Inschriftenkatalog: Rems-Murr-Kreis
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 37: Rems-Murr-Kreis (1994)
Nr. 4 Stuttgart, ev. Stiftskirche Hl. Kreuz 1265/E. 13. Jh.
Beschreibung
Deckplatte des Hochgrabs des Grafen Ulrich (I.) von Württemberg und seiner Gemahlin Agnes von Schlesien-Liegnitz (beide 1265 gestorben). Im Erdgeschoß des kleinen südlichen Turms; wohl 1321 aus der alten Beutelsbacher Stiftskirche nach Stuttgart überführt und zunächst im Chor aufgestellt. Platte aus grauem Sandstein mit den vollplastischen überlebensgroßen Liegefiguren des Ehepaars. Zu Häupten der auf hohen Kissen ruhenden Figuren zwei aufgestellte nach außen gerichtete Wappenschilde, zu Füßen des Grafen zwei hockende Löwen, zu Füßen der Gräfin zwei Hunde. Ulrich mit Weinlaubkrone, im höfischen Gewand und Mantel mit zwei schildförmigen wappengeschmückten Tasseln, an der linken Seite ein Schwert haltend, Agnes im faltenreichen Gewand und Mantel mit einer aus zwei Schildchen gebildeten Schließe. Auf dem abgeschrägten Rand der Platte umlaufende erhaben gehauene Grabschrift1. Beim Einsturz des Chorgewölbes 1417/19 wurde das Grabmal beschädigt; im späten 19. Jahrhundert restauriert, weitgehend frei ergänzt2 und farbig bemalt; Farbfassung mittlerweile wieder entfernt. Ein Gipsabguß von 1884, der den Zustand vor der Restaurierung festhält, befindet sich im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg.
Maße: H. 224, B. 160, T. 55, Bu. 7 cm.
Schriftart(en): Gotische Majuskel.
+ ANNO · D(OMI)NI · MCCLXIIIII° · O(BIIT) · D(OMI)NA · AGNES · FILI/A · DUCIS · POLONIE · COMITISSA · DE · WIRTNWERG · III° · ID(US) · MARC/II · + EODEM · ANNO · O(BIIT) · VLRICVS · COMES · DE / · WIRTENBERG MARIT(US) PRESCRIPTE · D(OMI)NE · AGNETIS · V° · K(A)L(ENDAS) · MARCII
Übersetzung:
Im Jahr des Herrn 1265 starb Frau Agnes, Tochter des Herzogs von Polen, Gräfin von Württemberg, am 3. vor den Iden des März (13. März). Im selben Jahr starb Ulrich Graf von Württemberg, der Ehemann der vorgenannten Frau Agnes, am 5. vor den Kalenden des März (25. Februar).
Württemberg, Schlesien; zweimal Württemberg; Württemberg, Schlesien. |
Anmerkungen
- Der ursprüngliche Unterbau der Deckplatte ist nicht erhalten. Somit läßt sich nicht mehr feststellen, ob die Grabanlage als Tumba, als Tischgrab oder als auf dem Boden oder auf einem niedrigen Sockel liegende Platte ausgeführt war.
- Gesichter und Hände, Schwert Ulrichs, Kirchenmodell der Agnes.
- Ihr Vater Herzog Boleslaw II. von Schlesien-Liegnitz († 1278) gehört der schlesischen Linie der Piasten an, er war der Urenkel Herzog Wladislaws II. von Polen († 1162).
- Schlesisches UB 3 nrr. 3, 21, 26, 27 (alle 1251) und 69 (1253).
- 34 Urkunden von 1253 (Schlesisches UB 3 nr. 104) bis 1278 (Schlesisches UB 4 nr. 349). Auch die beiden bekannten Reitersiegel (Erstbelege 1251 bzw. 1268) haben lediglich den schlesischen Herzogstitel, vgl. Schlesische UB 3 nr. 21; 4 nr. 70.
- Ebd. 4, XII: als Mitregent ab 1267 dux Slesie, ab 1278 dann zusätzlich dominus de Ligniz.
