Inschriftenkatalog: Die Inschriften des Rhein-Hunsrück-Kreises II

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 79: Rhein-Hunsrück-Kreis II (2010)

Nr. 101 Kirchberg, Katholische Pfarrkirche St. Michael 1577

Beschreibung

Epitaph für Katharina von Hosingen. Das ehemals im Bereich des nördlichen Seitenaltars außerhalb des Chors hängende, um 1765 zeichnerisch und textlich zuverlässig überlieferte Grabdenkmal1) befand sich seit unbekannter Zeit leicht beschädigt und in mehrere Teile zerbrochen „auf dem Speicher des katholischen Pfarrhauses in Kirchberg“2). Es wurde 1967/68 von Grund auf restauriert und an seinem heutigen Standort innen an der nördlichen Chorwand befestigt. Hochrechteckige Kartusche aus Tuffstein mit breitem reichverziertem Rahmen und kleinem halbrundem Aufsatz, in diesem eine weibliche Halbfigur mit Fruchtbündeln. Im Feld eine Roll- bzw. Beschlagwerktafel aus Schiefer mit einer durch zwei Leerzeilen dreigeteilten Grabinschrift: Die ersten vier Zeilen skizzieren den familiären Stand der Verstorbenen (A), dann folgen sieben Distichen eines Totengedichts, die zwar mit einem Stiftervermerk einsetzen, dann aber ausschließlich über die Vergänglichkeit des Lebens sinnieren (B), und schließlich die dreizeilige Sterbeinschrift (C). Oben in der Mitte des Rahmens runde Beschlagwerkkartusche mit einem unbezeichneten Vollwappen (ohne Kleinod), in der entsprechenden unteren Kartusche Totenschädel mit Knochen und Gewürm, in den Ecken des Rahmens vier bezeichnete Ahnenwappen (D). Der Rand und die verbleibenden Zwischenräume sind mit weiteren Renaissance-Motiven geschmückt: Vasen, Totenlampen, Lorbeerzweige, Löwenhäupter, Fruchtgehänge und Schlangen. Kleine Teile der Wappenbeischriften, beide untere Wappen sowie einige Architekturteile wurden ergänzt.

Maße: H. 175, B. 118,5, Bu. 1,5-3 (A-C), 2–3 (D) cm.

Schriftart(en): Humanistische Minuskel (A), rechtsgeneigte humanistische Minuskel mit Kapitalis (B), humanistische Minuskel mit Kapitalis (C), Fraktur (D).

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Thomas G. Tempel) [1/10]

  1. A

    Catharinae ab Hoising ex nobili Hoisingoru(m) / familia progenitae vxoris Clariss(imi) et Ornatiss(imi) / Viri D(omini) Ioannis Senheim quondam Cellarij / Archiep(i)s(cop)ia) Treue(rensis) (et)c(etera) Cellae Ham(m)iacae.

  2. B

    Extremi statuit Gener hoc mihi pign(us) amoris,Ne pigeat, cursu praetereunte, legas.Sed nihil inuenies, speculum nisi triste fugacis,Et fragilis vitae, dulcis amice, tuae.Discite mortales, ab imagine discite nostra:Omnia, ceu gramen, morte secante mori.Nobilitas, roburq(ue) perit, perit omne quod altu(m),Vt rosa languescens: sic perit omnis homo.Ante dei vultum, nihil est nisi fabula mundus,Quicquid et ornatus splendidioris habet.Thesaurusb) coeli, mundi splendore relicto,Foelix, qui mortis colligit ante diem.Nunc placide recubo: Nati deponite luctu(m).In CHRISTO didici iustificante mori.

