Inschriftenkatalog: Die Inschriften des Rhein-Hunsrück-Kreises II

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 79: Rhein-Hunsrück-Kreis II (2010)

Nr. 81 Simmern, Evangelische Stephanskirche 1553

Beschreibung

Epitaph der Pfalzgräfin Alberta von Pfalz-Simmern, befestigt an der Wand zwischen Chorbogen und Eingang zur fürstlichen Grabkapelle. Ädikula aus Weiberner Tuffstein, Schrifttafel aus Schiefer. Im halbkreisförmigen Unterhang die elterlichen Vollwappen, gehalten von bekleideten Eroten (?) und einem Satyr. In der Sockelzone nebeneinander vier unbezeichnete, von Blütenkränzen umgebene Ahnenwappen. In der von zwei skulptierten bzw. kannelierten Halbsäulen flankierten Nische große Schiefertafel, oben Grabinschrift (A) mit siebenzeiligem Grabgedicht, darunter – getrennt durch eine Vignette – siebenzeilige, zentriert angeordnete Sterbeinschrift (B). In der Frieszone Medaillon mit der Büste eines jungen Mädchens, flankiert von zwei schräg in das Ornament der Postamente eingesetzten Täfelchen mit Jahresangabe (C). Im Gebälk vier weitere unbezeichnete, von Blütenkränzen umgebene Ahnenwappen, darüber ein kreisförmiges Medaillon mit ins Profil gestellter nimbierter Christus-Büste, umgeben von Inschrift (D) und flankiert von zwei Drachen. Als Abschluss dient ein Dreiecksgiebel mit geflügeltem Putto auf einem Wolkenband. Das Epitaph dürfte 1897 zusammen mit den anderen Grabdenkmälern von dem Stuttgarter Bildhauer Karl Wüst restauriert worden sein; vollständig erneuert ist auf jeden Fall das Christusmedaillon mit Inschrift (D)1).

Erg. nach Andreae (D).

Maße: H. 356, Br. 155, Bu. 0,5 (A), 2,5-3,5 (B), 3 (C, D) cm.

Schriftart(en): Kapitalis (A, C, D), Fraktur (B).-114

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Thomas G. Tempel) [1/14]

  1. A

    DEO OPT(IMO) MAX(IMO) S(ACRVM)a)ERGO SIC VIDEAM LABI PER VISCERA MORTEMNEC MIHI QVOD DEDERIT CLAROS FORTVNA PARENTESREGIBVS AEDITA QVOD ATAVIS PALATINAQVE DICORNON PROFVIT MISERAE MAGNVM BAIOARIA NOMEN:AST QVIA CRVDELEM CHRISTVS PER TARTARA MORTEMFREGIT, ET OBTVLERAT SVA REGNA PETENTIBVS VLTRONON QVEROR IN TENEBRIS LVCEM MOX IPSA VISVRAVIXI ANNOS ◦ XIIII ◦ MENSES ◦ XI ◦ DIES ◦ XV ◦

  2. B

    Anno Domini ◦ M ◦ D ◦ Liii ◦ Den ◦ xix ◦ / Martij Jst In Gott Verscheiden die hoch/geborne Furstin Freülein Albertab) / Pfalzgrefin bey Rheÿn Vnnd / Hertzogin Zu Baÿrn Der / selen der Almechtig ewig / got gnedig sy ◦ Amen

  3. C

    ANNO // 1553

  4. D†

    ◦ CHRISTVS ◦ IESVS ◦ REX ◦ REGVM ◦ ET ◦ DOMINVS ◦ DOMINANTIVM2)

Übersetzung:

(A) Dem besten und größten Gott geweiht. – So sehe ich denn durch meine Eingeweide den Tod gleiten und nichts hat es mir genützt, dass mir das Schicksal berühmte Eltern gegeben hat, dass ich von königlichen Ahnen abstamme und eine Pfalzgräfin genannt werde, nichts mir Armen der große Name von Bayern. Aber weil Christus den grausamen Tod durch sein Leiden (in der Unterwelt) überwunden und sein Reich den Bittenden von selbst geöffnet hat, klage ich nicht in der Finsternis, da ich bald selbst das Licht erblicken werde. – Ich habe 14 Jahre, 11 Monate, 15 Tage gelebt. – (D) Christus Jesus, König der Könige, Herr der Herrscher.

Versmaß: Sieben Hexameter (A).

Wappen:
Pfalz-Simmern3)Brandenburg-Kulmbach
PolenBrandenburg-Kulmbach
BayernÖsterreich
Nassau-SaarbrückenPfalz-Simmern4)
Baden-SponheimKatzenelnbogen.