- Vor diesem Befund sind die beiden Adlerwappen auf dem Grabmal nicht ohne weiteres als die des Herzogtums Schlesien anzusprechen. Da jedes charakteristische Beizeichen fehlt, könnte ebenso der polnische Adler (sonst meist gekrönt) wie der (nieder-)schlesische (sonst meist mit liegendem Halbmond auf der Brust) gemeint sein.
- Zur Biographie Ulrichs vgl. ausführlich Raff 3–35.
- Vgl. nr. 3 Anm. 9.
- Vgl. Bach, Epitaphien 167: Die übrigen Grabsteine – bekannt sind die Überführungen von Ulrich II. († 1279), Ulrich d.Ä. († 1315) und Irmengard von Hohenberg nach Stuttgart – waren 1321 vermutlich zerstört, oder sie wiesen u.U. gar keine Inschriften auf. Der heute noch in der Beutelsbacher Kirche eingemauerte inschriftlose Stein mit dem württembergischen Vollwappen ist jedenfalls erst nach der Verlegung des Stifts entstanden – nach Schild- und Helmform am ehesten in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts, wobei die Helmdecken wohl bewußt archaisierend vereinfacht dargestellt sind – und bezeichnete vermutlich ursprünglich den Ort der ehemaligen Familiengrablege, vgl. Schukraft 16f.
- Vgl. Bauch 93 Abb. 141.
- Vgl. dazu zuletzt: Kahsnitz, Die Gründer von Laach und Sayn 182. – Die Wappenschilde können noch bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts die auf dem Grabmal gezeigte fast dreieckige Form annehmen, sie geben mithin kein Datierungskriterium ab. Auch die Form des Schwerts taugt nicht zur Datierung, da offenbar bei der Ergänzung im 19. Jahrhundert das wesentlich ältere Schwert vom Grabmal des Heinrichs des Löwen in der Braunschweiger St.-Blasius-Kirche zum Vorbild genommen wurde.
- Vgl. Buchner, Mittelalterliche Grabplastik 10. Weiterhin sei an die ähnlich, wenn auch primitiver gestaltete Hochgrab-Deckplatte für Herzog Hermann von Teck in der Klosterkirche Alpirsbach (LKr. Freudenstadt) aus dem letzten Viertel des 13. Jahrhunderts erinnert (ohne Inschrift); Hinweis bereits bei Bräutigam 87f.
- Vgl. aber das Grabmal des Grafen Hartmann von Grüningen († 1280) in Markgröningen mit ebenfalls erhabener Umschrift, die freilich wesentlich plumper und ungleichmäßiger ausgeführt ist als die Beutelsbacher: DI 25 (Ludwigsburg) nr. 9 Abb. 10. Etwas später drei Epitaphien im Augsburger Domkreuzgang von 1326 (Gerenberg-Epitaph, Kosel nr. 305), 1347 (Rullin-Epitaph, Kosel nr. 160) und 1356 (Bellenberg-Epitaph, Kosel nr. 343) sowie aus dem fränkischen Bereich das Grabmal Ottos von Flügelau in der Rothenburger Spitalkirche (1317, DI 15 [Rothenburg] nr. 12).
- Ein Beispiel bietet das Grabmal der Gräfin Irmingard von Hohenberg geb. Gräfin von Württemberg in der kath. Stiftskirche St. Moritz in Rottenburg (LKr. Tübingen) von 1329.
Nachweise
- Crusius, Ann. Suev. III 108.
- Andreas Rüttel d. J., Memoriae posteritatique inclytae domus Wirtembergicae sacrum, 1583 (Stuttgart, Württ. LB, Cod. hist. F 130) 17r (Abb.).
- Sattler, Hist. Beschreibung des Herzogtums Würtemberg Fig. 3.
- Heideloff, Kunst des Mittelalters in Schwaben 22, Taf. VI.
- OAB Stuttgart 183.
- Kdm Neckarkreis 18.
- Baum, Deutsche Bildwerke 14, 17 Abb. 20.
- Wais, Alt-Stuttgarts Bauten im Bild 50f. Abb. 34.
- Wais/Diehl, Die Stuttgarter Stiftskirche Abb. 25f.
- Bräutigam 90.
- Rau, Verlegung des Beutelsbacher Stifts 191–198.
