Inschriftenkatalog: Die Inschriften des Rhein-Hunsrück-Kreises II

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 79: Rhein-Hunsrück-Kreis II (2010)

Nr. 115† Simmern, ehem. Friedhofskapelle (Mühlengasse, heute Rottmannpark) 1586

Beschreibung

Zwei Tafeln eines Denkmals mit Grabinschriften für den Bildhauer Johann von Trarbach und seine Frau Gertrud Castelhun. Das 1855 „vor Kurzem … aufgefundene“ und damit erstmals textlich überlieferte, aber nicht näher beschriebene Grabdenkmal befand sich in der Kapelle (sogenannte Totenkirche) des zwischen 1564 und 1566 außerhalb der Stadt neu angelegten Friedhofes1) und gilt seit deren Abbruch im Jahr 1864 als verschollen.

Nach Becker.

  1. A

    Anno 1586 den 15 November ist in Gott verschiden der erenhaft und wolachtbare Her Johann von Trarbach gewesener Simerichera) Pfaltz-Rath und an die 22 Jar Schultes und Bildhawer allhie zu Simmern seines Alders 56 Jar

  2. B

    Anno 86 den 17 October verschidt auch in Gott die eren dugentreiche Fraw Geirdrawhta) Castellaun als weilant des obgedachten Herrn Johann von Trarbach eheliche Hausfraw ires Alders 47 Jar und liegen hie begraben. Der allmechtige Gott wolle ine und uns allen eine froliche Auferstehung verleihen. Amen.

Kommentar

Laut der vorliegenden Grabinschrift wurde Johann im Jahr 1529 oder 1530 geboren und stammte aus Trarbach an der Mosel2) (Traben-Trarbach, Lkrs. Bernkastel-Wittlich). Sein Vater war der dort als Steinmetz tätige und vielfach genannte Claus Murer, seine Mutter Agnes Koppensteiner, Tochter des zwischen 1507 und 1509 verstorbenen Jost von Koppenstein, sponheimischen Amtmanns und Landschreibers zu Trarbach. Ob der junge Johann seine Ausbildung zum Bildhauer und weitere Anregungen für seine künftigen Arbeiten in Trier oder gar in Mainz in der Werkstatt Dietrich Schros3) erhalten hat, bleibt mangels verwertbarer Quellen offen4). Erstmals urkundlich genannt wird er am 20. Oktober des Jahres 1557, als ihn Herzog Friedrich II. von Pfalz-Simmern kurz nach seinem Regierungsantritt „in ansuchung der getrewen dienst vnd vleisigen Arbeit so vnser lieber getrewer Hanns vonn Trarbach Bildthauwer weilundt dem Hochgebornen Fursten Herrn Johannsen Pfaltzgrauen beÿ Rhein (…) an etlichen werckhen gethan hatt, vnns auch hinfurcher wolthun kann vnnd soll“5) mit einem festen Gehalt in seine Dienerschaft aufnahm. In diesem Zusammenhang dürfte sich Johann in Simmern eine Wohnung6) und wohl auch eine eigene Werkstatt eingerichtet haben, in der spätestens ab 1563 bis zu seinem Tode zahlreiche bedeutende Kunstdenkmäler entstanden sind. Kurz zuvor verheiratete sich Johann mit Gertrud, der 1538 oder 1539 geborenen Tochter des pfalz-simmernschen Sekretärs Johannes Castelhun7). Aus der Ehe gingen drei Töchter und drei Söhne hervor, von denen zwei Söhne die Eltern überlebten. Beide waren allerdings nicht in der Nachfolge des Vaters als Bildhauer, vielmehr als Pfarrer und Lehrer bzw. als Münzschreiber und Spitalmeister tätig. Im Jahr 1564 wurde Johann zum Stadtschultheißen von Simmern ernannt, ein Amt, das er bis zu seinem Tod 1586 ausübte. Da Johann und seine Frau nur kurz nacheinander verstarben, ist davon auszugehen, dass beide einer damals grassierenden Seuche erlagen. Warum das Ehepaar außerhalb der Stadt in der erst wenige Jahre zuvor errichteten Totenkapelle des neuen Friedhofes und nicht in der Stephanskirche (im Kreis der anderen fürstlichen Beamten) beigesetzt wurde, bleibt offen. Zum Vormund der Kinder wurde neben dem Waisenvogt Trarbachs Mitarbeiter Hans Trapp8) ernannt, der die Simmerner Werkstatt bis zu seinem Tod 1598 weiterführte.

