Inschriftenkatalog: Stadt Pforzheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 57: Stadt Pforzheim (2003)

Nr. 144† Straßburg, Münster 2. V. 16. Jh.

Beschreibung

Kissen mit Seidenstickerei oder Bildwirkerei und Spottvers. Ehemals im Chor der Pforzheimer Stiftskirche, im Chorgestühl, auf dem Sitz des Propstes; nach 1556 als Geschenk an das Straßburger Münster abgegeben. Verbleib unbekannt. Dargestellt war ein Wolf in einer Mönchskutte, als Prediger auf einer Kanzel stehend, mit den Vorderfüßen ein Buch haltend; in der einen Ecke ein Fuchs, gegenüber mehrere Gänse mit „Paternostern“ im Schnabel und eine Person mit Narrenkappe. Der Wolf war von einer Inschrift – vermutlich auf einem Spruchband – umgeben.

Beschreibung nach Rott, Baden-Durlacher Hof 19171.

  1. Ich will euch guitte vil fabeln sagenBiss ich fülle den meinen kragen

Versmaß: Deutsche Reimverse.

Kommentar

Der Tübinger Theologe Jacob Heerbrand (1521–1600) ist von September 1556 bis Herbst 1557 von dem Markgrafen Karl II. zum ersten evangelischen Superintendenten und Hofprediger nach Pforzheim berufen worden, bevor er einem Ruf an die Tübinger Universität folgte2. In dieser Zeit verfaßte er die Leichenpredigt für den Markgrafen Albrecht Alcibiades von Brandenburg-Ansbach († 1557)3. Heerbrand hat nach eigener Aussage das Innere des Stiftschors noch vor der Auflösung des Kollegiatstifts im Zuge der Reformation gekannt; er hat dort das Kissen gesehen und beschrieben und – offenbar als Kuriosität? – erworben und später dem Straßburger Münster geschenkt4.

Offensichtlich handelte es sich bei der Darstellung um ein Kampfbild aus der Zeit der Reformationspropaganda und der altkirchlichen Verteidigung, wie dies in der Trivialliteratur der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts gezeichnet wurde5. Die Hauptvertreter der Opposition wurden gerne in Gestalt von satirischen Tierfiguren dargestellt, so der Papst als Fuchs, ein Dominikaner als Wolf, Luther selbst als „der große Narr“ mit Narrenkappe usw.

Bemerkenswert ist das Zeugnis Heerbrands, daß 1556/57 die mittelalterliche Ausstattung des Chores mit dem Chorgestühl noch unversehrt vorhanden war.

Anmerkungen

  1. Zitat aus Rott nach Heerbrand, Jakob, Refutatio defensionis assertionum Iesuiticarum de Ecclesia Christi. Tübingen 1577.
  2. Pflüger 1862, 321f.; KdmBadenIX/6, 70. Zu den biographischen Daten vgl. TRE 14 (1985) 524–526 (Vf. Siegfried Raeder); LThK 4 (1995) 3. Aufl., Sp. 1238f.
  3. Vgl. nr. 156.
  4. Vgl. Heerbrands Beschreibung, wiedergegeben bei Gehres 1811, 37 und Rott 1917, 14 Anm. 3.
  5. Zahlreiche Beispiele bei Hoffmann, Konrad, Die reformatorische Volksbewegung im Bilderkampf. In: Martin Luther und die Reformation in Deutschland. Kat. d. Ausst. Nürnberg 1983, 219–254; hier 224, 229.

Nachweise

  1. Heerbrand, Jakob, Refutatio defensionis assertionum Iesuiticarum de Ecclesia Christi. Tübingen 1577.
  2. Karlsruhe, GLA 65/1074, Memorabilia Phorcensia ca. 1760/1770, fol. 21r (nur erwähnt).
  3. Gehres, Pforzheim 1811, 37.
  4. Rott, Baden-Durlacher Hof 1917, 14 Anm. 3.

Zitierhinweis:
DI 57, Stadt Pforzheim, Nr. 144† (Anneliese Seeliger-Zeiss), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di057h015k0014406.