  3. C

    Obiit in uera CHRISTI fiducia Anno / salutis . M . D . LXXVII . die XXVIc) . / Augusti hora . X . Pomerid(iana)d)

  4. D
    Von Hoising Wiltz [gen(annt)]e) Rottart 
    Buchen Von Esch Passhauwer Von Vlm(en) 

Übersetzung:

(A) (Grabdenkmal der) Katharina von Hosingen, Nachkommin der edlen Familie von Hosingen, der Ehefrau des hochberühmten und ehrenreichen Mannes, des Herrn Johann Senheim, ehedem Kellers des Erzbischofs von Trier usw. zu Zell im Hamm. – (B) Dies setzte mir der Schwiegersohn als Pfand der äußersten Liebe. Scheue dich nicht und lies, führt dich dein Weg hier vorbei. Aber nichts wirst du finden als einen traurigen Spiegel deines flüchtigen und zerbrechlichen Lebens, lieber Freund. Lernt, ihr Sterblichen, lernt durch unser Bild, dass alles wie ein Grashalm zugrunde geht, wenn ihn der Tod abschneidet. Der Adel und die Stärke gehen zugrunde; es stirbt alles Hohe; wie die welkende Rose, so stirbt jeder Mensch. Vor dem Angesicht Gottes ist die Welt nichts als ein Märchen, was auch immer sie an noch so glänzendem Schmuck besitzt. Glücklich, wer den Schatz des Himmels – den Glanz der Welt hinter sich lassend – schon vor dem Tag des Todes eingesammelt hat. Nun ruhe ich in Frieden: Meine Kinder, legt die Trauer ab. Ich habe gelernt, in Christus, der uns rechtfertigt, zu sterben. – (C) Sie starb im wahren Vertrauen auf Christus im Jahr des Heils 1577 am 26. August in der 10. Stunde nach Mittag.

Versmaß: Sieben elegische Distichen (B).

Wappen:
Eich3)
Hosingen4)Wiltz gen. Rottart5)
Esch (zu Burgesch)6)Passauer von Ulmen7).

Kommentar

Die in vorlinierte Zeilen gesetzte Grabinschrift ist hervorragend ausgeführt und zeigt den variantenreichen Einsatz zeitgenössischer Schriftarten. Während Kapitalis zur Hervorhebung des Namens Christi und des Datums dient, wird humanistische Minuskel für die persönlichen Angaben und die Sterbeinschrift verwendet, die durch die Rechtsneigung herausgehobene Variante dagegen für das Grabgedicht, schließlich Fraktur für die Wappenbeischriften. Auffallend ist die nur in den Distichen des Totengedichts durchgeführte Interpunktion.

Durch die Forschungen von Heinzelmann/Schößler8) konnten einige bislang ungeklärte und mit dem Epitaph zusammenhängende komplizierte historische, genealogische und heraldische Fragen erstmals befriedigend beantwortet werden. Demnach handelt es sich bei der Verstorbenen um eine Tochter aus der Ehe des 1528 im luxemburgischen Esch an der Sauer als Mannrichter nachgewiesenen Georg von Hosingen9) mit Hildegard von Wiltz gen. Rottart. Spätestens 1543 war Katharina mit dem verwitweten Johann Senheim verheiratet, dem damaligen kurtrierischen Amtskeller in Zell an der Mosel. Da dieser bereits 1557 im Alter von etwa 65 bis 67 Jahren verstorben war, verließ die Witwe Zell und wohl auch das kurtrierische Territorium; vermutlich zog sie mit ihren beiden Kindern ins damals stark lutherisch geprägte Kirchberg10). Ihren Lebensabend dürfte sie dort im Haus ihrer Tochter Margareta verbracht haben, die mit dem in Kirchberg amtierenden markgräflich badischen Truchsess Johann von Eich11) verehelicht war. Damit erklärt sich auch die zentrale Anbringung des hervorgehobenen inschriftlosen Wappens am Epitaph, das nicht das ihres Ehemannes ist und auch nicht zur Ahnenprobe der Verstorbenen gehört, vielmehr den inschriftlich zwar als Schwiegersohn erwähnten, namentlich aber nicht genannten Stifter bezeichnet.

Das äußerst qualitätvolle Epitaph mit seiner charakteristischen Mischung von Roll- und Beschlagwerk wird unter Hinweis auf das wenig später entstandene Epitaph für den Markgrafen Karl II. von Baden-Durlach12) in Pforzheim dem Simmerner Bildhauer Johann von Trarbach bzw. seiner Werkstatt zugeschrieben13). Der epigraphische Befund ergibt ein differenziertes Bild: Wenn auch die hier eingesetzten kapitalen Buchstaben nicht nur in der Ausführung, sondern auch mit ihrem breiten Duktus und deutlicher Linksschrägenverstärkung dem Kanon der Trarbach-Werkstatt entsprechen, so weichen die verwendeten Schriftformen der humanistischen Minuskel deutlich von den sonst gewohnten ab14). Damit lässt sich bei dieser Schriftart eindeutig eine zweite, in der Trarbach-Werkstatt eingesetzte Schrifttype nachweisen.