Das umfangreiche, der Spätrenaissance verpflichtete und niederländische Einflüsse aufnehmende Werk Johann von Trarbachs und seiner Werkstatt wurde erstmals 1921 in einer Dissertation9) ausführlich gewürdigt. Bei den Kunstwerken handelt es sich meist um ausgesprochen qualitätvolle Grabdenkmäler für Adelige und deren (teils bürgerliche) Beamte. Erstaunlicherweise erstreckte sich die Tätigkeit der Werkstatt nicht nur auf den Herrschaftsbereich der Herzöge von Pfalz-Simmern10) oder Pfalz-Zweibrücken11), sondern sie arbeitete auch – vermittelt über Empfehlungen einander bekannter bzw. verwandter südwestdeutscher Adelsfamilien – für die Markgrafen von Baden12), die Grafen von Hanau13), die Schenken von Erbach14) und die Grafen von Hohenlohe15).

Dass sich Johann bereits vor dem Jahre 1557 unter Herzog Johann II. von Pfalz-Simmern künstlerisch betätigt hat, geht aus seiner Bestallungsurkunde zweifelsfrei hervor. Unbeantwortet blieb aber bisher die Frage, ob damit ein sicherer Hinweis auf seine Tätigkeit in der Werkstatt des namentlich unbekannten, sogenannten „Meisters von Simmern“16) gegeben ist, in der zwischen 1553 und 1558/59 mindestens sechs hochwertige Grabdenkmäler für die Mitglieder des simmernschen Fürstenhauses und ihrer Beamten entstanden sind. Nachdem bereits Müller-Dietrich in einem 1967 gehaltenen Vortrag aus rein kunsthistorischen Erwägungen die Identität dieses unbekannten Meisters mit dem jungen Johann von Trarbach vertreten hatte17), weisen auch die vom Bearbeiter durchgeführten epigraphischen Analysen dieser Denkmäler – zumindest teilweise – in die gleiche Richtung18): Bei dem Epitaph der 1553 verstorbenen Pfalzgräfin Alberta von Pfalz-Simmern entspricht die Kapitalis mit leichten Abweichungen der der späteren Werkstatt des Johann von Trarbach, während die Fraktur deutlich differierende Formen zeigt. Gleiches gilt für Kapitalis und humanistische Minuskel bei dem Epitaph des 1554 verstorbenen Hieronymus Rhodler und der Memorialtafel der Familie Nastetter aus dem gleichen Jahr. Die auf dem 1554 errichteten Epitaph der Herzogin Johanna von Pfalz-Simmern verwendete humanistische Minuskel entspricht nicht der später bei Trarbach verwendeten, ebenso wenig wie die Fraktur auf dem Epitaph des 1557 verstorbenen Herzogs Johann II. Dagegen zeigt die ebenfalls auf diesem Denkmal verwendete humanistische Minuskel deutliche Übereinstimmungen mit der später bei Trarbach nachweisbaren Schrift. Gleiches gilt für die Fraktur auf dem 1558/59 fertiggestellten Epitaph der Herzogin Maria Jacobea von Pfalz-Simmern.

