Die Inschriften des Regensburger Doms (I)

8. Deutschsprachige Inschriften

von Susanne Näßl

Bedeutend weniger ergiebig erweist sich bei einer Zusammenschau der Ergebnisse dieser Arbeit die Auswertung der Inschriften für die deutsche Sprachwissenschaft. Dies ist mit der Tatsache zu begründen, dass der größte Teil der genannten Personen dem Klerus angehörte, der den Text der Inschriften fast ausnahmslos in lateinischer Sprache formulierte oder anfertigen ließ. So sind es bis zum Ende des Bearbeitungszeitraumes 45 deutschsprachige Inschriften im Original und 28 Inschriften, die kopial überliefert sind. Ähnlich wie bei den Inschriften der Minoritenkirche und des Klosters finden sich deutschsprachige Inschriften erst vermehrt im 15. Jahrhundert. Die überwiegende Schriftform ist hier die Gotische Minuskel.

Allgemein zeigen die Dominschriften die zu erwartenden Kennzeichen einer ostoberdeutschen Schreibsprache, wie z.B. die Schreibungen , für mhd. /ei/, z.B. stainmaizzel (Kat.-Nr. 113), haist ‚heißt‘ (Kat.-Nr. 255), mayster, stainmetz (Kat.-Nr. 179), die erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts belegte Senkung von u zu o bei Sonntag, vgl. suntag u.a. (Kat.-Nrn. 83 † (?), 232, 345); sontag (Kat.-Nr. 281) und die Nichtbezeichnung des Umlauts, vgl. z.B. burger (Kat.-Nr. 277, genadig (Kat.-Nr. 244), nachsten (Kat.-Nrn. 132, 159), schuler (Kat.-Nr. 333), ferner vereinzelt den Wechsel zwischen ô und â vgl. montags (Kat.-Nr. 159), mantags (Kat.-Nr. 156) und die (bair.) Beibehaltung des alten Diphthongs mhd. /uo/, vgl. mvezz ‚muss‘ (Kat.-Nr. 113). Im Bereich der Konsonanten ist die Schreibung 〈p〉 für mhd. /b/ als Kennzeichen der ostoberdeutschen Schreibsprache eher selten bzw. vorwiegend in Namen vertreten, vgl. z.B. pischoffe(n) (Kat.-Nr. 255), aplaz neben ablas (Kat.-Nr. 255), Pernhardi (Kat.-Nr.), Pavmgartn[ner] (Kat.-Nr. 194). Auch die Schreibung für mhd. /k/ ist nur einmal belegt: chundun[g] (Kat.-Nr. 341). In der älteren Inschriftenschicht (bis ca. 1400) ist noch die [Druckseite LXXX] ursprüngliche Trennung der s-Laute zu verfolgen: 〈z〉, 〈zz〉 steht für den germ. *t entstandenen s-Laut (stainmaizzel, muezz (Kat.-Nr. 113), während 〈s〉 für altes s steht (vgl. des (Kat.-Nr. 99). In der jüngeren Inschriftenschicht wird dagegen der Zusammenfall dieser s-Laute darin deutlich, dass die Schreibungen vermischt werden, vgl. dez neben des (Kat.-Nrn 183 u. 159; aplaz neben ablas (mhd. ablaz) (Kat.-Nr. 255), weiz ‚weise‘ (mhd. wîs) (Kat.-Nr. 277), bzw. die 〈z〉-Schreibungen zurückgehen, vgl. aus (Kat.-Nr. 229), haist (Kat.-Nr. 255).

Insgesamt ist die quantitative Menge an sprachwissenschaftlich auswertbarem Material im Vergleich zu anderen schriftlichen Zeugnissen desselben Zeitraums wie z.B. dem Kanzlei- und Verwaltungsschrifttum sehr gering. Bei den deutschsprachigen Inschriften des Doms handelt es sich überwiegend um Grabinschriften, die nicht sehr umfangreich sind und ein festes Formular aufweisen. Gerade im lautlich-graphischen Bereich können sie daher, wie schon Schmid247) allgemein in Bezug auf die Inschriften in Regensburg bis 1550 festgestellt hat, allenfalls Ergänzendes248) bieten.

