Inschriftenkatalog: Die Inschriften des Rhein-Hunsrück-Kreises II

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 79: Rhein-Hunsrück-Kreis II (2010)

Nr. 84 Simmern, Evangelische Stephanskirche (1521) 1554

Beschreibung

Epitaph der 1521 verstorbenen Herzogin Johanna von Pfalz-Simmern, eingelassen in die Südwand der Anna-Kapelle. Die lebensgroß und mit porträtähnlichen Zügen dargestellte Herzogin steht mit betend gefalteten Händen in einer von Pfeilern und vorgesetzten Pilastern gerahmten Rundbogennische. Bekleidet mit Mantel und Haube ist ihr Blick auf den (ehemaligen) Altar gerichtet. Im Sockel von zwei Löwenköpfen begleitete volutengerahmte Schiefertafel mit zehnzeiliger Inschrift, an den Pilastern vier unbezeichnete Ahnenwappen, im Aufsatz zwei leere, von einem Löwen gehaltene Tondi, darüber in einer Muschelnische reliefierte Büste des segnenden Gottvaters mit Weltenkugel, bekrönt von einem Sockel (für eine verlorengegangene Figur). Das aus Tuffstein und Sandstein (Bodenplatte) gearbeitete Grabdenkmal wurde 1897 von dem Stuttgarter Bildhauer Karl Wüst restauriert1). Vor 1752 dürfte die gesamte Inschrift (mit falschem Todesdatum 1531)2) völlig neu angefertigt worden sein. Ein inzwischen verschollenes Fragment der originalen Schrifttafel ist fotografisch überliefert3), zwei weitere zusammenhängende, bis dahin unbekannte Fragmente wurden vom Bearbeiter am 26. Juli 1995 in der Gruft der Grabkapelle aufgefunden.

Erg. nach Kremer.

Maße: H. 326, B. 137, Bu. 1,5-2,5 cm.

Schriftart(en): Humanistische Minuskel.

Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Direktion Landesdenkmalpflege, Mainz (ehem. Landesamt für Denkmalpflege Rheinland-Pfalz) [1/5]

  1. [Ann]o salutis h[umanae 1521a) die ver]o 7. M[ensis May / illu]stris ac gener[osa Domina Ioan]na ex nob]ili prosapie /] Comitum de Nassau [(et) Sarb]rucken unicab) C[omitatuum /] ac dominiorum Loen et Hensberg haeres, Vxor [quon/]dam Illustriss(imi) Principis, Domini Ioannis Co(mitis) P[ala(tini)] / Rheni, Ducis Bauariae, ac C[om]itis in Spanheim / [seni]oris, quem Vidua in [m]ort(em) usq(ue) luxit, iniquis sic / [fa/tisc) exi]gentibus non sin[e multorum] lachrimis e uita [ad coe/lest]ia migrat, Cui [filius illustr]iss(imus) Princeps Ioan[nes in / ma]tre(m) pius ho[c memoriae ergo] posuit An(no) D(omi)[ni 1554]

   
Wappen4):
Nassau-Saarbrücken Loen-Heinsberg
Lothringen Diest.

Kommentar

Die sorgfältig gearbeitete humanistische Minuskel ist mit breitem Duktus ausgeführt, ihre Kapitalis-Versalien sind weit proportioniert und weisen deutliche Sporen auf. Die humanistische Minuskel entspricht nicht der auf dem Nastetter-Epitaph von 1554 verwendeten Schrift der gleichen Werkstatt. Die heute auf dem Epitaph angebrachte Kopie der Inschrift orientiert sich zwar deutlich an den Formen des Originals, ohne jedoch dessen Eigenheiten aufzuweisen.

