Inschriftenkatalog: Stadt Pforzheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 57: Stadt Pforzheim (2003)

Nr. 81 Ev. Schloßkirche (Stiftskirche St. Michael) 1498

Beschreibung

Grabplatte des Johann Freigraf (Frigraf) aus Klein-Ägypten. Im nördlichen Nebenchor an der Wand; ursprünglich im Langhaus, im Mittelgang vor der Kanzel im Boden; zwischen 1830 und 1858 am heutigen Standort aufgerichtet. Hochrechteckige Platte aus rotem Sandstein mit Umschrift zwischen Linien; im Feld Vollwappen in flachem Relief. Oberfläche abgetreten.

Maße: H. 202, B. 110, Bu. 7,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

© Heidelberger Akademie der Wissenschaften [1/2]

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Datum: 28. Mai.

Wappen:
Freigraf aus Klein-Ägypten1.

Kommentar

Die Grabplatte hat schon früh Aufsehen erregt und wurde als Grabmal eines Zigeuners bezeichnet, weil der Herkunftsort Klein-Egipten mit Ägypten und damit mit einer sagenhaften Herkunft verbunden wurde2. Nomadenhaft umherziehende Volksgruppen sind in Deutschland seit dem frühen 15. Jahrhundert belegt. Sie nannten sich auch anderswo „von Klein-Ägypten“, so schon 1420, 1422 und später. Im Jahr 1439 erhielt ein Herzog Michiel von Klein-Ägypten in Utrecht Almosen. Neben wohlwollender Duldung der Fremdlinge stand auch Verfolgung3. In Pforzheim scheint man – wie die epigraphischen Quellen beweisen – den Zigeunern freundliche Aufnahme gewährt zu haben.

Das früheste Beispiel eines angeblich für einen Zigeuner errichteten Denkmals überliefert Crusius für 1445 in Steinbach bei Michelstadt im Odenwald (Hessen, Odenwaldkreis) als Epitaphium eines „PANVEL Hertzog in Klain Aegypten und Herr zum Hirschhorn desselben Landes“4. Crusius beschreibt eine zweite Platte mit einer lateinischen Inschrift in diesem Zusammenhang; diese Grabplatte eines „nobilis comes de minori clypeo“ aus dem Jahr 1453 soll sich in (Groß-)Bottwar (Lkr. Ludwigsburg) befunden haben5. Zu dem Pforzheimer Exemplar hat der Geheime Hofrat Philipp Jacob Bürcklin 1737 ein eigenes Memoriale verfaßt und dazu bemerkt, daß in der Pforzheimer Schloßkirche „bey der Canzel“ außerdem eine Tafel, wohl eine Holztafel, aufgehängt war, auf der dasselbe Wappen mit einer männlichen Figur mit Schwert und Fahne als Wappenhalter gemalt war6. Eine weitere gemalte Tafel mit der Grabinschrift eines „Antoni Frey-Graff aus Klein-Egipten“ aus dem Jahr 1552 ist für die Kirche in Pforzheim-Brötzingen bezeugt7.

Auch wenn diese Angaben nicht alle einen vertrauenswürdigen Eindruck erwecken, weil sie nicht nachprüfbar sind, so ist die erhaltene Grabplatte über jeden Zweifel erhaben, denn sie ist gut erhalten. Das Formular entspricht der üblichen Form; auffällig ist höchstens, daß das Fürbittgebet am Schluß verdoppelt wurde. Die Titulatur – der wohlgeboren Herr (lat. generosus) – ist seit der Mitte des 15. Jahrhunderts für Edelfreie und Grafen üblich8. Man hat also bei Abfassung der Grabinschrift keine Bedenken gehabt, den Verstorbenen dem Stand der Edelfreien bzw. Grafen zuzuordnen. Die Inschrift ist die in Pforzheim um 1500 übliche, schlank proportionierte Minuskel. Eng verwandt ist die Grabplatte des Jodocus Meyer († 1506)9. Gemeinsam ist beiden die offene Bildung des a mit gebrochenem oberen Bogen. Versalien sind nur in der Kopfzeile für das Anfangs-A und für das gezähnte M der Jahreszahl verwendet. Worttrenner sind nur vereinzelt gesetzt.

