Inschriftenkatalog: Rems-Murr-Kreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 37: Rems-Murr-Kreis (1994)

Nr. 3 Stuttgart, Württ. Landesmuseum, Lapidarium 1252/16. Jh.(?)

Beschreibung

Bauinschrift. 1969 bei Grabungen im Bereich der Burgruine Beutelsbach (Stadt Weinstadt) in einer Weganschüttung außerhalb der alten Ringmauer östlich der Unterburg gefunden und 1971 nach Stuttgart verbracht (Inv.-Nr. 1971–82)1. Zwei querrechteckige graue Sandsteinquader mit zeilenweise durch tief eingehauene Linien gerahmter sechszeiliger Inschrift; am oberen Block fehlen die linke obere Ecke und ein Stück des rechten Randes, der untere Block ist in zwei Fragmente zerbrochen; erheblicher Schriftverlust durch Abwitterung in den letzten zwei Zeilen.

Maße: H. (Gesamt) ca. 58, B. ca. 130, T. 38, 5, Bu. 4 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

Heidelberger Akademie der Wissenschaften; Landesmuseum Württemberg, Stuttgart [1/1]

  1. [ANNO · D(OMI)]NIa) · M · DCC · L · II · XI · K(A)L(ENDAS) · IVNII / · INCHOATA · EST · STRVCTVRA · HV[I]/VS · MONTIS · A · VENERABILI · BERHTO//LDO · P(RE)P(OSI)TO [· PRI]MOb) · AVCT[ORE · CO(M)ITE]b) · VLR(ICO) / · DE · WIRT[ENBERG · . . . . . . . . . .]E · / INNOCEN[TI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .]

Übersetzung:

Im Jahr des Herrn 1752 (!) am 11. vor den Kalenden des Juni (22. Mai) ist der Bau dieses Berges in Angriff genommen worden von dem ehrwürdigen Berthold, dem ersten (?) Propst, auf Veranlassung des Grafen Ulrich von Wirtemberg …

Kommentar

Die Inschrift gibt einige Rätsel auf. Dem erhaltenen Wortlaut nach kann sie sich wohl nur auf Baumaßnahmen an der Beutelsbacher Burg beziehen. Diese Burg geht in ihren Anfängen nach Grabungsbefunden ins 11., vielleicht sogar ins 10. Jahrhundert zurück2 und dürfte aus der salischen Besitzmasse im Remstal an die späteren Grafen von Württemberg als den Nachfahren Herzog Konrads von Kärnten gelangt sein. Ergrabene Baureste in der Oderburg aus dem 13. Jahrhundert könnten mit der Bauinschrift in Verbindung gebracht werden.

Keine Verbindung ergibt sich dagegen – außer der Nennung des Propstes – zu dem bereits im 11. Jahrhundert gegründeten und 1247 erstmals bezeugten Chorherrenstift3, dessen Kirche den Grafen von Württemberg bis zur Verlegung des Stifts nach Stuttgart 1321 als Grablege diente4. Der auch sonst gut bezeugte Propst Berthold5 scheint im Auftrag des Grafen Ulrich von Württemberg die Baumaßnahmen vor Ort beaufsichtigt zu haben. Die Nennung von Papst Innozenz IV. in der letzten Zeile der Inschrift war vielleicht Teil einer zusätzlichen Datierung nach den päpstlichen Pontifikatsjahren6.

Der Irrtum des Steinmetzen bei der Datierung (durch überzähliges D versehentlich 1752 statt 1252) und die Buchstabenformen (außer trapezförmigem A mit langem Deckbalken und außer C mit eingestelltem breitem Zierstrich reines Kapitalis-Alphabet mit auffällig breiten D, E, M und S; E zudem mit 3 gleich langen Balken) machen eine Ansetzung der Inschrift in ihrer jetzigen Form zu 1252 äußerst unwahrscheinlich7. Ferner weist die Bezeichnung Bertholds als des ersten Propstes (richtige Ergänzung der fehlenden Textstelle vorausgesetzt) auf eine Entstehungszeit, in der man in Graf Ulrich den Begründer des Beutelsbacher Stifts zu sehen glaubte8, was seit dem späten 16. Jahrhundert sicher nachzuweisen ist9. Unklar bleibt freilich, zu welchem Zweck die durchaus aufwendige Inschrift in späterer Zeit angefertigt worden ist – zumal sie nirgends in der Historiographie Erwähnung findet. Die Erklärung allein, daß man Graf Ulrich, den man für den Gründer des Stifts hielt, nun auch als Bauherr der Burg reklamieren wollte, kann nicht befriedigen. Auch ist zu berücksichtigen, daß die Burg seit ihrer weitgehenden Zerstörung 1312 nur mehr Ruine war, mithin die Inschrift offenbar in das nicht mehr genutzte und zerfallene Gemäuer eingesetzt wurde10. Die Nennung des Propstes Berthold und des Papstes Innozenz IV., die Worttrennung durch runden Punkt auf Mitte, die Form der Kürzung von KALENDAS und VLRICO sowie die ungewöhnliche Wortwahl (STRVCTVRA HVIVS MONTIS) könnten immerhin darauf hindeuten, daß bei der Herstellung der Inschrift eine echte Vorlage des 13. Jahrhunderts zugrunde lag, der man Datum, Personennamen und Teile des Formulars entnahm.

