Inschriftenkatalog: Die Inschriften des Rhein-Hunsrück-Kreises II

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 79: Rhein-Hunsrück-Kreis II (2010)

Nr. 105 Simmern, Evangelische Stephanskirche 1581

Beschreibung

Epitaph für Margaretha Deungen und zwei ihrer Töchter, heute in der Nähe des ursprünglichen Standortes1) an der Westwand unter der Orgelempore befestigt. Hochrechteckige Kartusche aus Tuffstein, die Schrifttafeln aus Schiefer. Im Feld drei übereinander angeordnete Schiefertafeln mit jeweils zentrierten Inschriften: oben runde, über den Rand ragende Beschlagwerkkartusche mit fünfzeiliger Spruchinschrift (A), in der Mitte hochrechteckige Rollwerkkartusche mit Grabinschrift (B) in 14 Zeilen mit zwei Zeilen Datum, darunter quadratische Rollwerkkartusche mit fünfzeiligem Bibelzitat (C). Sehr breiter Rahmen, reich verziert mit Blattwerk, Masken, Löwenköpfen, Fruchtgehängen und Troddeln. In den oberen Ecken zwei ebenfalls über den Rand des Epitaphs ragende Vollwappen, unten an entsprechender Stelle Grabgerät, darüber brennende Fackeln. Das Epitaph dürfte 1897 zusammen mit anderen Grabdenkmälern von dem Stuttgarter Bildhauer Karl Wüst restauriert worden sein2).

Maße: H. 161, B. 118, Bu. 2,5 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Thomas G. Tempel) [1/6]

  1. A

    IEHOVAE, / REDEMPTO/RI VNICO, / HONOR, ET / GLORIA.

  2. B

    MARGARETHAE DEƒNGIN, / EX AVGVSTA TREVIRORVM / ORTAE, CO(N)IVGI CHARISSIMAE; / ET FILIABVS, IVLIANAE, ATQ(VE) / ALTERIa) ANONŸMAE, DVL=/CISSIMIS, QVAE EX HOC MISE=/RABILI EXILIO, IN VERA(M) EMI=/GRARV(N)T PATRIA(M), ET CARNIS / SALVTARE(M) RESURRECTIONE(M), / HOC LOCO EXPECTANT, GABRIEL SELIVS CONFLV=/ENTINVS, L(EGVM)b) DOCTOR, / CONIVNX, ET PARENS, IN / PIAM MEMORIAM F(IERI) F(ECIT)ANNO SALVTIFERI PARTVS / M. D. LXXXI.

  3. C

    BEATI MOR=/TVI, QVI IN / DOMINO MO=/RIVNTVR. / APOC. CAP. 14.3)

Übersetzung:

(A) Jehova, dem einzigen Erlöser, sei Ehre und Ruhm. – (B) Der Margaretha Deungen, gebürtig aus Trier, der teuersten Gattin, und den beiden lieblichsten Töchtern Juliane und der anderen namenlosen, welche aus dieser jämmerlichen Fremde in das wahre Vaterland ausgewandert sind und an diesem Ort die heilbringende Auferstehung des Fleisches erwarten, hat Gabriel Seel aus Koblenz, Doktor der Rechte, der Gatte und Vater, dies zum frommen Gedächtnis anfertigen lassen im Jahr der Geburt des Heilsbringers 1581. – (C) Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben.

Wappen:
SeelDeungen4).

Kommentar

Die gut ausgeführte Kapitalis weist bis auf das M mit geraden Schäften alle Merkmale der in der Werkstatt des Johann von Trarbach gebräuchlichen Schrift5) auf. Auffallend ist die reiche Verwendung von Satzzeichen.