- Decker-Hauff, Stuttgart 168–170 (Abb.).
- Hermann Ziegler, Aus der Geschichte der Stuttgarter Friedhöfe, in: Schwäb. Heimat 17 (1966) 153–167, hier: 155 (Abb.).
- Hans Hünefeld, Das Grabmal Ulrichs I. „mit dem Daumen“ von Württemberg und der Agnes von Liegnitz in der Stiftskirche von Stuttgart, in: Schlesien. Vjs. für Kunst, Wiss. u. Volkstum 19 (1974) 79–86.
- Weller/Weller, Württ. Geschichte im südwestdeutschen Raum 80 Abb. 36.
- Raff 4, 18–23 (mit weiterer Lit. und mit den unterschiedl. Datierungsansätzen).
- Schukraft 17f. (Abb.).
Zitierhinweis:
DI 37, Rems-Murr-Kreis, Nr. 4 (Harald Drös, Gerhard Fritz), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di037h011k0000409.
Kommentar
Die Inschrift zeichnet sich durch sorgfältige Ausarbeitung und durch – bei erhabenen Inschriften nicht leicht zu erzielende – Gleichmäßigkeit aus. Die starken, an den Enden mehr oder weniger stark verbreiteten Hasten und die ausgeprägten Bogenschwellungen haben eine einheitlich ebene, nicht abgerundete Oberfläche. Die Buchstabenkanten stehen fast senkrecht auf dem Schriftgrund, d.h. die Buchstabenkonturen verbreitern sich nur leicht zur Schriftfläche hin. Die Schrift ist eine relativ schlanke gotische Majuskel, die nur am Beginn der Inschrift in der Datierung dicht gedrängt wirkt. Pseudounziales A überwiegt gegenüber der Trapezform, der weit überstehende Deckbalken kann bei beiden Formen beiderseits hochgebogen und an den Enden knopfartig verdickt sein. B, D, P und R haben in der Regel stark aufgeblähte Bögen. C und unziales E sind stets geschlossen mit gebogenem bis fast senkrechtem, die Zeile nach oben und unten deutlich überragendem Abschlußstrich. F ist ebenfalls geschlossen durch einen vom oberen Balken herabhängenden starken Abschlußstrich, der umgekehrt dem nach oben gezogenen rechten Abschluß des L-Balkens entspricht. K kommt in Minuskelform mit oberem zum Bogen geschlossenen Arm vor, M hat kapitale oder unziale Form, letztere mit linkem geschlossenem und rechtem offenem, bisweilen unter die Grundlinie auslaufendem Bogen mit eingestelltem Zierbalken. N und T begegnen ebenfalls sowohl in kapitaler als auch in runder Form, das runde T ist rechts durch einen halben Abschlußstrich von unten her fast geschlossen; U tritt neben V auf, ferner das aus zwei verschränkten V gebildete W. Als Worttrenner sind – bis auf zwei Ausnahmen – konsequent runde Punkte auf Zeilenmitte gesetzt.
Die Reihenfolge der Grabschriften ist merkwürdig. Obwohl die Gräfin 16 Tage nach ihrem Mann gestorben ist, steht ihre Grabschrift voran. Die folgende Inschrift für Graf Ulrich nimmt doppelt auf die seiner Frau Bezug: EODEM ANNO / MARITUS PRESCRIPTE DOMINE – entsprechend dem üblichen uxor eius in nachgestellten Grabschriften für Ehefrauen. Die Erklärung für diesen Befund ist wohl im höheren Geburtsstand der Verstorbenen zu suchen: Bezeichnenderweise wird sie zuerst als FILIA DUCIS POLONIE3 und erst danach als COMITISSA DE WIRTNWERG tituliert. Der Titel ihres Vaters in der Inschrift korrespondiert nicht mit dem tatsächlich von ihm in Urkunden geführten: Zwar nennt sich Boleslaw II. in seinen ersten Urkunden wiederholt dux Slesie/Zlesie et Polinie4, nie aber führt er den polnischen Herzogstitel allein. Ab 1253 ist ausschließlich die Intitulatio dux Slesie/Slezie /Zlesie belegt5, auch sein Sohn Heinrich V. nimmt den polnischen Titel nicht mehr auf6. Immerhin konnte Gräfin Agnes mithin zurecht als „geborene Herzogin von Polen“ bezeichnet werden, auch wenn das Fehlen des schlesischen Herzogtitels auffällig bleibt7.