Textkritischer Apparat

  1. Sic! von üblicher Schreibweise abweichend.
  2. Sic! statt Thesaurum.
  3. Zahlzeichen nach L in kleinem Schriftgrad.
  4. Po(st)merid(ie) Heinzelmann/Schößler.
  5. Das heutige von wurde während der Restaurierung an Stelle einer Beschädigung falsch ergänzt; das korrekte gen. bieten sowohl die Würdtweinsche Epitaphiensammlung als auch Kremer/Lamey.

Anmerkungen

  1. „extra Chorum ad aram B(eatae) M(ari)ae Virg(inis)“, so die Würdtweinsche Epitaphiensammlung fol. 9r.
  2. Müller-Dietrich 100 mit Abb. S. 99 (Zustand vor der Restaurierung).
  3. Senkrechter, mit zwei waagerechten Bändern verstärkter Maueranker mit (zusätzlichem) gespitztem Mittelstab, begleitet von zwei Kreuzchen.
  4. Drei deichselförmig angeordnete Pfeile belegt mit einem Kranz.
  5. Schildhaupt, belegt mit zwei Muscheln.
  6. Zwei Balken, der obere mit drei, der untere mit zwei Kugeln belegt. – Es handelt sich hier um das 1967/68 rekonstruierte Wappen von Esch aus Bourgesch in Lothringen. Das bislang unbekannte Wappen der Buch(en) von Esch entspricht – wie Heinzelmann/Schößler 138 mit Abb. 11 erstmals nachweisen konnten – erstaunlicherweise dem Wappen der von Hosingen und bezieht sich auf einen 1398 belegten Vorfahren Peter Buch von Esch.
  7. Drei Gegenzinnenbalken. – Da es sich hier um das Wappen ihrer Urgroßmutter Maria Passauer von Ulmen, nicht um das ihrer Großmutter Katharina Keßler von Vianden handelt, müsste an dieser Stelle das Wappen der Keßler von Vianden (drei 2:1 gestellte Blätter) stehen; so Heinzelmann/Schößler 148.
  8. Vgl. zum Folgenden ausführlich Heinzelmann/Schößler pass.
  9. Namensgebend war der nahe Vianden gelegene Ort Hosingen in Luxemburg; die wie in der Inschrift auch urkundlich öfters verwendete Schreibung Hoising(en) erklärt sich aus dem nicht gesprochenen i, das lediglich als Dehnungszeichen fungiert.
  10. Vgl. dazu Faller 33f.
  11. Vgl. folgende Nr. 102.
  12. Vgl. dazu ausführlich DI 57 (Stadt Pforzheim) Nr. 192 mit Abb. 132f.
  13. Vgl. Müller-Dietrich, Neue Funde 100f.
  14. Vgl. dazu ausführlich Einleitung Kap. 5.5.

Nachweise

  1. Würdtweinsche Epitaphiensammlung fol. 9v mit schematischer Nachzeichnung fol. 9r.
  2. Würdtweinsches Epitaphienbuch 307.
  3. Kremer/Lamey, Epitaphia fol. 35v mit schematischer Nachzeichnung der Wappen.
  4. Faller, Kirchberg mit Abb. S. 32.
  5. Kdm. Rhein-Hunsrück 1, 547f. mit Abb. 490.
  6. Müller-Dietrich, Neue Funde 100 (D) mit Abb. S. 99.
  7. Wehrens, St. Michael mit Abb. S. 14.
  8. Wehrens/Wagner, Kirchberg mit Abb. 24.
  9. Heinzelmann/Schößler, Hosingen-Epitaph (teilw.).
  10. Kern, Kirchberg 12f.

Zitierhinweis:
DI 79, Rhein-Hunsrück-Kreis II, Nr. 101 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di079mz12k0010109.