Die um 1546 geborene Margaretha entstammt der 1545 in Trier geschlossenen Ehe des dortigen Gerichtsschöffen und Landrentmeisters Paul(inus) Deungen (auch Duynken) mit Anna Sirck6). Um 1568 heiratete Margaretha den aus Koblenz stammenden, zu dieser Zeit am Hof Herzog Reichards von Pfalz-Simmern als Regierungsrat tätigen Juristen Dr. Gabriel Seel7), den Bruder des zweiten Mannes ihrer Mutter. Aus dieser Ehe gingen der vielleicht noch 1568 oder 1569 geborene Sohn Georg, die inschriftlich erwähnte, vor 1575 geborene Tochter Juliana und die Tochter Anna Maria hervor, die den Juristen Georg Rehm aus Augsburg heiratete. Margaretha verstarb am 15. April 1581 wohl an den Folgen einer Totgeburt. Der inschriftliche Hinweis auf die jeweiligen katholischen Herkunftsorte Koblenz und Trier und die explizite Formulierung EX HOC … EXILIO dürften klare Indizien dafür sein, dass es sich bei beiden Personen um evangelische Glaubensflüchtlinge, sogenannte Exulanten, gehandelt hat8). Gabriel Seel begleitete 1569 Herzog Wolfgang von Pfalz-Zweibrücken auf seinem Frankreichfeldzug9) und diente Herzog Reichard bis 1580 als gelegentlicher Vertreter und als Gesandter bei auswärtigen Geschäften. Er verstarb am 30. Januar 1596 in Simmern, ohne daß sich von ihm ein Grabdenkmal erhalten hätte.

Wegen des „eigenartigen“ Aufbaus und des „von dem … der anderen Beamtenepitaphien so abweichend(en) Schemas wurde das von Gabriel Seel in Auftrag gegebene Epitaph lange Zeit nicht Johann von Trarbach zugeschrieben10). Es ist aber aufgrund der kunsthistorisch11) wie auch epigraphisch eindeutigen Merkmale sicher dessen Werkstatt zuzuweisen.

Textkritischer Apparat

  1. Korr. aus ALTERAE.
  2. Befund LL.

Anmerkungen

  1. „Ad portam Ecclesiae inferiorem“, so Wickenburg.
  2. Vgl. dazu Clemen, Wiederherstellung 64.
  3. Offb 14,13.
  4. Ein fünfstrahliger Stern.
  5. Vgl. dazu ausführlich Einleitung Kap. 4.5.
  6. Anna Sirck heiratete 1553 in zweiter Ehe Otto Seel (den Bruder von Gabriel Seel) und 1573 in dritter Ehe in Simmern Dr. Johann Stephan Rhodler (Nr. 98), vgl. dazu Fröhlich, Exulanten 216 und Nr. 98.
  7. Gabriel Seel wurde am 3. Mai 1564 an der juristischen Fakultät in Padua immatrikuliert, setzte seine Studien in Orléans fort, wo er 1566 zum Dr. jur. promoviert wurde; vgl. dazu und zum Folgenden umfassend Schößler, Deungen 246ff. und 260ff.
  8. Vgl. dazu den Hinweis bei Rodewald und Fröhlich, Exulanten 226.
  9. Vgl. dazu ausführlich DI 34 (Lkrs. Bad Kreuznach) Nr. 340.
  10. So Rodewald (Zitat) und Wagner.
  11. Vgl. etwa das ähnlich konzipierte Hosingen-Epitaph in Kirchberg Nr. 101.

Nachweise

  1. Wickenburg, Thesaurus Palatinus I fol. 312v.
  2. Andreae, Simmera Palatina 23.
  3. Rodewald, Grüfte und Inschriften 34.
  4. Wagner, Simmern 156.
  5. Fröhlich, Exulanten 226 (teilw.).
  6. Schellack/Wagner, Kirchen und Kapellen 51.
  7. Kdm. Rhein-Hunsrück 1, 994 mit Abb. 917.
  8. Wagner/Schellack, Evang. Stephanskirche.
  9. Kern, Simmern 41.
  10. Schößler, Deungen 262 mit Abb. 11.

Zitierhinweis:
DI 79, Rhein-Hunsrück-Kreis II, Nr. 105 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di079mz12k0010505.