Kommentar

Die gleichmäßig mit deutlicher Linksschrägenverstärkung ausgeführte Kapitalis hat am Zeilenanfang erhöhte Versalien und zeigt als Besonderheit C mit leicht verlängertem unterem Bogenabschnitt, E mit deutlich verlängertem unterem Balken, M mit schräggestellten Schäften und halbhoch gezogenem Mittelteil, Q mit fast senkrecht angesetzter und R mit leicht geschwungener Cauda sowie T mit schwach ausgeprägten, parallel angesetzten Sporen am Balken. Die (oberen) Bögen bei B, P und R sind verhältnismäßig klein ausgeführt. Worttrenner fehlen. Die exakt gearbeitete Fraktur besticht sowohl durch ihre opulent mit Zierlinien und Kontraschleifen geschmückten Versalien als auch durch eine gewisse Variationsfreude: So lässt sich etwa die Grundform des I-Versals bei Ist In Gott einmal aus der gotischen Majuskel und einmal aus der gotischen Minuskel herleiten, zudem wird zwischen ij mit zweitem i als i-longa (bei Martij) und y mit Trema (bei Rheÿn) unterscheiden. Während die Kapitalis, die durch die Schrägstellungen der äußeren Schäfte des M und der Cauda des R raumgreifend wirkt und – von kleinen Abweichungen abgesehen – mit der später in der Werkstatt des Johann von Trarbach verwendeten Schrift übereinstimmt, weist dagegen die Fraktur deutliche Unterschiede auf5).

Alberta6) wurde am 4. April 1538 im Schloss zu Simmern als erstes Kind von Herzog Friedrich II. von Pfalz-Simmern (seit 1559 als Friedrich III. Kurfürst von der Pfalz) und seiner Frau Maria von Brandenburg-Kulmbach geboren. Da Albertas Eltern zum Zeitpunkt ihres Todes noch in bescheidenen Verhältnissen lebten7), dürfte das für ein knapp fünfzehnjähriges Mädchen aufwendig gestaltete Epitaph von ihrem Großvater, dem damals noch regierenden Herzog Johann II. von Pfalz-Simmern, zumindest mitfinanziert worden sein: Schließlich handelte es sich bei Alberta um seine bevorzugte Enkelin, neben der er begraben werden wollte. Seine namentliche Nennung auf ihrer Sargtafel8) spricht ebenfalls für diese Annahme. Die ungewöhnliche Wendung LABI PER VISCERA MORTEM für „sterben“ geht auf Vergil zurück9) und illustriert die humanistische Gelehrsamkeit am Hof des Herzogs. Die vier Wappen in der Sockelzone beziehen sich auf Albertas Vorfahren mütterlicherseits, die im Aufsatz auf ihre Vorfahren väterlicherseits10). Bei dem Mädchenkopf dürfte es sich um ein Porträt der Verstorbenen handeln.

Das „höchst elegante“11) Epitaph eröffnet eine Reihe von insgesamt sechs zwischen 1553 und um 1558/59 geschaffenen Simmerner Grabdenkmälern, die einem sonst unbekannten „Meister von Simmern“ zugeschrieben werden12), in dessen Werkstatt der junge Johann von Trarbach gearbeitet haben dürfte.

Textkritischer Apparat

  1. DEO TER OPT. MAX. S. Büttinghausen, Oratio.
  2. Gilberta Wickenburg; Andreae.

Anmerkungen

  1. Vgl. Clemen, Wiederherstellung 64 und Kdm. 970.
  2. Offb 19,16.
  3. Pfalz-Simmern ohne Herzschild.
  4. Pfalz-Simmern mit Herzschild (Sponheim).
  5. Vgl. dazu Einleitung Kap. 5.4.
  6. Vgl. zum Folgenden Schwennicke, Europ. Stammtafeln II,1 Taf. 94f.
  7. Vgl. dazu Kern, Herzoginnen 39f.
  8. Vgl. die vorhergehende Nr.
  9. Vergil, Ciris ad Messalam 182; freundlicher Hinweis meines Kollegen PD Dr. Michael Oberweis.
  10. Vgl. dazu ausführlich Wagner, Ahnenprobe pass. sowie die Anordnung der Wappen auf dem Epitaph ihrer Schwester Anna Elisabeth in der evangelischen Stiftskirche St. Goar, vgl. DI 60 (Rhein-Hunsrück-Kreis 1) Nr. 261.
  11. So Kern, Herzoginnen 40.
  12. Vgl. Strübing, Johann von Trarbach 95, zuletzt Brucker, Simmerner Bildhauerwerkstatt pass. sowie Einleitung Kap. 4.5.

Nachweise

  1. Wickenburg, Thesaurus Palatinus I fol. 309.
  2. Acta Academiae III 32.
  3. Büttinghausen, Oratio § 6.
  4. Andreae, Simmera Palatina 22.
  5. Büttinghausen, Beyträge 72.
  6. Rhein. Antiquarius II,6 410f.
  7. Rodewald, Grüfte und Inschriften 19f.
  8. Wagner, Simmern 129.
  9. Busley, Kunstdenkmäler Simmern 303.
  10. Kahle, Studien 90 (C) mit Abb. 29.
  11. Schellack/Wagner, Kirchen und Kapellen 49.
  12. Kdm. Rhein-Hunsrück 1, 970f. mit Abb. 893.
  13. Wagner/Schellack, Evang. Stephanskirche mit Abb.
  14. Wagner, Wittelsbacher 314.
  15. Kern, Simmern 15f.
  16. Meys, Memoria 712.

Zitierhinweis:
DI 79, Rhein-Hunsrück-Kreis II, Nr. 81 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di079mz12k0008106.