Inschriftenkatalog: Die Inschriften des Rhein-Hunsrück-Kreises II

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 79: Rhein-Hunsrück-Kreis II (2010)

Nr. 150 Kastellaun, Evangelische Pfarrkirche kurz nach 1618

Beschreibung

Epitaph der Famile Viel, innen an der Wand des nördlichen Mittelschiffs befestigt. Ädikula aus hellgrauem Kalkstein, die Schrifttafeln aus Schiefer. Im Unterhang querovale, von Putten umgebene Rollwerkkartusche mit achtzeiligem Grabgedicht (C). Darüber in einer von zwei Hermenpilastern flankierten Nische Schiefertafel mit vielzeiligem Grabgedicht (A), das von einem Bibelzitat (B) beschlossen wird. Über dem mit Löwenköpfen besetzten Gebälk große Rollwerkkartusche mit dem Eheallianzwappen in einem Schild, flankiert von zwei Putten mit (verlorenen) Attributen. Schiefertafel rechts etwas beschnitten, sonst bis auf wenige Beschädigungen gut erhalten.

Maße: H. 230, B. 125, Bu. 2 cm.

Schriftart(en): Kapitalis und Fraktur (A, C), Kapitalis (B).

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Thomas G. Tempel) [1/4]

  1. A

    EPITAPHIV̈M VILEANVM QVADRV̈PLEX

    Tochter  ELISABET EICHELSTEINERIN, / GEBORNE VIELIN, / 
      Zu Castelhun bin ich geborn, 
      Zum Himmel Ward mei(n) seel erkor(n), 
      Drumb nam sie Gott vo(n) dieser Welt, 
    17 Julÿ Als man Neüntzig und sieben zehlt 
    Schnur  VRSVLA VIELIN, GEBORNE CLVSI(N) 
      Als ich gebar, Ward ich geborn 
      Ein Mutter vir Söhn erkohrn 
      Endlich hat sich mei(n) noth gewe(n)d, 
    31 (decem)brisa)  Als sich Sechs Hunert neün geend. 
    Vatter  CHRISTOPHEL VIEL, DES GERICHTS / ZV CASTELH(VN) 
      Kein frewd ich mehr auf erde(n) fi(n)d, 
      Weil ihr hin seid, mein liebe Kind. 
      Eüch folg ich, nach v(n)dt kom(m) zu ruh 
    28 Maÿ  Jm Jar Sechs hundert 10 darzu 
    Mutter  BARBARA VIELI(N) GEBORNEMERI(N) 
      Jm Wittibstand Pleib ich allei(n) 
      Wie ein from Turteltäübelei(n) 
      Bis ich im Fried mit Simeon1) 
    6 Febru(arii)  Hinfuhr 6hundert achze(h)n scho(n). 
  2. B

    APOCALŸPS CAP: 14 ◦ / SELIG SIND DIE TODTEN, DIE IN DEM / HERRE(N) STERBEN, VON NVN AN2)

  3. C

    DIE TODTEN ZV DEN / LEBENDIGEN ◦Zum sicher port Wir kom(m)en sindDa man nür eitel frewde find:Jn Christo Habe(n) wir itz frewdVndt lebn in ewiger seligkeit ◦Drumb niema(n)d vns bewine(n) sollWir lebe(n) in Gott v(n)dt v(n)s ist wol3)

Übersetzung:

(A) Das vierfältige Epitaph (der Familie) Viel.

Versmaß: Deutsche Reimverse.

Wappen:
Viel/Bäcker (gen. Schmiedebecker)4).

Kommentar

Während die gut gearbeitete Kapitalis auch aufgrund der weit ausragenden Unterlängen von E und L einen großzügigen Eindruck vermittelt, wirkt die ebenfalls gut ausgeführte, mit akzentuierten Sporen versehene Fraktur eher gedrängt, vor allem gegen Textende. Auffallend ist bei der Kapitalis die Bildung des Q mit waagerechter geschwungener Cauda mit abhängendem Ansatzstrich. Der Wechsel von Kapitalis zur Fraktur dient zur Unterscheidung der jeweiligen Überschriften vom Wortlaut der Reimverse. Worttrenner fehlen. Aufgrund der übereinstimmenden Buchstabenformen der Kapitalis mit denen auf der Grabplatte des hier inschriftlich gedachten, bereits 1610 verstorbenen Christoph Viel5) kann von einer gemeinsamen Werkstatt ausgegangen werden.

Wie die Überschrift ausweist, diente das Epitaph als Grabdenkmal für vier zwischen 1597 und 1618 verstorbene Mitglieder der seit der Mitte des 16. Jahrhunderts in Kastellaun nachweisbaren und im 17. Jahrhundert dort weit verzweigten Familie Viel6). Stammvater der Kastellauner Linie war Johann Viel, „Fielen Hennen Son“ aus Roth, der vor 1540 seine erste Ehe mit Catharina, Tochter des Kastellauner Schultheißen und Kellers Andreas Nes, geschlossen hatte. Johann war der Vater des auf dem Epitaph genannten Christoph, der seit 1568 mit Barbara, Tochter des Hans Bäcker (genannt Schmiedebecker) zu Trarbach und dessen erster Frau Clara Römer7), verheiratet war. Das Ehepaar führte das Wirtshaus „Zum Schwanen“8) in Kastellaun; Christoph war überdies Schöffe am Kastellauner Gericht.