Textkritischer Apparat

  1. MCCCCXLIIII Bürcklin; M cccc xlviii (=1448) KdmBadenIX/6; MCCCCXLIIIII (=1445) Deimling (in Herbster, Kollektaneen); Gehres. – Die Jahreszahl ist jedoch eindeutig als 1498 lesbar.
  2. Freygraff Crusius; Frügraff Weygold.

Anmerkungen

  1. Linksgewendet. Quadriert, 1 u. 4: 6strahliger Stern über liegender Mondsichel, 2 u. 3: steigender Hirsch; Helmzier: über Helmkrone Stern und Mond (wie Feld 1 u. 4).
  2. Der Sammelname Zigeuner, heute durch die Bezeichnung „Sinti und Roma“ ersetzt, wird in historischen Untersuchungen im allgemeinen beibehalten.
  3. Vgl. Jütte, Robert, in: LMA 9 (1998) Sp. 610–612 (mit weiterführenden Literaturangaben).
  4. Vgl. Crusius, Annales Suevici 1595, pars III, 384. – Bei Pflüger nimmt der Bericht von der Ankunft von Zigeunern in Pforzheim sagenhafte Züge an, wobei die Grabplatte als Belegstück dient.
  5. Vgl. Crusius, Annales Suevici 1595, pars III, 401; DI 25 (Ludwigsburg) nr. 74. – Harald Drös weist darauf hin, daß diese Platte in Gotischer Majuskel beschriftet war und Crusius daher offensichtlich DE MINORI CLYPEO anstelle von DE MINORI EGYPTO gelesen und kopiert hat.
  6. Bürcklin hat eine – durch Papierfraß beschädigte – Federzeichnung beigelegt, die die Farben der Tafel genau verzeichnet; vgl. Karlsruhe, GLA 171/238 Spezialia Pforzheim, fol. 2. – Weygold hat 1747 die Darstellung auf der Tafel farbig wiedergegeben; vgl. KdmBadenIX/6, 151 mit Abb. 126.
  7. Vgl. nr. 147.
  8. Vgl. das bisher früheste – allerdings nur kopial überlieferte – Beispiel, der Graf von Helfenstein in Wiesensteig; vgl. DI 41 (Göppingen) nr. 53.
  9. Vgl. nr. 95.

Nachweise

  1. Crusius, Annales Suevici 1595, pars III, 510.
  2. Karlsruhe, GLA 171/1514, Bürcklin, Diözesanbeschreibung 1737, fol. 12.
  3. Karlsruhe, GLA 171/238 Spezialia Pforzheim-Stadt, Bürcklin 1737, fol. 1–3.
  4. Karlsruhe, GLA 47/39, Weygold, Epitaphia 1747, fol. 11 nr. 34.
  5. Karlsruhe, GLA 65/779, Herbster, Kollektaneen, Bd. 3, 1747, fol. 7v.
  6. Gehres, Pforzheim 1811, 31–33.
  7. Karlsruhe, GLA HFK 510, Herr, Collectanea Pforzheim 1830, fol. 48v, nr. 34.
  8. Mone, Quellensammlung I, 1848, 298, 334.
  9. Pflüger, Zur Geschichte der Stadt Pforzheim. In: Pforzheimer Beobachter 1858, nr. 210.
  10. Pflüger 1862, 184.
  11. KdmBadenIX/6, 146 nr. 14, Abb. 125 u. 126.
  12. Künzig/Ehmann, Pforzheim – ein Heimatbuch 1956, 79.
  13. Trost, Schloßkirche 1962, 24, 70 nr. 59 u. Abb. S. 25.
  14. Brändle, Gerhard, Johann Freigraf aus Kleinägypten. Das Grab eines Zigeunergrafen in der Pforzheimer Schlosskirche. In: Ängste und Auswege 1, 2001, 171–199 mit Abb. S. 172 (hier Todesjahr 1448).

Zitierhinweis:
DI 57, Stadt Pforzheim, Nr. 81 (Anneliese Seeliger-Zeiss), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di057h015k0008104.