Inschriftenkatalog: Die Inschriften des Rhein-Hunsrück-Kreises II
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 79: Rhein-Hunsrück-Kreis II (2010)
Nr. 42 Hirschfeld, Evangelische Pfarrkirche 1481
Beschreibung
Glocke des Meisters Clais von Echternach. Glockenstuhl, südliche Glocke1). Große Glocke mit einzeiliger Schulterumschrift (A) zwischen Rundstegen. Der Textbeginn wird durch den oberen Kreis des dreiteiligen Pilgerzeichens der Aachener Marienwallfahrt2) markiert. Auf der Flanke unterhalb des Steges sind nacheinander vier bzw. fünf weitere Pilgerzeichen angebracht: Direkt unter dem Aachener Pilgerzeichen das mit der Namensinschrift (B) bezeichnete Pilgerzeichen der Neusser Quirinus-Wallfahrt3), unterhalb des et das mit der Inschrift (C) versehene Engelweihzeichen der Wallfahrt zur Gnadenkapelle der Benediktinerabtei Einsiedeln in der Schweiz4), unterhalb des dei das mit der nur noch rudimentär erhaltenen Namensinschrift (D) bezeichnete Pilgerzeichen von Thann im Elsass mit der Darstellung des hl. Theobald5), unterhalb des von ein erheblich verändertes zweites, mit derselben Namensinschrift (E) bezeichnetes Relief des hl. Theobald6) und schließlich unterhalb des Wortendes von echternach der unbezeichnete untere Kreis des oben erwähnten Pilgerzeichens der Aachener Marienwallfahrt7). Gewicht 235 kg.
Maße: H. 75, Dm. 89, Bu. 2,8 (A), ca. 0,3 (B-E) cm.
Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien (A), gotische Minuskel (B-E).
- A
◦ o Aglaa) ◦ o Adonaib) ◦ o Alpha ◦ et ◦ o ◦ salva ◦ nos + doxa ◦ deic) + mcccclxxxi + clais ◦ von ◦ echternach ◦ gois ◦ mich
- B
s(anctvs) // qvirin//vs
- C
dis ◦ ist ◦ vn/ser ◦ frov/[wen zaichen in]d) / dem ◦ vinst/ren ◦ walt
- D
[s(anctus) te]o[baldus]e)
- E
◦ teobaldus
Übersetzung:
O Agla, o Adonai, o Alpha und O. – Der Glanz Gottes rette uns.
Abtei St. Quirin/Neuss. |
Textkritischer Apparat
- Agia Lehfeldt; AGIA Kdm. – Die Buchstabenfolge Agla ergibt sich aus den Anfangsbuchstaben des hebräischen „Attah gibbor l’olam adonai“ und lässt sich mit „Du bist mächtig in Ewigkeit, Herr“ übersetzen; vgl. dazu DI 11 (Merseburg) Nr. 8 mit Transkription des auf einer Glocke aus dem Ende des 12. Jh. verwendeten Kürzels in hebräischer Schrift sowie DI 64 (ehem. Lkrs. Querfurt) Nr. 3 mit ausführlichem Kommentar zu Herkunft und Verbreitung dieser Buchstabenfolge auf Glocken.
- ADORATE Kdm.
- salva nos dona dei Lehfeldt; SALVA NOS ANNO DNI Kdm. – Die Stelle + doxa ◦ dei + ist bei Poettgen, Trierer Glockengießer 93 Abb. 4 als Beispiel für die Schriftgestaltung des Meisters in Umzeichnung wiedergegeben, allerdings mit einer Rosette statt eines Quadrangels als Worttrenner und unter irrtümlicher Herkunftsbezeichnung aus Schauren (Lkrs. Birkenfeld).
- Die Ergänzung folgt dem von Köster, Tilman von Hachenburg 74, Abb. 28 edierten Text, der sich auf einem fast identischen originalen Model befindet (Rotterdam, Museum Boymans), der dem hier benutzten Typus B des Pilgerzeichens entspricht und eine den Buchstaben nach übereinstimmende Inschrift aufweist.