Es ist eher unwahrscheinlich, dass der junge Trarbach im Alter von 23 Jahren eine eigene Werkstatt begründet hat, aus der als erstes sicher nachweisbares Werk gleich das hervorragend gearbeitete Alberta-Epitaph19) hervorgegangen ist. Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass Trarbach als junger Mitarbeiter des nach wie vor unbekannten Meisters von Simmern tätig war und in den Jahren 1553 bis mindestens 1557 an diesen Denkmälern mitgearbeitet hat. Ob er danach als Hofbildhauer dessen Werkstatt übernommen oder eine eigene begründet hat, bleibt offen. Sicher ist jedenfalls, dass Trarbach bei den später in seiner Werkstatt verwendeten Schriften auf die Kapitalis der Simmerner Werkstatt zurückgegriffen hat. Bei humanistischer Minuskel und Fraktur dürfte er sich in einigen Fällen der in der Werkstatt zuletzt gebrauchten Schriftformen bedient haben.

Die Übernahme von Schriftformen aus der Lehrwerkstatt wurde schon für Trierer Bildhauer festgestellt.20)

Textkritischer Apparat

  1. Sic!

Anmerkungen

  1. Vgl. dazu Siegel, Geschichte 18f., Kdm. 1023 mit Abb. 944 (Ansicht der Friedhofs-Kapelle aus dem Jahr 1770) sowie Schellack, Rundgang 4c. – Hardt, Chronik 22 Anm. notiert bereits 1865 „Beim Abbruch dieser Kirche 1864 wurde der betreffende Leichenstein, wohin weiß der Verfasser nicht, gebracht“.
  2. Der Herkunftsname wurde noch zu Lebzeiten zum Familiennamen, laut eigener Unterschrift nennt er sich „Hannß von Drorbach“; Trarbachs eigentlicher Name wäre demnach Johann Murer (aus Trarbach) gewesen. – Vgl. zum Folgenden Kirsch, Trarbach pass.; Fröhlich, Abstammung, pass.; Brucker, Todestag mit einer genealogischen Tafel S. 307 und zuletzt zusammenfassend Baumgarten, Trarbach.
  3. Vgl. dazu Strübing 102ff.
  4. Offen bleibt ebenfalls, ob es sich bei dem 1541 in der Matrikel der erst 1527 gegründeten Marburger Universität genannten „Johannes Lapicida Trarbach. Mosell(anus)“ um unseren Johann gehandelt hat. Aus dem frühen Matrikeleintrag geht nicht hervor, ob Johannes Lapicida das dortige Pädagogium oder die Universität besucht hat; freundliche Hinweise von Peter Schößler, Schreiben vom 19. März 2009.
  5. GLAK 67/847 fol 1r (Pfälzer Kopialbuch). – Die am 20. Oktober 1557 ausgestellte und von Herzog Friedrich II. mit eigener Hand unterzeichnete Bestallungsurkunde ist bei Strübing S. 177f. im Wortlaut wiedergegeben.
  6. Vgl. den Hinweis bei Rodewald, Trarbach 13.
  7. Er verstarb 1576 und erhielt ein bescheidenes Epitaph aus der Werkstatt seines Schwiegersohnes, vgl. Nr. 100.
  8. Vgl. zu ihm Meys, Memoria 870 sowie die Zusammenstellung einiger seiner Werke in DI 34 (Lkrs. Bad Kreuznach) Nr. 367 Anm. 21.
