Inschriftenkatalog: Die Inschriften des Rhein-Hunsrück-Kreises II

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 79: Rhein-Hunsrück-Kreis II (2010)

Nr. 140 Kastellaun, Evangelische Pfarrkirche 1612

Beschreibung

Epitaph des landgräflich hessischen Zollbeamten Gabriel Eschenfelder, innen an der Wand des nördlichen Mittelschiffs befestigt. Ädikula aus hellgrauem Sandstein, die Schrifttafeln aus Schiefer. Im Gebälk Bibelzitat (A) in einer Zeile. Darunter in einer von zwei Pilastern mit Trophäenschmuck flankierten Nische Schiefertafel mit 18zeiliger Grabinschrift (B1), die von einem Grabgedicht (B2) beschlossen wird. Im Unterhang Rollwerkkartusche mit schlafendem Putto, dabei Totenschädel und Sanduhr. Als Bekrönung dient eine große Rollwerkkartusche mit dem Vollwappen des Verstorbenen, flankiert von zwei kauernden Löwen. Hervorstehende Teile leicht bestoßen, sonst gut erhalten.

Maße: H. 235, B. 122, Bu. 2,5 (A), 1,5 - 2,5 (B) cm.

Schriftart(en): Fraktur (A), Kapitalis (B).

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Thomas G. Tempel) [1/4]

  1. A

    Philip(er) ◦ // Christus ist mein leben v(n)d sterben ist mei(n) gewin ◦ // Cap ◦ 1 ◦ 1)

  2. B1

    D(EO) ◦ T(RINO) ◦ O(PTIMO) ◦ M(AXIMO)a) / VIROb) / AMPLISSI(M)O ET PRVDENTISSIMO ◦ / DOMINO / GABRIELI ESCHENFELDERO / BONNAE V̈BIORVM A(NN)O 1612 DIE 9 IVNIIc) / PARENTIBVS CONSVLARIBVS NATO POSTQVAM / GEBHARDO TRVCHSESIS, CVM ERNESTO BAVARO / DE EPISCOPATV DIMICANTE, MVLTA INIQVA / TVLISSET, ET HINC AD LANDGRAVIORVM / HASSIAE PRAEFECTVRAM TELONARIAM / BOPPARDIAE EVECTVS ESSET, INDEQ(VE) CVM / FAMILIA PESTIFERVM AEREM ANNO MDC / XII FVGISSET, DIE X IVNII HERNIA HIC / EXTINCTO, VIDVA MARGRETHA NETTESHEIMIA / CVM QVINQ(VE) RELICTIS LIBERIS, PIAE MEMORIAE / ET DEBITAE OBSERVANTIAE TESTIMONIVM / HOCCE PONEBANT ◦

  3. B2

    MANESd) ◦ /SINT LICET IN CINERESd) FATALI MORTE REDACTAe)ET NOSTRA HIC CAMPVSd) FLACCIDA MEMBRA TEGATf)ATTAMEN IN SVPERIS QVOD VIVAS CREDO RDEMPTORg)QVI EXTINCTIS VITAM RESTITVISSE VELIS IOBh)2)

Übersetzung:

(B1) Dem dreieinigen besten und größten Gott (geweiht). – Dem hochachtbaren und überaus klugen Mann Herrn Gabriel Eschenfelder. In Bonn im Jahr 1612 am 9. Juni3) in einer Ratsherrenfamilie geboren, hat er – als Gebhard Truchsess mit Ernst von Bayern um das Bischofsamt stritt – viel Nachteiliges erlitten und ist hernach zum Vorsteher des landgräflich hessischen Zolls zu Boppard ernannt worden und ist von da im Jahr 1612 mit seiner Familie vor der pestverseuchten Luft geflohen und hier (in Kastellaun) am 10. Juni an einem (Leisten)Bruch verstorben. Seine Witwe Margaretha Nettesheim und ihre fünf zurückbleibenden Kinder haben ihm dieses (Denkmal) als Zeugnis frommen Angedenkens und schuldiger Hochachtung anfertigen lassen. – (B2) Die Seelen der Verstorbenen: Wenn auch unsere welken Glieder durch den verhängnisvollen Tod zu Asche gemacht werden und sie hier das Feld deckt, glaube ich doch, dass du, Erlöser, im Himmel lebst, der du den Toten das Leben zurückgeben wollest. Ijob.

Versmaß: Zwei elegische Distichen (B2).

Wappen:
Eschenfelder4).

Kommentar

Die gut gearbeitete Kapitalis weist bei den Buchstaben C, E, L und Q die gleichen Schrifteigentümlichkeiten wie die einiger anderer Kastellauner Grabdenkmäler5) aus der Werkstatt Conrad Wohlgemuths auf. Gleiches gilt für die Fraktur mit ihren durch akzentuierte Sporen stark betonten Buchstabenenden und der signifikanten, durch einen hohen Bogen hergestellten Ligatur eines langen s mit einem t.

