Inschriftenkatalog: Die Inschriften des Rhein-Hunsrück-Kreises II

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 79: Rhein-Hunsrück-Kreis II (2010)

Nr. 40 Kastellaun, Evangelische Pfarrkirche 1480

Beschreibung

Glocke des Meisters Tilmann von Hachenburg. Am 5. Mai 1942 ausgebaut und zu Kriegszwecken abgeliefert (Inv.-Nr. 15/25/248 C), nach Kriegsende wieder im Glockenturm1), dort nördliche Glocke. Große Glocke mit einzeiliger Schulterumschrift (A) zwischen zwei einfachen Rundstegen. Der Textbeginn wird durch ein gleicharmiges Blumenkreuz markiert. Darunter auf der Flanke befindet sich ein Pilgerzeichen der Aachener Marienwallfahrt2) und gegenüber von diesem ein mit der Namensinschrift (B) bezeichnetes Pilgerzeichen der Neusser Quirinus-Wallfahrt3). Bei beiden Reliefs sind die sonst typischen Ösen nicht mehr erkennbar. Gewicht4) 980 kg, Ton f’.

Maße: H. 107, Dm. 117, Bu. 2,8 (A), 0,3 (B) cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Thomas G. Tempel) [1/3]

  1. A

    + maria ◦ heiszsena)◦ ich ◦alle ◦ bose ◦ wedder ◦ verdriben ◦ ich ◦o ◦ maria ◦ gedenck ◦ dar ◦ane ◦ das ◦ dv ◦ vnsea) ◦ moder ◦ bist ◦ o ◦ rex ◦ glorie ◦ veni ◦ in ◦ tva ◦ pace ◦ mob) ◦ cccco ◦ l ◦ xxxo

  2. B

    s(anctvs) // quirinv//s

Übersetzung:

O König der Herrlichkeit, komm in deinem Frieden.

Versmaß: Deutsche Reimverse.

Wappen:
Abtei St. Quirin/Neuss; Stadt Neuss.

Kommentar

Unter den gleichmäßig gesetzten, schlanken Buchstaben fällt das eigentümlich mit aufgerichtetem Deckbalken und rundem gegenläufigem Bogenende gestaltete zweistöckige z auf, das von Köster geradezu als Leitbuchstabe dieser von Tilmann vorwiegend benutzten Schrifttype5) bezeichnet wird. Als Worttrenner dienen große Rauten.

Ebenso wie die etwas kleinere, zur gleichen Zeit für die Kastellauner Kirche gegossene Schwesterglocke6) ist auch die vorliegende dem Spätwerk des zwischen 1440 und 1486 tätigen Glockengießers Tilmann von Hachenburg7) zuzurechnen. Während einige Bestandteile der Inschrift – Namensansage, Wetterformel, Datumsangabe – zum inschriftlichen Grundbestand seiner Glocken gehören, ist nur auf der großen Kastellauner Glocke die Kombination einer Marienanrufung mit dem auf Glocken weit verbreiteten lateinischen Friedensruf nachzuweisen8), hier freilich in der für Tilmann eigentümlichen Variante veni in tua pace.

Der isoliert im Westen der Kirche stehende, in romanisierenden Formen ausgeführte Kirch- und Glockenturm war auch Teil der Stadtbefestigung und wurde – nach neuesten dendrochronologischen Untersuchungen – in den achtziger Jahren des 15. Jahrhunderts errichtet. Da die Balken im dritten Geschoss auf eine mögliche Datierung 1483/84, im vierten auf 1486/87 und im Schallgeschoss auf 1487/88 hinweisen9), wurde der Turm in seiner heutigen Form erstaunlicherweise erst nach dem Guss der beiden Glocken fertiggestellt.

Textkritischer Apparat

  1. Sic!
  2. Dieses und die folgenden o sind innerhalb des Steges liegend hochgestellt.

Anmerkungen

  1. Sie wurde zwischen dem 3. und 5. Mai 1948 wieder aufgehängt; vgl. dazu Neumann 266 und Knebel Abb. 11.
  2. Dreiteiliger Aufbau aus drei von kreuzbekrönten Fialen flankierten Kreisen: Unten die vierfigurige Beweinung Christi, darüber als Verbindung ein (hier abgegangener) kleiner Kreis, oben das über eine Stange gehängte, von zwei Klerikern zur Schau gestellte Kleid Mariens; vgl. dazu ausführlich Köster 67 (mittelgroße Form, Variante 2).
  3. Gerüsteter Heiliger mit gespreizten Beinen, eine Lanze in der Rechten und ein Schwert in der Linken, zudem am linken Oberarm ein mit neun Kugeln versehener Tartschenschild (Wappen der Abtei St. Quirin/Neuss), zu Füßen die Inschrift, rechts daneben ein kleiner Schild mit dem älteren Neusser Stadtwappen („Kölner Kreuz“); vgl. zu diesem sehr seltenen Typus des in vielen Varianten verwendeten Pilgerzeichens ausführlich Köster 82 mit Abb. 54 (Typus III) bzw. Köster, Pilgerzeichen der Neusser Quirinus-Wallfahrt 17 mit Abb. 9 (Typus B 4).
  4. Angaben nach Köster und Heuft; Gewicht nach DGA 700 kg, nach Schellack 1100 kg.
  5. Vgl. dazu ausführlich Köster 33.
  6. Vgl. die folgende Nr.
  7. Der fehlende Gießernamen ist charakteristisch für die zweite Hälfte seines Wirkens; vgl. dazu und zum Folgenden Köster 36ff.
  8. Vgl. dazu Kap. 4.3. – Da der Spruch im Verlauf des 15. Jahrhunderts auf Glocken in der Regel nicht mehr verwendet wurde, liegt die Vermutung nahe, dass er auf einer umgegossenen Vorgängerglocke stand und erhalten werden sollte; freundlicher Hinweis von Jörg Poettgen, Schreiben vom 3. März 2009.
  9. Freundliche Auskunft von Herrn Dr. Hubert Leifeld, Brief vom 14. Januar 1999; vgl. zur Baugeschichte des Turms ders., Kastellaun 17f.

Nachweise

  1. Storck, Kirchen-Glocken.
  2. BAT Abt. 122 Nr. 12 fol. 8r (Inventar 1847). –Lehfeldt, Bau- und Kunstdenkmäler 654.
  3. Busley, Kunstdenkmäler Simmern 107.
  4. DGA Nürnberg, Karteiblatt mit Foto Nr. F 3797.
  5. Köster, Tilman von Hachenburg 163.
  6. Schug, Dekanate 221.
  7. Schellack, Verzeichnis 540.
  8. Kdm. Rhein-Hunsrück 1, 453.
  9. Heuft, Chronik Kastellaun 59.
  10. Knebel, Kastellaun Abb. 12 (Detail).
  11. Neumann, Kastellauns Kirchen 266.

Zitierhinweis:
DI 79, Rhein-Hunsrück-Kreis II, Nr. 40 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di079mz12k0004005.