  9. Strübing, Johann von Trarbach pass. – Die in Frankfurt eingereichte Dissertation bildet bis heute die unverzichtbare Grundlage für jede Beschäftigung mit Trarbach. Sie führt die wichtigsten Denkmäler auf und bietet im Anhang wertvolle Archivalien zur Praxis der Auftragsvergabe und zur Durchführung der Arbeiten. Allerdings liegt sie lediglich in vier maschinenschriftlichen Exemplaren vor und weist weder ein Inhaltsverzeichnis noch ein Register oder gar einen Abbildungsteil auf. Das dort zusammengestellte Werkverzeichnis umfasst etwa 20 Denkmäler, das inzwischen durch Zuschreibungen und Neufunde auf über 30 Denkmäler wesentlich vermehrt worden ist (vgl. die folgenden Anmerkungen). Daher wäre eine komplette Neuaufnahme seiner Werke, eine Zusammenstellung der Archivalien und eine daraus resultierende Neubewertung der Arbeit Johann von Trarbachs und seiner Werkstatt dringend erforderlich.
  10. Zahlreiche Denkmäler in Simmern, weitere in Kastellaun und Kirchberg; vgl. dazu Einleitung Kap. 4.5.
  11. Denkmäler in Kirn, Meisenheim und St. Johannisberg; vgl. dazu DI 34 (Lkrs. Bad Kreuznach) Einleitung XXVIIf. sowie ein Brunnen im Schloss zu Bergzabern; vgl. dazu Brucker, Brunnen pass.
  12. Denkmäler in Pforzheim und Baden-Baden; vgl. dazu DI 57 (Stadt Pforzheim) Einleitung Lf. und DI 78 (Stadt Baden-Baden und Lkrs. Rastatt) Nrn. 327, 344, 356.
  13. Denkmäler in Hanau; vgl. dazu Lübbecke, Hanau 123ff.
  14. Mehrere Denkmäler in Michelstadt; vgl. dazu DI 63 (Odenwaldkreis) Einleitung XXXVI.
  15. Denkmäler in Öhringen; vgl. dazu Ernst-Hofmann, Grabdenkmäler pass., DI 73 (Hohenlohekreis) Einleitung 68 und Brucker, Öhringer Visierung, mit Abb. der einzig erhaltenen Entwurfszeichnung eines Grabdenkmals aus der Hand Trarbachs.
  16. Vgl. dazu zuletzt Brucker, Bildhauerwerkstatt, der den bis dahin unbekannten Meister mit dem ab 1556 bzw. 1566 in Trier nachweisbaren Hans Bildhauer identifiziert (S. 34). Diese Zuschreibung kann jedoch sowohl aus kunsthistorischen als auch aus epigraphischen Gründen keinesfalls aufrechterhalten werden; vgl. dazu Fuchs, Kapitalis-Inschriften 22ff.
  17. Eine von Willy Franz geschriebene Zusammenfassung des Vortrages findet sich in LVjBll. 13 (1967) 115f. – Müller-Dietrich blieb letztlich den Beweis für seine Hypothese schuldig, da sein geplantes Buch „Grabmalskult und Fürstenbild – Ein Beitrag über Johann von Trarbach und seine Werkstatt“ nicht mehr erschienen ist. Auch seine diesbezüglichen Bemerkungen in den einzelnen Artikeln über die Grabdenkmäler im Kunstdenkmalinventarband bieten lediglich die Zuschreibungen an sich. Wie dringend eine Auseinandersetzung mit dieser Frage vor allem von kunsthistorischer Seite wäre, zeigt die bei der Behandlung der Trarbachschen Werke in Simmern getroffene Bemerkung von Heinz/Schmid, Grab und Dynastie, Anm. 73, dass sie auf dieses Problem „nicht gesondert eingehen“ können.
  18. Vgl. dazu die Schriftbeschreibungen in den entsprechenden Katalognummern sowie zusammenfassend Einleitung Kap. 5.2 bis Kap. 5.5.
  19. Vgl. Nr. 79 von 1553.
  20. Vgl. Fuchs, Kapitalis-Inschriften 29f.und DI 71 (Stadt Trier II) Kap. 5.5

Nachweise

  1. Becker, Wertheim 164.
  2. Strübing, Trarbach 276.
  3. Wagner, Simmern 152f.
  4. Wagner, Hunsrückstadt 73.
  5. Siegel, Geschichte 20.
  6. Brucker, Todestag 305.

Zitierhinweis:
DI 79, Rhein-Hunsrück-Kreis II, Nr. 115† (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di079mz12k0011503.