Der Wert von Inschriften für sprachwissenschaftliche Untersuchungen liegt daher in anderen Bereichen, die man unter dem Stichwort Sprachsoziologie zusammenfassen kann und deren Möglichkeiten im Folgenden kurz angedeutet werden sollen. So kann Schmid in seinen Untersuchungen zeigen, dass sich der Grad an Repräsentativität auf die Sprachform der Texte auswirkt, d.h. Inschriften, die öffentlichen Repräsentationszwecken dienen und sich vorwiegend an Fremde richten, enthalten kaum bodenständige Sprachformen249) und orientieren sich an überregional akzeptierten schreibsprachlichen Normen250). Grabinschriften, die sich an einen begrenzten Adressatenkreis richten, enthalten dagegen eher dialektal geprägte Formen. Schreibungen wie [weg]rawen ‚begraben‘ mit 〈w〉 für /b/ und muezz (beide Kat.-Nr. 113) sind daher weniger als Anzeichen für höheres Alter als vielmehr als Hinweis auf diesen eher lokal gebundenen Auftraggeber- und Adressatenkreis zu sehen. Die sich hier generell andeutende Frage, inwieweit umgekehrt nun Abweichungen von der lokalen bzw. regionalen Schreibsprache in den Inschriften Systemcharakter haben251), ist nach Hoffmann252) eine der Aufgaben der Sprachgeschichtsforschung. Auch zur Wortgeschichte und Wortgeographie können Inschriften einen wertvollen Beitrag leisten, wie Hoffmann an der exemplarischen Analyse der Bezeichnungen für die Ehefrau zeigt.253) Voraussetzung für diese und ähnliche Unternehmungen ist allerdings, dass die Inschrifteneditionen die deutschen Sprachlandschaften in räumlicher und in zeitlicher Hinsicht möglichst umfassend abdecken (d.h. mit dem Blick auf die erst ab dem 15. Jahrhundert stärker einsetzende Deutschsprachigkeit bis in das 17. Jahrhundert hinein). Die vorliegende Edition der Regensburger Dominschriften und der geplante zweite Band bilden dazu einen weiteren Baustein.

Ein weiteres Forschungsgebiet, das ebenfalls eine breite Basis an Inschrifteneditionen voraussetzt, ist der Sprachenwechsel Latein – Deutsch in den Inschriften. Hoffmann setzt in seinem Beitrag mit einer tabellarischen Übersicht über die deutschen und lateinischen Inschriften für die Bände 28 bis 48254) der Deutschen Inschriften die Übersicht von Wulf255) für die bis 1988 erschienen Bände fort. Er kann zeigen, dass durch die jüngeren Veröffentlichungen sich „im Vergleich zu dem Befund von Christine Wulf kleinere Modifikationen ergeben“256), etwa was das zeitliche Einsetzen der Vormachtstellung des Deutschen in oberdeutschen Inschriften betrifft. Die Gründe, wann und wie der Sprachenwechsel [Druckseite LXXXI] einsetzt, sind wohl zunächst auf kleinräumiger Ebene zu ermitteln257), bevor allgemeinere Aussagen möglich sind.

Zum Abschluss soll in diesem Zusammenhang noch kurz auf einige Besonderheiten aufmerksam gemacht werden. Geht man davon aus, dass, gerade was Künstler- und Bauinschriften betrifft, ein Publizitätseffekt unterstellt werden muss, so lässt sich dies am Beispiel der Dominschriften mehrfach belegen. Da sind die deutschen Namensformen der Dombaumeister LVDBICH und FRIDRICH (Kat.-Nrn. 30, 70) außen an der Südquerhausfassade des Domes zu nennen. In einem Glasfenster im Triforium des Hochchores findet sich der Name des bürgerlichen Stifters VLRICH HAEDER (Kat.-Nr. 57)258). Zwei weitere Inschriften in deutscher Sprache und dafür eher unüblicher Gotischer Majuskel (s. Kat.-Nrn. 20, 113), die zwar beide undatiert, aber in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts einzuordnen sind, finden sich im Dombereich.