Zwischen 1569 und 1594 wurden dem Ehepaar insgesamt zehn Kinder geboren9), von denen 1596 nur noch Elisabetha und Johannes am Leben sind. Auf dem gemeinsamen Epitaph der Familie wird dieser Kinder nur pauschal in der Inschrift des Vaters gedacht, eine eigene Inschrift erhielt nur die zuletzt verstorbene Tochter Elisabeth: Am 20. Dezember 1577 getauft, war sie seit 1596 mit Johann Ludwig Eichelsteiner verheiratet, dem damaligen Veldenzer und dann Kastellauner Münzmeister, und verstarb laut Inschrift am 17. Juli 1597, vermutlich im Wochenbett10). Bei der mit dem altdeutschen Wort Schnur11) für „Schwiegertochter“ bezeichneten Ursula, Tochter des Paul Clausen aus Traben, handelte es sich dagegen um die am 31. Dezember 1609 bzw. 1. Januar 1610 ebenfalls im Wochenbett verstorbene erste Frau des Johannes Viel12). Im Jahr 1575 als drittes Kind des oben genannten Ehepaars geboren, überlebte er alle seine Geschwister, seinen Vater und schließlich auch seine 1618 verstorbene Mutter Barbara, die noch 1615 als „alte Schwanenwirtin“ bezeichnet wird. Johannes war Bürger, Gerichtsschöffe, zeitweise sponheimischer Pastoreikeller in Kastellaun und in der Nachfolge seines Vaters Schwanenwirt in Kastellaun. Er heiratete 1611 in zweiter Ehe Maria Eschenfelder13) und dürfte zusammen mit ihr auch das Familien-Epitaph in Auftrag gegeben haben. Maria Eschenfelder war nach dem Tod ihres Mannes, der um 1632/33 starb, in zweiter Ehe mit Heinrich Wagner aus Rhens verheiratet.

Seitens der Kunstgeschichte wird der zunächst in Lauterecken (Lkrs. Kusel), dann in Meisenheim (Lkrs. Bad Kreuznach) und Simmern tätige Conrad Wohlgemuth14) als Bildhauer des Grabdenkmals bezeichnet; falls dies zutrifft, ist ihm bzw. seiner Werkstatt aus epigraphischen Gründen auch die 1610 entstandene Grabplatte für Christoph Viel zuzurechnen.

Textkritischer Apparat

  1. Befund 10bris; 31 iotbris Kdm.

Anmerkungen

  1. Anspielung auf den „Lobgesang des Simeon“ nach Lk 2,28-32.
  2. Offb 14,13.
  3. Dem Text scheint ein zeitgenössisches Kirchenlied zugrunde zu liegen, wie es fast gleichlautend auf einer Öhringer Grabplatte von 1641 verwendet worden ist, vgl. DI 73 (Hohenlohekreis) Nr. 858.
  4. Gespalten, vorne Viel, hinten Bäcker; vgl. Nr. 138.
  5. Vgl. ebd.
  6. Freundliche Hinweise von Peter Schößler, Schreiben vom 30. April 2004 und 29. März 2008 (aufgrund seiner Auswertung der Kastellauner Kirchenbücher), hier gegen die Angaben bei Pies, Bürgerbücher 366.
  7. Freundlicher Hinweis von Peter Schößler (wie Anm. 6) gegen die Angabe der Inschrift, Barbara sei eine geborene Römer gewesen (so auch Pies, Bürgerbücher 283, der sie als Tochter des Kastellauner Amtmanns Burkhard Römer bezeichnet). Dass trotz des hinsichtlich des Berufes des Vaters redenden und damit eindeutigen Familienwappens Bäcker (gen. Schmiedebecker) in der Inschrift die Großmutter Römer als Ahnennachweis genommen wurde, könnte damit zusammenhängen, dass die Familie Römer (wohl im Gegensatz zur Trarbacher Familie Bäcker gen. Schmiedebecker) ein zur damaligen Zeit in Kastellaun bekanntes und angesehenes Geschlecht war, vgl. dazu Nr. 129.
  8. Das ehemalige Gasthaus und Hotel „Zum Schwanen“ hat sich als Wohnhaus (Marktstraße 17) bis heute erhalten und gilt als Haus mit einem der „schönsten freiliegenden Fachwerke“ im Bearbeitungsgebiet; vgl. Kdm. 489f. mit Abb. 432.
  9. Vgl. dazu und zum Folgenden Schößler (wie Anm. 6) und Pies, Bürgerbücher 366.
  10. Laut Kirchenbuch ist sie am 18. Juli gestorben und am 20. Juli begraben worden.
  11. Vgl. dazu Grimm, Deutsches Wörterbuch 15, Sp. 1394ff.
  12. Im Kirchenbuch heißt es dazu „Anno 1610 den ersten Januarii ist Ursula, Johann Viehlen Haußfrauen, so den vorigen Tag ein todes Sönlein zur Weltt geboren, seliglich in Gott entschlaffen und den 3. christlich zur Erden bestattet“.
  13. Tochter des ebenfalls in Kastellaun begrabenen Gabriel Eschenfelder, vgl. Nr. 140.
  14. Vgl. zu ihm immer noch Brucker, Wohlgemuth pass., die Hinweise bei Müller-Dietrich, Neue Funde 102 sowie Einleitung Kap. 4.5.

Nachweise

  1. Brucker, Wohlgemuth mit Abb. S. 105.
  2. Kdm. Rhein-Hunsrück 1, 447–449 mit Abb. 389.
  3. Kern, Kastellaun 27f. mit Abb. S. 29 (C).

Zitierhinweis:
DI 79, Rhein-Hunsrück-Kreis II, Nr. 150 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di079mz12k0015000.