, M mit schräggestellten Schäften, durchgehend geschlossenes P und R mit stark nach unten geschwungener Cauda auf die renaissancezeitliche Entstehung dieser Inschrift.

Der 1459 geborene Johann12) war das vierte von zehn Kindern aus der Ehe Herzog Friedrichs I. von Pfalz-Simmern mit Margarethe, Tochter Arnolds von Egmont, Herzog von Geldern, und Katharinas von Kleve. Nach dem Tod seines Vaters im November 1480 trat er die Regentschaft im Herzogtum Pfalz-Simmern an. 1481 heiratete er Johanna, Tochter Johanns II. von Nassau-Saarbrücken und seiner Frau Johanna von Loen-Heinsberg. Er legte 1486 sowohl den Grundstein zum Neubau des Rathauses als auch zur Erweiterung der damaligen Schlosskirche13) und wurde – im Unterschied zu seinen noch im Kloster Ravengiersburg begrabenen Eltern14) – als erster Vertreter der Fürstenfamilie in der neu angelegten Gruft der Kirche bestattet.

Johann II., der einzige überlebende Sohn aus dieser Ehe, folgte seinem Vater 1509 in der Regierung und gab – vielleicht anlässlich des Todes seiner Mutter 1521 – das 1522 fertiggestellte Epitaph in Auftrag (und erst 1554 das für seine Mutter15)). Ausführender Bildhauer des „qualitativ hervorragend(en)“16) Grabdenkmals war ein sich erstmals hier inschriftlich nennender IACOB(VS), den die kunsthistorische Forschung mit dem 1513 als „Jakob Kerre Byldhauwer“ in die Trierer Krämerzunft aufgenommenen und bis 1527 in Koblenz und Trier17), aber auch im Nahegebiet18), im Mittelrheintal19) und im Bereich des Hunsrücks20) arbeitenden Meister Jakob Kerre identifiziert.

Textkritischer Apparat

  1. C klein über dem V.
  2. M...AV.VS Kdm.
  3. CO klein über dem V.
  4. Ein nach unten offener Winkel sieht aus wie ein klein hochgestelltes A und zeigt so möglicherweise die feminine Genus-Variante von die an, vgl. u. a. DI 67 (Stadt Passau) Nr. 148, 162, 181, 222, 308, 316, 334, 340 (mit hochgestelltem TA zu 1509), 342, 349 (mit hochgestellte a); im Westen seltener, vgl. aber DI 70 (Stadt Trier I) Nr. 282 (1474), siehe auch folgende Anm.
  5. Das links vor dem Wort hochgestellte Zeichen gleicht einem A; es könnte, da hier sinnlos, nachträglich eingefügt sein wie ein Graffito. Dann erübrigt sich auch die Überlegung der vorhergehenden Anm.
  6. O klein dem C einbeschrieben.
  7. Wohl so nur stark und ungewöhnlich verkürzt, nicht SPA(NHE)I(M)
  8. Sic! statt REGIMINIS.
  9. Ergänzungsvorschlag, die gekürzte Setzungsformel folgt nicht einem antiken oder mittelalterlichen Vorbild.

Anmerkungen

  1. Es handelt sich zunächst um die auf zwei größere Schilde aufgeteilten Vollwappen des Verstorbenen selbst, dann vier kleinere darüber angeordnete Ahnenwappen, die durch weitere vier auf den Pilastern befindliche Wappen ergänzt werden. Die Ahnenprobe ist von unten nach oben zu lesen. Heraldisch rechts auf der Vaterseite sind die Wappen Nassau-Saarbrücken/Burggraftum Nürnberg vertauscht worden; vgl. zur Anordnung und ausführlich zur Bedeutung der einzelnen Wappen Wagner (u. a.), 500 Jahre Stephanskirche 22–25.
  2. Clemen, Wiederherstellung 65 und Kdm. 936.
  3. Pfalz-Simmern ohne Herzschild (Sponheimer Schach).
  4. Pfalz-Simmern mit Herzschild (Sponheimer Schach).
  5. Gespalten: vorne Geldern (Löwe nach links), hinten Jülich (Löwe).
  6. Ein Löwe.
  7. Gespalten: vorne Mark, hinten Kleve.
  8. Quadriert: 1/4. Nassau (im mit Schindeln bestreuten Feld ein Löwe, 2/3. Saarbrücken (im mit Kreuzchen bestreuten Feld ein Löwe).
  9. Zwei Wechselzinnenbalken.
  10. Linksgewendet, quadriert: 1/4. Nürnberg (innerhalb eines gestückten Bordes ein Löwe), 2/3. Zollern (geviert).
  11. Quadriert: 1/4. Alt-Burgund (drei heraldische Lilien), 2/3. Neu-Burgund (drei Schrägbalken).
  12. Vgl. zum Folgenden Schwennicke, Europ. Stammtafeln NF I.1 Taf. 94 sowie Wagner, Wittelsbacher 160–170.
  13. Vgl. die kopial überlieferte Bauinschrift Nr. 49.
  14. Ihre Grabdenkmäler haben sich nicht erhalten; die Inschriften wurden nicht überliefert.
  15. Vgl. Nr. 84.
  16. So Heinz/Schmid, Große Kunst 195.
  17. Vgl. zu Person und Werk Brucker, Jakob Kern pass., Groß-Morgen, Skulpturengruppen 107ff. und künftig Heinz, Jakob Kerre.
  18. Vgl. dazu DI 34 (Lkrs. Bad Kreuznach) Einleitung XXVII.
  19. Vgl. dazu DI 60 (Rhein-Hunsrück-Kreis 1) Nr. 177.
  20. Die 1538 entstandenen figürlichen Grabdenkmäler für Karl Beuser von Ingelheim in Kastellaun (Nr. 73) und Friedrich Schenk von Schmidtburg in Gemünden (Nr. 75) werden ebenfalls ihm bzw. seiner Werkstatt zugeschrieben. Von epigraphischer Seite ist dazu anzumerken, dass Charakter und Ausführung der Inschrift auf dem Epitaph für Johann keinesfalls mit denen der Inschriften auf den obengenannten Denkmälern übereinstimmen.

Nachweise

  1. Wickenburg, Thesaurus Palatinus I fol. 316v (Nachzeichnung).
  2. Acta Academiae 3, 29 (B).
  3. Andreae, Simmera Palatina 18 (B).
  4. Becker, Grabmäler 357 (B).
  5. Rhein. Antiquarius II 6, 408 (B).
  6. Rodewald, Grüfte und Inschriften 17 (B).
  7. Wagner, Simmern 87 (C, D).
  8. Faller, Stefanskirche 12 (C, D).
  9. Schellack/Wagner, Kirchen und Kapellen 43 (C, D).
  10. Kdm. Rhein-Hunsrück 1, 969f. mit Abb. 894.
  11. Drees, Gruftkapelle 11 (C, D).
  12. Brucker, Simmern im Hunsrück 7 mit Abb.
  13. Wagner/Schellack, Stephanskirche mit Abb. S. 12.
  14. Terpitz, Grabdenkmäler 329.
  15. Schmid, Grabdenkmäler 101 Abb. 3.
  16. Heinz/Schmid, Grab und Dynastie mit Abb. 7.
  17. Heinz/Schmid, Große Kunst 194 mit Abb. 1 (C, D).
  18. Kern, Simmern 37 mit Abb. (D).
  19. Meys, Memoria 712 mit Abb. 55.

Zitierhinweis:
DI 79, Rhein-Hunsrück-Kreis II, Nr. 66 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di079mz12k0006605.