Inschriftenkatalog: Die Inschriften des Rhein-Hunsrück-Kreises II

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 79: Rhein-Hunsrück-Kreis II (2010)

Nr. 129 Kastellaun, Evangelische Pfarrkirche 1601

Beschreibung

Epitaph des Schultheißen Franz Römer, befestigt am zweiten südlichen Pfeiler des Mittelschiffs von Osten. Ädikula aus (Weiberner) Tuffstein, die Schrifttafel aus Schiefer. Im Unterhang von zwei geflügelten Eroten begleitete querovale Rollwerkkartusche, darin ein schlafender Putto mit Sanduhr. In der von zwei allegorischen Frauengestalten flankierten Nische Schiefertafel mit achtzeilig gestaffelter Sterbeinschrift (A), gefolgt von einem Grabgedicht (B) in 24 Zeilen. Mittig über dem Gesims ein rechteckiger Aufsatz mit einem bezeichneten Vollwappen, begleitet von zwei weiteren bezeichneten Vollwappen (C), dahinter große Voluten mit Todessymbole (Totenschädel, Sanduhr, aufgedrehtes Tau) haltenden Putten. Über dem Mittelteil eine runde Volutenkartusche mit dem Wappen des Verstorbenen, darüber ein sitzender Putto mit Sanduhr. Einige vorstehende Teile der Figuren fehlen, sonst gut erhalten.

Maße: H. 210, B. 120, Bu. 1,5-2 (A, B), 1,5 (C) cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Thomas G. Tempel) [1/6]

  1. A

    EPITAPHIVMa) / SPECTATISSIMI ATQVE PRVDENTISSIMI VIRI D(OMINI)a) FRANCISCIa) / ROMERI THRORBACENSIS, CASTELLHVNENSIS OLIM PRAEFE/CTI EMERITI: QVI PLACIDE IN CHRISTO OBDORMIVIT / ANNO REPARATAE SALVTIS M. D. CI.b) 28 / NOVEMBRIS: ANNO AETATIS SVAE VNDESE=/PTVAGESIMO

  2. B

    D(EO) ◦ O(PTIMO) ◦ M(AXIMO) ◦ S(ACRVM)a) ◦ /CONDITVS HAC RECVBAT FRANCISCVS MOLLITERc) VRNA,RÖMERIANAE INTER LVMINAd) PRIMA DOMVSPATRIA ERAT VALLIS CVI MOSSELLANA, VETVSTA,QVA THRONVS EST BACCHO, RELLIGIONEc), SACER1)MATVRO PATRIAE COEPIT, QVAM DEBVIT, AEVO,SOLVERE GERMANAM CVM PIETATE FIDEM,HIC, VBI CASTELLO VETVS ESTe) COGNOMEN AB HVNNISPRAETVRAM, ANTE ANNOS, NON SINE LAVDE GERENS.QVA BENE DEFVNCTO BIS SEPTEM ET QVATVOR ANNOS,VIRTVTE AD RELIQVOS EST VIA APERTA GRADVS:QVANDO DVCVM AVSPICIIS AMBORVM ET NOMINE, RERV(M)MISSA EST ROMERI SVMMA SVB ARBITRIVM,CVRIA, ET ILLVSTRES QVAS HIC SPONHEMIDOS AEQVOIVRE TENENT PROCERES CONVENIENTER OPES.HASf) QVOQVE SIC HABVIT DIGNE FRANCIS[C](VS)g) HONORES,ESSET PRINCIPIBVS CARVS VT VSQ(VE) VIRIS.TANDE(M) EXECRANDOS FVGIENS, QVOS FRAVDE RECENTISANXERAT ANSONIIh) PRAESVLIS AVLA, MODOS,MALVIT HANC, LVSTRIS QVAM GESSERAT AMPLIVS OCTO,SPARTAM, QVAM MAGNVM DESERVISSE DEVM:QVEM PENES, AETHEREA(M) IAM NVNC TRADVCT(VS) ADAVLAM,PER MELIORA AEVVM FATA BEATVS AGIT.SALVE CARE PARENS, COELI NOVVS INCOLA; SALVEATQ(VE) HOC A NATIS PIGNVS AMORIS HABE.