Der laut Inschrift in Bonn geborene Gabriel (II.) entstammte einer gut bezeugten rheinischen Familie6), deren Mitglieder im 16. und 17. Jahrhundert vornehmlich als Zollbeamte tätig waren. Seine Eltern waren der Bonner Gerichtsschöffe und Bürgermeister Christoph Eschenfelder und Gertrud Meckenheim, seine Großeltern Anna von Merl und Christoph (II.) Eschenfelder, seinerseits Sohn des bekannten Bopparder Zollschreibers und Humanisten Christoph Eschenfelder7). Gabriel musste – offensichtlich aufgrund des in der Inschrift thematisierten Truchsessischen Krieges8) – die Stadt Bonn verlassen und ließ sich letztlich in Boppard nieder, wo er am 25. Juni 1597 zum landgräflich hessischen Zollbeamten (sogenannter „Wartpfennig“) ernannt wurde und gleichzeitig den dortigen landgräflich hessischen Hof verliehen bekam. Verheiratet war er mit der einer angesehenen Bopparder Schöffen- und Beamtenfamilie entstammenden Margaretha Nettesheim9), mit der er fünf Kinder hatte, darunter die in Kastellaun mit dem Schwanenwirt Johann Viel10) verheiratete Tochter Maria. Bei ihr dürfte das Ehepaar im Jahr 1612 während der Pestzeit Unterschlupf gesucht und gefunden haben, und dort ist Gabriel am 9. bzw. am 10. Juni vermutlich an einem Leistenbruch verstorben.

Neben einer Grabplatte11) erhielt Gabriel ein von seiner Witwe12) in Auftrag gegebenes aufwendiges Epitaph, das sowohl aus kunsthistorischen13) als auch aus den genannten epigraphischen Gründen dem in Simmern tätigen Bildhauer Conrad Wohlgemuth zuzuschreiben ist, dem gleichen Bildhauer, der auch die Grabdenkmäler für die Familie Viel angefertigt hatte.

Textkritischer Apparat

  1. Zu ergänzen wäre S(ACRVM).
  2. D(EO) bis VIRO in deutlich größerer Schrift; diese und die folgenden drei Zeilen gestaffelt.
  3. Hier sollte das (sonst nicht überlieferte) Geburts- und nicht das Todesdatum stehen.
  4. Wort in deutlich größerer Schrift.
  5. Letztes A klein unter T gestellt.
  6. A klein unter T gestellt.
  7. Sic! statt REDEMPTOR.
  8. IOB gehört aus metrischen Gründen nicht mehr zum Pentameter.

Anmerkungen

  1. Phil 1,21.
  2. Nach Ijob 19,25.
  3. Vgl. oben Anm. c).
  4. (Eschen)Stamm mit drei gestümmelten Astansätzen.
  5. Vgl. Einleitung Kap. 5.2.
  6. Vgl. zum Folgenden Reif, Bopparder Zoll 3f., Pies, Bürgerbücher 136, Frauenberger, Bopparder Bürgerbuch 1, 172 und vor allem die freundlichen Hinweise von Peter Schößler, Brief vom 29. März 2008. – Da die Vornamen Christoph und Gabriel in der Familie häufig verwendet wurden, konnten einige genealogische Zusammenhänge bisher noch nicht befriedigend geklärt werden.
  7. Vgl. zu ihm DI 60 (Rhein-Hunsrück-Kreis 1) Nr. 194.
  8. Anlass waren der im Jahr 1583 vollzogene Konfessionswechsel des dann abgesetzten und exkommunizierten Kölner Erzbischofs Gebhard Truchsess von Waldburg und die daraus resultierenden Auseinandersetzungen mit seinem Nachfolger Ernst von Bayern. Der bis 1588 währende Krieg führte in Teilen des Kurkölner Gebietes zu erheblichen Schäden; vgl. dazu Petri, Rheinische Geschichte 2, 83–91.
  9. Vgl. zur Familie Frauenberger, Bopparder Bürgerbuch 1, 579 und DI 60 (Rhein-Hunsrück-Kreis 1) Nrn. 306 und 330.
  10. Vgl. zur Familie Nr. 150.
  11. Vgl. die vorhergehende Nr.
  12. Margaretha war spätestens seit dem 10. Oktober 1614 in zweiter Ehe mit dem in Boppard ansässigen Dr. Johann Reinhard Freinsheimer verheiratet und verstarb nach dem 3. Februar 1624.
  13. Vgl. dazu Brucker pass. und Müller-Dietrich, Neue Funde 102.

Nachweise

  1. Wickenburg, Thesaurus Palatinus II fol. 168v (Nachzeichnung).
  2. Brucker, Wohlgemuth mit Abb. S. 105.
  3. Kdm. Rhein-Hunsrück 1, 446 mit Abb. 390.
  4. Kern, Kastellaun 25.

Zitierhinweis:
DI 79, Rhein-Hunsrück-Kreis II, Nr. 140 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di079mz12k0014002.