Inschriftenkatalog: Rems-Murr-Kreis
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 37: Rems-Murr-Kreis (1994)
Nr. 53 Schmiden (Stadt Fellbach), ev. Pfarrkirche St. Dionysius 1486 bis um 1530
Beschreibung
Ritzinschriften im Chor der Kirche. An den drei Chorschlußseiten unter einem breiten grauen Streifen und einem durch schwarze Linien in zwei Streifen gegliederten roten Band eine rote Sockelzone, darin an den Chorschlußseiten jeweils ein großes rechteckiges schwarz ausgemaltes Feld. Im Bereich der Randstreifen, im östlichen Feld auch darunter in der roten und schwarzen Sockelfläche, mit scharfen Gegenständen in die Farbe eingeritzte, den weißen Verputz aufdeckende Kritzelinschriften; vereinzelte Ritzung ferner in der Flachnische (Sediliennische) der Chorsüdwand. Die Inschriften sind teils nur schwach eingegraben und daher kaum zu erkennen, teils durch spätere Beschädigung beeinträchtigt: manche Einträge sind in- und übereinandergeschrieben, andere offenbar auch von Zeitgenossen durchgestrichen. Zusätzliche Zerstörungen durch Stoß- und Schlagschäden und durch Überputzen. Die Wiedergabe der Einzeleinträge im Folgenden ist nach den Wandzonen gegliedert, innerhalb der Zonen in der Regel von links nach rechts. Völlig unleserliche fragmentarische Einträge werden nicht berücksichtigt.
Maße: Bu. ca. 0,5–1,0 cm.
Schriftart(en): Gotische Kursive (Bastarda).
Textkritischer Apparat
- Unsicher, ob es sich bei den beiden Zeichen um Buchstaben handelt: die beiden äußeren Schräghasten beim ersten Zeichen rauten-, beim zweiten kreuzendig, die mittlere Spitze, die die äußeren Schräghasten jeweils deutlich überragt, ist mit einer rautenendigen Haste bzw. mit einem Hochkreuz besetzt. Beim zweiten Zeichen – möglicherweise einer vereinfachten Darstellung des Kalvarienbergs – ferner unter der Spitze auf der Grundlinie ein Sternchen (= gekreuzte Knochen?).
- Inschrift durch Ritzlinie eingerahmt.
- Zweite Zeile von anderer Hand.
- Monogrammatisch verbunden und mit Ritzlinie umrahmt; Lesung unsicher, vielleicht auch CR, UK, UR?
- Der Eintrag gehört der Schrift nach nicht zu dem voranstehenden Namen (?). Er könnte aber später als „Fortsetzung“ hinzugefügt worden sein in Anlehnung an das Sprichwort „Narrenhände beschmeißen alle Wände“, vgl. Dt. Sprichwörter-Lexikon 3 Sp. 938.
- v klein eingeflickt.
- Eintrag durchstrichen.
- o über u übergeschrieben.
- Eintrag zwischen den beiden letzten Zeilen der vorigen Inschrift, teilweise überschrieben.
- Vielleicht auch klain.
- Vielleicht auch Melhafen oder Melhofen.
- Letztes Wort etwas höher, aber in derselben Größe und von derselben Hand.
- Darunter zwei Zeilen durch Durchstreichen völlig unkenntlich gemacht.
Anmerkungen
- Backnang?
- Vermutlich Jahreszahl 1520.
- Freundl. Mitt. von Herrn Prof. Werner Hartinger, Passau. – Vgl. ferner die „Hic fuit“-Graffiti (ab 2. Hälfte 15. Jh.) unter den berühmten Fresken des Tommaso da Modena im Kapitelsaal des ehem. Dominikanerklosters (jetzt bischöfl. Seminars) zu Treviso, die Kritzeleien (dat. 1591–1693) auf dem Doppelepitaph für Martin und Ursula Dobryszowski in der Marienkirche in Kraków: CIP VIII/2 nr. 57a, Abb. 15, sowie die „Verewigung“ eines Bartholomeus von Ladenburg von 1484 an der Wimpfener Pfalzkapelle: DI 4 (Wimpfen) nr. 62. – Jünger als die Schmidener Inschriften sind die zahlreichen fast durchweg von Studenten angebrachten Graffiti in der Wallfahrtskirche in Ziegenhain (LKr. Jena) aus dem 17. bis 19. Jahrhundert, vgl. Hallof, Studentenkritzeleien 19–56. Zum Phänomen der Wandkritzeleien allgemein zuletzt: Rainer Wehse, Graffiti. Wandkritzeleien als Gegenstand der Volkskunde, in: Zs. für Volkskunde 80 (1984) 207–215.