Textkritischer Apparat

  1. Über N noch Reste eines Kürzungsstrichs erkennbar, demnach war DOMINI nicht ausgeschrieben. Die Länge des verlorenen Zeichenstücks läßt vermuten, daß am Beginn der Inschrift ein Invokationskreuz gesetzt war.
  2. Ergänzung unsicher.

Anmerkungen

  1. Ein Gipsabguß befindet sich im Heimatmuseum Beutelsbach.
  2. Vgl. Wein 56. Zur Abstammung der Grafen von Württemberg zuletzt: Dieter Mertens, Beutelsbach und Wirtemberg im Codex Hirsaugiensis und in verwandten Quellen, in: Person und Gemeinschaft im Mittelalter. FS Karl Schmid, hg. v. Gerd Althoff u.a. Sigmaringen 1988, 455–475.
  3. Die Inschrift soll keineswegs den Beginn des Chorherrenstifts unter Ulrich „dem Stifter“ dokumentieren (so Neumüllers-Klauser, Zur Problematik 179), da HVIVS MONTIS – noch dazu bei der Fundsituation der Inschriftensteine direkt bei der Burgruine – nicht auf der Stiftskirche im Tal bezogen werden kann. Der einzige Anhaltspunkt für diese Annahme, das Epitheton fundator für Ulrich von Württemberg, beruht lediglich auf einer konjizierten Ergänzung (ebd. Anm. 23).
  4. Vgl. nr. 4.
  5. Namentlich: WUB nrr. 1265, 1274–76 (alle 1253), 1295 (1254), 1365 (1255), 1433 (1257), 1640 (1262); ohne Namen: WUB nr. 1196 (1251); 1253 Archidiakon von Konstanz, 1257/62 Dekan in Konstanz.
  6. Zeichen der seit 1246 antistaufisch-propäpstlichen Parteinahme Ulrichs von Württemberg? Jedenfalls sicher kein Hinweis auf finanzielle Beteiligung Roms am Bau der Burg, wie Wein 60 vermutet.
  7. Die zeilenweise Einrahmung des Textes durch tief eingehauene Linien kommt zwar hauptsächlich bei Minuskelinschriften des 15. Jahrhunderts vor, doch finden sich durchaus auch Majuskelinschriften des 13. Jahrhunderts mit diesem Befund (vgl. etwa DI 27 [Würzburg] nr. 25 [1212]), der für sich genommen also noch kein Mißtrauen gegen die zeitgenössische Entstehung der Inschrift erregen muß.
  8. Ähnlich Neumüllers-Klauser, Zur Problematik 179.
  9. So etwa das von Sem Schlör geschaffene Standbild Ulrichs aus den Jahren 1578–1583/84 mit entsprechender Beischrift sowie das schon früher angefertigte, heute verlorene (Holz-?)Epitaph aus der Stuttgarter Stiftskirche, vgl. Raff 4.
  10. Die letzten überirdischen Mauerreste wurden um 1760 abgetragen.

Nachweise

  1. Jb. d. Staatl. Kunstsammlung in Baden-Württemberg 9 (1972) 316.
  2. Wein 54–60, bes. 60 (Abb., hält die Inschrift für zeitgenössisch).
  3. Kdm Rems-Murr 1312f.
  4. Neumüllers-Klauser, Zur Problematik 179.

Zitierhinweis:
DI 37, Rems-Murr-Kreis, Nr. 3 (Harald Drös, Gerhard Fritz), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di037h011k0000302.