- Erg. nach Inschrift E; s. teobaldo Köster, Tilman von Hachenburg 86.
Anmerkungen
- Die Glocke wurde 1942 im Rahmen der kriegsbedingten Glockenablieferungen unter der Nr. 15/26/118 C inventarisiert.
- Bei dem Relief handelt es sich nicht um eine „Gießermarke mit dem von zwei Engeln gehaltenen h(eiligen) Rock“ (so Kdm. 171), vielmehr um den oberen Teil des ansonsten dreikreisigen Pilgerzeichens der Aachener Marienwallfahrt mit dem über eine Stange gehängten, von zwei Klerikern zur Schau gestellten Kleid Mariens; vgl. dazu und zur hier verwendeten Variante (Typus C, kleine Form) Köster, Tilman von Hachenburg 69f. mit Abb. 60. – Diese hier erstmals vorgenommene Identifizierung ist eindeutig, da noch ein kleiner Rest des oberen Abschnitts des kleinen mittleren Verbindungskreises zu erkennen ist. Der fehlende untere Kreis fand als Relief auf der Flanke der Glocke Verwendung, vgl. unten Anm. 6.
- Gerüsteter Heiliger in einer Art Ausfallschritt, eine Fahnenlanze in der Rechten, die Linke auf das Schwert gestützt, am linken Oberarm ein Tartschenschild: Schild und Lanze sind mit dem Wappen des Heiligen versehen; vgl. zu dieser Form des Pilgerzeichens (Variante 1, linkswendige Form) Köster, Tilman von Hachenburg 81 mit Abb. 48 bzw. Köster, Pilgerzeichen der Neusser Quirinus-Wallfahrt 15 mit Abb. 5 (Typus B 1, Variante B 1a).
- In einer rechteckigen, nach oben hin giebelförmig abgeschlossenen Umrahmung ist die berühmte Weihe der Kapelle durch Christus und die Engel dargestellt (vgl. dazu Köster, Tilman von Hachenburg 71f.): In der etwa die linke Hälfte des Pilgerzeichens einnehmenden Gnadenkapelle sitzt die Muttergottes mit dem Kind. Davor steht Christus, dargestellt als die Weihe vollziehender Bischof mit Krummstab und erhobenem Weihwedel, begleitet von zwei assistierenden Engeln; die Inschrift läuft in der ca. 0,45 cm breiten Einfassung um. Die für Pilgerzeichen typischen Ösen haben sich hier erhalten. Vgl. zu diesem im Mittelalter weitverbreiteten Pilgerzeichen (hier Typus B) Köster, Tilman von Hachenburg 73f. mit Abb. 27.
- Auf einem Faltstuhl mit weit ausschwingenden Lehnen sitzender Bischof, in der Linken den Stab, die Rechte zum Segensgestus erhoben, rechts und links seines Kopfes zwei Engel, die ihm die Mitra aufs Haupt setzen, zu Füßen zwei kniende Pilger, dazwischen die fast unkenntliche Namensinschrift; vgl. dazu Köster, Tilman von Hachenburg 86f. mit Abb. 37.
- Im Vergleich zum vorhergehenden Pilgerzeichen (vgl. Anm. 4) fehlen die charakteristischen Lehnen des Faltstuhls sowie mit den Engeln und den Pilgern die Assistenzfiguren, dagegen ist die Fußleiste mit der Inschrift klar ausgebildet. Offen bleibt, ob es sich hier um eine bislang unbekannte Variante des Pilgerzeichens von Thann handelt oder ob der Gießer ein originales Pilgerzeichen entsprechend verändert hat.
- Rundmedaillon mit Maria und dem Kind und der Anbetung der Heiligen Drei Könige (Typus C, kleine Form); vgl. oben Anm. 2.
- Vgl. zu ihm und zum Folgenden ausführlich Poettgen, Trierer Glockengießer 87–95 und den Kommentar zu Nr. 39.