Nachweise
- Kdm Rems-Murr 376 (nur erwähnt).
Zitierhinweis:
DI 37, Rems-Murr-Kreis, Nr. 53 (Harald Drös, Gerhard Fritz), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di037h011k0005302.
A. Nordostwand, auf dem grauen Randstreifen:
hic custo[. .] ạ[. . .] q[. .] aḍest om(n)i hora 1509 E[. . .] H[. . .] 1525 [h]ic fuit jlle qui (con)uic̣ḍịḷelẹg̣[. . .]
B. Nordostwand, auf den beiden roten Randstreifen:
F̣(uit) học de[. . .] stainperger vo(n) molzeim / dạs g[. . .]ḥ[.]ṣẹ[. . . .] sei[n]e hant got ṣie von seiner hilfe bekant / W Wa) [. . . .]b) [. . .]dne[. . . . .]ohia via [. . .
C. Ostwand, auf dem grauen Randstreifen:
hic [fui]t ludwic(us) i[. . .] hic fuit Josz Steinb(er)gẹṛ de W. / Et philip(us) Scheffer de paginac) Hic fuit Joh(annes) schulthaysz den / man nempt keller Hannsz zu groningen [. . .] / Jm lxxxvj
D. Ostwand, auf dem oberen roten Randstreifen:
C̣Ḳd) hic fuit J̣ọḥạṇṇẹṣ de G[. . . . .]ff[. .] narro hend beschissend die wende) hic fuit [.]eọ Hic fuit Hannsz mairen=/Dẹris d[e] kauffbevrenf) Sco=/lares in Esslinge et ṣọṇ adam / faber ex ramingen x x x xb) Hic fuit Joha(nn)es Kager / De Schongọb)
E. Ostwand, auf dem unteren roten Randstreifen:
Hic fuit Philippi(us) de backenia1) 1491b) hic fuit Jo(hann)es Oelchinger de schongạẉ / [. . .] scholarịụṃ in Eslingen Hic fuit Vlric(us) / De Ẹṭṭḥling(en)b) hic fuit oswald(us) hic fui[t . . . . . . .] Cristofer(us) / [. . . . .]elgart tu(n)c temporis scholar(is) hic fuit [. . . . . .] adelbergg) hic fuit [Joh]an(ne)s carnifex / de adelberg blasi(us) de pfeffico(n) ṣch[. . .] hic fuit [. . . .]ṇṭ(us) de kauffbira / tu(n)c t(em)por(is) scolaris Jn Waybling(en) ad[. . . . .]ultor ma[. . . . . . . / . . . . . . . .] Hic fuit Jodoc[us . . . . .] / de Weyssen[. . . . . / scola]ris Jn essling[en . . .
F. Ostwand, in der roten Sockelzone:
hic fuit Jo[. . . Hic fuit / [. . . . . . . . . . .]g) 1509 Deus creavit om(n)ia Hic fuit [. . . . .] Huoserh) de schṃịden . . . Joh]an(n)es de schmiden / [. . . sc]olaris in stuotgartt(en)h) Hic fuit Conrad(us) Hic fuit [. . . . .]g) Eo q(uo)d leg[. . . CVXX2)
G. Ostwand, im schwarzen Sockelfeld:
Hic fuit Johannes Haụwec̣ḳg Hic fuit Philipp[. . . .]elm de waibl[ingen] Hic Fuit osw Hic fuit c̣ṛịṣtofer(us) de ọnspachiọb) Hic fuit[. . . .]es schmid / de schongaw 1512 / scholastic(us) in eszlingen Hic fuit [. . . . .] d(e) hittelspachi) Hic fuit Johannes Jn g[. . .]ie Hic fuit Joh(ann)es klamk) de p̣ḷ[. . .] / Tu(n)c t(em)p(or)is [. .]ppc̣ịọṇ[. . .]o bṇị[. . . [hic] fuit Philipp(us) Melhẹfenl) de waiblingen Jos ḳex̣ fabṛỵ Hic fuit wolfgang [. . . hic fuit [. . .]haṭ[. . .] Rụṣth[.] Dec̣ạṇ(us)g) Hic Fueru(n)t D(omi)ne f̣ẹc̣[. .] v[. . .]issa fọḷ [. .] ali(us) / [. . . . . . .] tu(n)c [. . . .] in c̣ạḷẉ Jodoc(us) me Jọṣm) We[. . .] vnd in / Gottes g̣utẹ vergis / S[. . . . .] d[. .] der / [. . .] h[. .] g[. .] vier Hic fuit Wina(n)d(us) hic fuit Jo(hanne)s weysz [de S]chongown) Hic fuit Jo(hann)es weis von schongob) [hic fu]it Zacharias [. . . . .]lag) . . .]affạ scọlṭor d(e) / waiblingen et [. . .]aber / [. . . .]iffẹṣ Hic fuit [. . . . .] sartoris [. . .] Hic fuit Joh(annes) S[. . . Hic fuerit Jo(hanne)s d(e) monaco hic fuit ulric(us) de schmiden tu(n)c t(em)p(or)is sco[laris] i(n) stuttgardiab) Jo(hann)es schorndorff fuit Jn dedica[ci]o(n)e / Jn schmid(en) fuit apud [. .]pt[. . . . . . .] veritate hic fuit jac(obus) de waibling(en) hic fuit [. . . .] sartoris[. . . hic fuit johanes lipp / de ḅ[. . . .]gen hic fuit Jos de Schmide[n / . . . .] dni o[. .] hic fuit J[. . .](us) textor [. . . .]rab[. . . Hic f(uit) nicola(us) schmeltzlin / ord(inis) [. . . . .] [hic] fuit Philipp(us) de backn(an)g / tu(n)c t(em)p(or)is scolar(is) jn waigli(n)g(e)n 1498̣ Hic fuit ṣc̣ọ[. . .] / in schmiden hic fuit [. . . . . . / . . . T]ubing(en)
H. Südostwand, auf den roten Randstreifen:
. . .] adelberg [. . . Hic fuit n[ico]ḷạ(us) [. . . / . . .] schongau scol[. . .
I. In der Flachnische der Südwand:
Conrad(us)
Die Kritzeleien sind durchweg in spätgotischen Kursivschriften eingeritzt, teils nur sehr flüchtig ausgeführt, teils aber auch kalligraphisch gestaltet. Auf die Ausgestaltung der Versalien wird auch bei ansonsten recht primitiven Schriften bisweilen etwas mehr Sorgfalt verwendet.
Auffällig ist, daß sich nach etwa 1530 keine Einträge mehr nachweisen lassen. Die letzte angeführte Jahreszahl ist 1525, und auch vom Schriftbefund her lassen sich sämtliche Inschriften allgemein am ehesten in die 2. Hälfte des 15. und die 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts datieren. Die Benutzung des Chors für Kritzeleien scheint mit der Reformation 1534 abrupt geendet zu haben, als der Chor seine liturgische Funktion verlor und für den Gottesdienst nicht mehr genutzt wurde. Diese zeitliche Geschlossenheit der Einträge ließ ihre Aufnahme – entgegen den Bearbeitungsrichtlinien des Inschriftenwerks – in den Inschriftenkatalog geboten erscheinen.
Unter den ausführlicheren Einträgen finden sich wiederholt Nennungen von Scholaren aus Esslingen, Stuttgart und Waiblingen. Die Verbindung zu Esslingen ließe sich möglicherweise mit dem gemeinsamen Dionysiuspatrozinium der Schmidener Pfarrkirche und der Esslinger Stadtkirche erklären, die an Kirchenbesuche von Esslingern in Schmiden anläßlich einer Wallfahrt o.ä. denken lassen. Da aber hierzu keinerlei Quellen vorhanden sind, gilt es bei der Deutung der Nameninschriften zurückhaltend zu sein. Immerhin haben sich auch Einheimische mit ihrem Namen verewigt. Die Herkunftsbezeichnungen der Personen weisen darauf hin, daß einige der Einträge gleichzeitig und gruppenweise von mehreren Mitgliedern einer Reisegruppe angebracht worden sind, so etwa von einer Gruppe von aus Kaufbeuren und Schongau stammenden Schülern.
Größere Gruppen von Ritzinschriften, wie sie hier vorliegen, sind bislang erst wenige untersucht. Am ehesten scheinen die noch nicht publizierten Kritzeleien in der Wallfahrtskirche zu Grongörgen (Gde. Haarbach, LKr. Passau) vergleichbar zu sein. Die Kirche wurde zwischen 1460 und 1472 erbaut, viele der Nameneinträge beginnen wie in Schmiden mit Hic fuit3.