  3. C
    COPPENSTEIN RODLER ZIEGELEIN 

Übersetzung:

(A) Grabinschrift2) des wohlgeachteten und fürsichtigsten Mannes, des Herrn Franz Römer aus Trarbach, im Ruhestand befindlicher einstiger Amtmann zu Kastellaun, der glücklich in Christus entschlafen ist im Jahr der Wiederherstellung des Heils 1601, am 28. November, seines Alters im 69. Jahr. – (B) Dem besten und größten Gott geweiht. – (C) Geborgen in dieser Urne ruht sanft Franz, eine der größten Leuchten des Hauses Römer. Seine Heimat war das alte Moseltal, in dem Bacchus seinen Thron hat, heilig durch die Religion. In reifem Alter begann er, wie es sich ziemt, dem Vaterland in frommer Pflichterfüllung die rechte Treue zu erweisen. Hier, wo das Kastell den alten Beinamen von den Hunnen trägt3), übte er nicht ohne Lob vor Jahren das Schultheißenamt aus. Nachdem er dieses zweimal sieben und vier Jahre lang gut verwaltet hatte, wurde ihm dank seiner Tugend der Weg zu den übrigen Rängen eröffnet, als auf Geheiß und im Namen beider Herzöge4) die oberste Leitung des Gemeinwesens der Schiedsgewalt des Römer unterstellt wurde und (ebenso) die Machtmittel, die hier die Vornehmen der Sponheimer mit gleichem Recht in geziemender Weise besitzen. Auch diese Ehrenstellung hielt Franz so würdevoll inne, dass er den Fürsten allzeit teuer war. Schließlich verweigerte er sich den fluchwürdigen Prozeßmethoden, die jüngst der Hof des römischen Bischofs5) trugvoll angeordnet hatte, und zog es vor, lieber dieses Amt6), das er länger als acht Jahre7) innegehabt hatte, aufzugeben, als sich vor dem großen Gott abzukehren. Bei dem letzteren weilt er nun, hinübergeführt zum himmlischen Palast, als ein Seliger und genießt ein besseres Schicksal. Sei gegrüßt lieber Vater, neuer Bewohner des Himmels, sei gegrüßt, und besitze dies von den Söhnen als Zeichen der Liebe8).

Versmaß: 12 Distichen (B).

Wappen:
Römer
Koppenstein, Rhodler9), Ziegelein10).

Kommentar

Die mit deutlicher Linksschrägenverstärkung ausgeführte Kapitalis zeigt entsprechend linksschräge Schattenachsen bei O und Q, ansonsten aber keine auffälligen Besonderheiten. Die vorlinierte und golden gefasste Kapitalis weist weder die Schrifteigentümlichkeiten der Trarbach-, noch der Hoffmann-, noch der Wohlgemuth-Werkstatt auf.

Franz11) war ein Sohn aus der Ehe des Jacob Römer, Wirts und Gerichtsschöffen zu Trarbach an der Mosel, und dessen Frau Anna Murer. Seit vor 1555 in erster Ehe mit der ebenfalls aus Trarbach stammenden, 1569 verstorbenen Barbara Koppensteiner12) verheiratet, amtierte Römer seit 1561 als Schultheiß und Keller zu Kastellaun. Zudem war er dort 1570/71 sowie von 1573 bis 1596 als Amtmann tätig. Schließlich fungierte Römer zwischen 1599 und 1601 als pfalz-zweibrückischer Keller auf der Burg Stadeck im heutigen Stadecken-Elsheim (bei Mainz). Am 21. August 1570 heiratete er in zweiter Ehe Elisabeth Rhodler, Witwe des Philipp Flad13) aus Kirchberg und vermutlich Tochter des pfalz-simmernschen Kanzlers Dr. Matthias Rhodler. Nach deren Tod vermählte er sich in dritter Ehe am 19. Januar 1573 mit Philippina, Tochter des Melchior Ziegelein14) aus Andernach. Mit Zustimmung der Landesherren erwarb Franz Römer 1563 das sogenannte Kastellauner Burglehen, das ein Haus am dortigen Schlossberg sowie eine jährliche Rente von einem halben Fuder Wein umfasste15). In den folgenden Jahren erhielt er zudem mehrere Weinbergslehen an der Mosel, unter anderem den „Berg zu Wehlen“16). Römer starb während eines Aufenthaltes bei seinem Sohn Philipp Otto in Dill und wurde in Kastellaun begraben.

Wie die zum Teil schwer nachvollziehbaren Angaben und die dunklen Andeutungen seiner offenbar von seinen Söhnen verantworteten Grabinschrift zu verstehen sind, ist mangels weiterer Quellen nicht immer so klar wie etwa seine 1596 durch den badischen Markgrafen Eduard Fortunatus betriebene Absetzung17). Sicher ist jedenfalls, dass Franz Römer in unterschiedlichen Funktionen höchst erfolgreich in Diensten der die frühere Grafschaft Sponheim mehr oder weniger gemeinsam regierenden kurpfälzischen und badischen Fürsten agierte18), schließlich (auch aufgrund wie auch immer gearteter Maßnahmen des Erzbischofs von Trier oder der römischen Kurie) seinen Dienst quittieren mußte und seinem evangelischen Bekenntnis treu blieb.