- Vgl. dazu LThK 4 (1995) 935ff.
- Vgl. dazu die längst nicht vollständigen Beispiele aus dem 12. bis 18. Jh. bei Walter, Glockenkunde 158f. (mit Verweisen) bzw. 427. – Eine grundlegende Untersuchung dieses Phänomens steht bislang noch aus.
- Sleumer, Kirchenlateinisches Wörterbuch 80.
- Vgl. dazu Traube, Nomina Sacra 30ff.
- So DI 47 (Böblingen) Nr. 2.
- Kizik, Glockeninschriften 198.
Nachweise
- Lehfeldt, Bau- und Kunstdenkmäler 768.
- Kdm. Zell 170 mit Abb. 149 (Details).
- DGA Nürnberg, Kartei.
Zitierhinweis:
DI 79, Rhein-Hunsrück-Kreis II, Nr. 42 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di079mz12k0004203.
Kommentar
Neben der dekorativen Bildung des g mit zur Quadrangel verkürztem unterem Bogen und rechts am Balken ansetzendem Zierhaken fällt in der sonst konventionell ausgeführten Minuskel als zweiter bemerkenswerter Buchstabe zweifellos der dreimal verwendete A-Versal auf: Es handelt sich in der Grundform um ein spitzes A mit beidseitig überstehendem Deckbalken und schrägem Mittelbalken, das durch aufgesetzte Schwellungen an den Balken und Schäften sowie durch die Konturierung des Deckbalkens an Formen der gotischen Majuskel erinnert. Als Worttrenner der Umschrift dienen Quadrangel und Tatzenkreuze, bei Inschrift (C) kleine Doppelkreise und bei Inschrift (E) eine kleine Rosette.
Bei dem Glockengießer handelt es sich um den durch seine zahlreichen namentlich bezeichneten Glocken gut bezeugten Trierer Meister Clais von Echternach8), dem zwischen 1471 und 1501 im Gebiet des Bistums Trier fast 60 Glocken zuzuweisen sind. Die ungewöhnliche Inschrift auf der Hirschfelder Glocke fällt angesichts des von ihm in der Regel verwendeten „Rheinischen Glockenspruches“ völlig aus dem Rahmen. Dagegen finden sich die zahlreichen als Glockenzier dienenden Pilgerzeichen – die hier mit Aachen, Thann und Einsiedeln zu dieser Zeit berühmte Wallfahrtsstätten repräsentieren – auch auf den Glocken anderer zeitgenössischer Gießer wieder, insbesonders auf denen des Tilmann von Hachenburg.
Die Anrufung Gottes in hebräischer, griechischer oder auch lateinischer Sprache, die dessen Namen bzw. Epitheta9) in in lateinischen Buchstaben ausgeschriebenen Synonymen wiedergibt, lässt sich auf Glocken zwar in unterschiedlichsten Varianten nachweisen10), aber bislang nicht in der hier vorliegenden Kombination der dreifach synonymen Nennung in (zweimal) hebräischer und (einmal) griechischer Sprache. Bei dem hebräischen Kürzel Agla handelt es sich um eine bereits im Frühmittelalter belegte Abbreviatur (Notarikon), die – wie Adonai (Herr)11) – an Stelle des für Juden unaussprechlichen heiligen Gottesnamens Jahwe (JHWH) eingesetzt wurde12). Das griechische Alpha und Omega dürfte – neben der synonymen Bedeutung – Gott in seiner allumfassenden Existenz symbolisieren. Diese Nomina Sacra gehören zu den gegen das Böse gerichteten magischen Beschwörungsformeln und wurden nicht nur auf frühen Glocken13), sondern auch noch im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit als Inschriften eingesetzt, um die Kirche und ihre Gemeinde vor „den Waffen des Satans, wie Brand, Pesthauch, Gewitter, Sturm, Krieg und (... der) Seuche der Ketzerei“14) zu bewahren.