Gräfin Agnes ist im Kindbett bei der Geburt ihres zweiten Kindes, des Grafen Eberhard (I.), gestorben. Die Ursache für den plötzlichen Tod ihres Mannes wenige Tage zuvor ist nicht bekannt. Ulrich war in erster Ehe mit der Markgräfin Mechthild von Baden († nach 1258) verheiratet gewesen8. Er wurde – freilich erst ab dem späten 16. Jahrhundert – als angeblicher Begründer des Stifts Beutelsbach mit dem Beinamen „der Stifter“ versehen, obwohl das Stift tasächlich wesentlich älter ist9.
Wie im Falle der heute in der Stuttgarter Stiftskirche aufbewahrten sog. „Torglocke“ (nr. 5) ist auch für das Doppelgrabmal der Entstehungsort nicht unumstritten. Doch sprechen wie bei der Glocke auch hier wesentliche Argumente für eine ursprüngliche Aufstellung in Beutelsbach und für spätere Transferierung nach Stuttgart im Zuge der Stifts-Verlegung 1321. Das Grabmal ist somit der einzige „überlebende“ Zeuge der einstigen Familiengrablege der Württemberger in Beutelsbach10. Nähme man die Anfertigung der Grabplatte erst nach der Überführung der ursprünglich in Beutelsbach beigesetzten Mitglieder der württembergischen Grafenfamilie an, fiele diese Herstellung frühestens in die 20er Jahre des 14. Jahrhunderts.
Die Tracht der Liegefiguren, vor allem des Grafen, weist aber Parallelen zu Grabmälern auf, die allesamt ins letzte Drittel des 13. Jahrhunderts datiert werden. Besonders hingewiesen sei auf die Verwendung von kleinen Wappenschildchen als Tasseln, die in derselben Form auf dem Grabmal König Rudolfs von Habsburg im Speyerer Dom, auf dem Grabmal eines Herrn von Hahn (?) von etwa 1270 im Merseburger Dom11 und auf dem Doppelgrabmal des Grafen Walter von Glizberg und seiner Frau vom Ende des 13. Jahrhunderts in der Erfurter Schottenkirche sowie ähnlich auf dem Doppelgrabmal des Grafen Otto von Botenlauben und der Beatrix von Courtenay (um 1270) in Frauenroth (LKr. Bad Kissingen) vorkommen, nach 1300 dagegen bislang m. W. nicht belegt sind12. In der Form und Behandlung der Haartracht sind weitgehende Übereinstimmungen mit dem Speyerer Königsgrabmal zu beobachten; der eingekerbte Halsausschnitt am Gewand Ulrichs begegnet wiederum auf dem Erfurter Glizberg-Grabmal13.
Eine genauere Datierung der Schrift stößt auf Schwierigkeiten, da aus so früher Zeit im schwäbischen Raum erhaben gehauene Inschriften nur in verschwindend geringer Zahl überliefert sind14. Die Buchstabenkonturen lassen immerhin einen – wenngleich beschränkten – Vergleich mit eingehauenen und gemalten Inschriften zu. Die punktförmig verdickten Enden am Deckbalken des A, gelegentlich auch an der Cauda des R, an der linken Schräghaste des pseudounzialen A, am Bogen des runden N sowie an dem senkrechten „halben Abschlußstrich“ des L und des runden T deuten auf Vorlagen aus dem Bereich der Buch-Auszeichnungsschriften oder der Glasmalerei hin. Derartige Zierformen finden sich naturgemäß in vertieft eingehauenen Inschriften wegen der damit verbundenen technischen Schwierigkeiten selten15. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts waren immerhin alle auf der Grabplatte vorkommenden Buchstabenformen bekannt, freilich ließe der Schriftbefund allein auch noch eine zeitliche Einordnung des Grabmals in die Mitte des 14. Jahrhunderts oder kurz danach zu. Maßgeblich für die Datierung bleibt somit der kunsthistorisch-stilistische Befund.