Johanna5) wurde am 14. April 1464 als Tochter des Grafen Johann II. von Nassau-Saarbrücken und seiner ersten Frau Johanna von Loen und Heinsberg geboren. Zunächst mit Markgraf Albrecht von Baden verlobt, heiratete sie am 29. September 1481 in Heidelberg Graf Johann I. von Pfalz-Simmern, der bereits im Jahr zuvor seinem Vater Friedrich in der Regierung gefolgt war. Entschädigt durch eine überaus reiche Mitgift, verzichtete Johanna auf ihre Ansprüche als Haupterbin der bedeutenden, am Niederrhein gelegenen Heinsbergisch-Diestischen Gebiete. Vermutlich bezieht sich das in der Inschrift thematisierte „widrige Geschick“ auf den verhältnismäßig frühen Tod ihres Gatten im Jahr 15096), den sie als Witwe mit Sitz auf Schloss Starkenburg an der Mosel um zwölf Jahre überlebte. Wie er wurde auch Johanna in der Simmerner Fürstengruft beigesetzt; ihr Grabdenkmal wurde aber – aus unbekannten Gründen – erst 1554 von ihrem einzigen Sohn und damals regierenden Herzog Johann II. von Pfalz-Simmern7) noch kurz vor seinem Tod in Auftrag gegeben.

Das in „schönste(r) Renaissance“8) „außerordentlich qualitätsvoll“9) gearbeitete Epitaph gehört zu einer Reihe von sechs zwischen 1553 und 1558/59 entstandenen Simmerner Grabdenkmälern10), die einem sonst unbekannten „Meister von Simmern“ zugeschrieben werden, in dessen Werkstatt der junge Johann von Trarbach gearbeitet haben dürfte.

Textkritischer Apparat

  1. 1531 Kopie.
  2. umica Kopie.
  3. sol Kopie.

Anmerkungen

  1. Clemen, Wiederherstellung 63.
  2. In dieser Form mit der falschen Jahreszahl erstmals zwischen 1747 und 1752 durch Wickenburg überliefert; allerdings wird sie bei Kremer 1769 und in den Acta Academiae 1773 korrekt wiedergegeben.
  3. LfD Mainz, Fotoarchiv, Neg.-Nr. 11886, aufgenommen am 3. März 1971.
  4. Von unten nach oben.
  5. Vgl. zum Folgenden Schwennicke, Europ. Stammtafeln NF I.1 Taf. 63 und ausführlich Wagner, Wittelsbacher 167ff. sowie Kern, Herzoginnen 34ff.
  6. Vgl. Nr. 66.
  7. Vgl. Nr. 87.
  8. So Lehfeldt.
  9. So Heinz/Schmid, Große Kunst 197.
  10. Vgl. dazu ausführlich Einleitung Kap. 4.5.

Nachweise

  1. Wickenburg, Thesaurus Palatina 1 fol. 315r.
  2. Kremer, Beyträge 82 Anm. k.
  3. Andreae, Simmera Palatina 18.
  4. Acta Academiae III 29 (Anno bis quondam).
  5. Rhein. Antiquarius II,6 408.
  6. Lehfeldt, Bau- und Kunstdenkmäler 675f.
  7. Rodewald, Grüfte und Inschriften 18.
  8. Wagner, Stephanskirche und Grabdenkmäler, Abb. S. 61.
  9. Wagner, Simmern 87.
  10. Wagner, Hunsrückstadt, Abb. S. 71.
  11. Busley, Kunstdenkmäler Simmern 300f.
  12. Kahle, Studien, Abb. 30.
  13. Schellack/Wagner, Kirchen und Kapellen 46.
  14. Kdm. Rhein-Hunsrück 1, 973 mit Abb. 895.
  15. Wagner/Schellack, Evang. Stephanskirche mit Abb.
  16. Terpitz, Grabdenkmäler 329f.
  17. Kern, Simmern 35f. mit Abb. S. 36.
  18. Meys, Memoria 713.

Zitierhinweis:
DI 79, Rhein-Hunsrück-Kreis II, Nr. 84 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di079mz12k0008403.