In die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts datiert die Grabplatte für Mitglieder der Patrizierfamilie Gravenreuther (s. Kat.-Nr. 46). Wohl beginnen diese vier Inschriften alle mit der gängigen Datierungsformel ANNO DOMINI…OBIIT, Namen und familiärer Stand sind aber dann deutschsprachig wiedergegeben259). Die erste noch vorhandene volkssprachliche Grabinschrift auf einer Wappengrabplatte mit Mehrfacheinträgen betrifft die Ratsfamilie Sterner (s. Kat.-Nr. 132) mit der frühesten Datierung 1412.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass der weitaus größte Teil der sowohl im Original als auch kopial überlieferten Inschriften bis zum Ende des 15. Jahrhunderts in lateinischer Sprache abgefasst ist. Die lateinische Sprache dominiert bei den Totengedenkinschriften der Kleriker und bei den Stifterinschriften260). Deutschsprachige Inschriften wurden vereinzelt von bürgerlichen Personen gewählt. Auf zwei Ausnahmen in Bezug auf den geistlichen Personenkreis und der Inschriftensprache Deutsch sollte hingewiesen werden: Sowohl die Grabinschrift des Domherrn Kaspar Türlinger (Kat.-Nr. 171, 175), der 1431 starb, als auch die Inschrift seines kleinen Epitaphs ist in deutscher Sprache abgefasst. Nur der von ihm gestiftete Scheitelstein trägt eine lateinische Inschrift; auch auf der Grabplatte des im Jahr 1462 verstorbenen Domherrn Caspar Zeller (Kat.-Nr. 230) ist die Inschrift in deutscher Sprache verfasst.

Zitationshinweis:

DI 74, Inschriften des Regensburger Doms (I), Einleitung, 8. Deutschsprachige Inschriften (Susanne Näßl), in: inschriften.net,  urn:nbn:de:0238-di074m013e009.

  1. Schmid H. U., Deutsche Inschriften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit 139–151; vgl. auch Schmid H. U., Mittelalterliche deutsche Inschriften; in beiden Arbeiten sind Dominschriften bei der sprachlichen Analyse mit berücksichtigt. »
  2. Schmid H. U., Deutsche Inschriften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit 151. »
  3. Schmid H. U., Mittelalterliche deutsche Inschriften 128. »
  4. Ebenda. »
  5. Vgl. dazu für einen späteren Zeitraum auch Schmid H. U., Sprachlandschaften und Sprachausgleich in nachreformatorischer Zeit. Martin Luthers Bibelübersetzung in epigrapischen Zitaten des deutschen Sprachraums, in: ZDL 65 (1998) 1–41 und Walter Hoffmann, Inschriften und Sprachgeschichte: Auswertungsperspektiven der Deutschen Inschriften, in: ZfdPh 119 (2000) 1–29, hier S. 8 zur Mischung von alten und neuen Sprachformen in lateinisch-deutschen Kartuschenpaaren vom Ende des 16. Jahrhunderts in Schloss Rheydt. »
  6. Hoffmann, Inschriften und Sprachgeschichte 8. »
  7. Hoffmann, Inschriften und Sprachgeschichte 15–21. Als Desiderat ist der Vergleich zwischen den aus den Inschriften gewonnenen Ergebnissen mit denen anderer Textsorten zu sehen, vgl. 26. »
  8. Hoffmann, Inschriften und Sprachgeschichte 21ff. mit Hinweisen auf weitere Forschungen in diesem Bereich, 21 (Anm. 73) und 26 (Anm. 77 u. 79). »
  9. Wulf, Versuch einer Typologie der deutschsprachigen Inschriften. In: Epigraphik 1988. Fachtagung für mittelalterliche und frühneuzeitliche Epigraphik Graz, 10.-14. Mai 1988, hg. von Walter Koch (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Phil. Hist. Kl. Denkschriften 213), Wien 1990, 127–137. »
  10. Hoffmann, Inschriften und Sprachgeschichte 25. »
  11. Vgl. die ebenda. 25f. beschriebenen Beispiele. »
  12. Neumüllers-Klauser, Frühe deutschsprachige Inschriften 181f. »
  13. Weitere Beispiele für das 14. Jahrhundert für Inschriften in gotische Majuskel und zumindest teilweiser Deutschsprachigkeit in Grabinschriften DER WERDAER (s. Kat.-Nr. 71), PALDWEIN DER GLAESEL (s. Kat.-Nr. 81). »
  14. Kloos, Epigraphik 39ff.; im Bestand findet sich auch eine kurze hebräische Inschrift auf dem Relief der Gregorsmesse, s. Kat.-Nr.255»