Die bisher vorgenommene Zuschreibung des qualitätvollen Epitaphs an eine Werkstatt „der auf die Simmerner Spätrenaissance und den Manierismus der Johann-von-Trarbach-Werkstatt folgenden Epoche des werdenden Barock“ dürfte sich weniger auf kunsthistorisch gewonnene Erkenntnisse als vielmehr auf die falsche Lesung 1628 (statt 1601) des Todesdatums zurückführen lassen19).

Textkritischer Apparat

  1. In deutlich größeren Buchstaben ausgeführt.
  2. Jahreszahl in neulateinischen Zahlzeichen ausgeführt.
  3. Zweites L klein eingestellt.
  4. Am Stein verbessert aus LVNIMA.
  5. EST klein übergeschrieben.
  6. Sic! statt HOS.
  7. Sic!
  8. Sic! statt AVSONII; vgl. den Kommentar zur Übersetzung.

Anmerkungen

  1. Der Schluss des Pentameters RELIGIONE SACER findet sich bereits bei Ovid, Fasti 3, 264; freundlicher Hinweis meines Kollegen Dr. Rüdiger Fuchs.
  2. Vgl. zur zeitgenössischen Verwendung des Begriffs Rädle, Epitaphium 308ff.
  3. Angespielt wird damit auf zeitgenössische Erklärungsversuche des mittelalterlichen Ortsnamens Castelhun aus „Castell Hunnorum“ für Kastellaun, die bereits von Sebastian Münster in seiner seit 1544 in vielen Auflagen erschienenen Cosmographia geboten wird; vgl. dazu Kdm. 425.
  4. Einer der beiden Herren war „nur“ Markgraf, vgl. unten Anm. 17.
  5. ausonius ist dichterisches Synonym für römisch oder lateinisch; gemeint ist vermutlich der römisch-katholische Bischof in Trier, wenn nicht sogar der Papst in Rom.
  6. SPARTA bedeutet hier abstrakt Aufgabe (bzw. Amt), vgl. dazu Kluge, Etymologisches Wörterbuch 720, freundlicher Hinweis von Herrn Prof. Dr. Otto Zwierlein, Schreiben vom 9. November 2009.
  7. LVSTRIS … OCTO bedeuten hier nicht vierzig (5 x 8), sondern lediglich acht Jahre, da lustrum im Spätlatein nicht nur wie sonst üblich den Zeitraum von fünf Jahren, sondern auch den Rundlauf eines einzigen Jahres bezeichnen kann; freundlicher Hinweis von Herrn Prof. Dr. Otto Zwierlein, Schreiben vom 9. November 2009. Andernfalls wäre Römer – da er zuvor bereits 18 Jahre als Amtmann fungierte – dies bereits im Alter von elf Jahren geworden.
  8. Für die Übersetzungshilfe und hilfreiche Hinweise zum Kommentar danke ich meinem Kollegen PD Dr. Michael Oberweis.
  9. Wachsender Mann, zwei Hirschstangen haltend.
  10. Ein springendes Pferd.
  11. Vgl. zum Folgenden die freundlichen Hinweise von Peter Schößler, Schreiben vom 29. März 2008; im Fall der Abstammung des Verstorbenen sind die Angaben bei Brucker, Todestag 306f. (Stammtafel) und Pies, Bürgerbücher 283 unzutreffend.
  12. Vgl. zu ihren beiden erhaltenen Grabdenkmälern Nrn. 94 und 95.
  13. Vgl. zur Familie Nr. 120.
  14. Vgl. zur Familie Reif, Zieglein von Andernach 93.
  15. Vgl. dazu Mötsch, Burg Kastellaun 54f.
  16. Vgl. Grimm, Diener 271.
  17. Römer war offensichtlich in die Auseinandersetzungen zwischen den beiden sponheimischen Gemeinsherren, dem evangelischen Herzog Karl von Birkenfeld und dem katholischen Markgrafen Eduard Fortunatus, verwickelt, die durch die erst gegen Ende des 16. Jh. im Beltheimer Gericht abgehaltenen Hexenprozesse ausgelöst wurden, die von Herzog Karl und seinem Amtmann Römer entschieden abgelehnt wurden; vgl. dazu Rummel, Hexen 39f. und 134ff.; freundlicher Hinweis von Peter Schößler (wie Anm. 11).
  18. Vgl. zur komplizierten (Reformations-)Geschichte Kastellauns in der 2. H. des 16. Jh. die Hinweise bei Schellack, Geschichte der Burg 59f.
  19. So Kdm. 450.

Nachweise

  1. Wickenburg, Thesaurus Palatinus II fol. 168r (Nachzeichnung).
  2. Brucker, Wolgemuth mit Abb. S. 105.
  3. Kdm. Rhein-Hunsrück 1, 449f. mit Abb. 388.
  4. Kern, Kastellaun 9f.

Zitierhinweis:
DI 79, Rhein-Hunsrück-Kreis II, Nr. 129 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di079mz12k0012904.