Inschriftenkatalog: Stadt Pforzheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 57: Stadt Pforzheim (2003)

Nr. 67 Ev. Schloßkirche (Stiftskirche St. Michael) 1479,1528

Beschreibung

Grabdenkmal des Erhard Thorlinger (Türlinger, Doerlingen) und seiner Frau Ursula. Im nördlichen Nebenchor an der Nordwand. Hochrechteckige Platte aus grauem Sandstein mit Umschrift in erhabenen Buchstaben zwischen erhaben gearbeiteten Stegen. Die Inschrift beginnt und endet oberhalb der Mitte der rechten Längsleiste; ihr Anfang ist markiert durch eine erhabene Rosette, eine kleinere Rosette ist vor dem Anfang der Grabinschrift des Mannes eingefügt. Im rundbogig gerahmten Feld die Figuren der Verstorbenen in Relief, ihre Wappen zu Füßen. Der Mann trägt einen Plattenharnisch und hält das Schwert mit der Linken vor dem Leib aufgestellt, die Rechte ist in die Hüfte gestützt. Er ist als jugendlicher Adliger dargestellt und trägt bis zu den Schultern herabfallende Locken. Die Frau ist in einen weiten Umhang gehüllt, der auch den Kopf bedeckt, aber vorn das faltige Kleid sichtbar läßt. Ihre Hände sind zum Gebet zusammengelegt. Die Fußleiste ist durch weiße Ausblühungen beschädigt, sonst ist das Denkmal sehr gut erhalten.

Ergänzung nach KdmBadenIX/6.

Maße: H. 245, B. 120, Bu. 10–12 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

© Stadtarchiv Pforzheim [1/2]

  1. · An(n)o · do(min)i · 1479 · vff · sv(n)dag · nach · philip / [v(n)d iaco]bi staba) · die ersam · / frow · vrsel · thorli(n)gerin · der sel · in · friden · rvw · A(n)no Do(min)i · 〈1528〉 / vff 〈de(n) · fvnfe · tags me(r)tze(n)〉 starb / d(er) · vest Erhart · thorlingerb)

Datum: 2. Mai.

Wappen:
Thorlinger1, unbekannt2.

Kommentar

Erhard Thorlinger, markgräflich badischer Haushofmeister und Prinzenerzieher, gelangte 1480 in den Besitz des zuvor der Familie Weiler (von Pforzheim) gehörigen Hauses am Schloßberg3. Im Jahr 1495 ist er als Zeuge beim Kauf des Dorfes Eisingen (Enzkreis) durch Markgraf Christoph I. belegt4. Er überlebte seine Frau um neunundvierzig Jahre, wird also in sehr hohem Alter gestorben sein. Offensichtlich hat er das Grabdenkmal schon nach deren Tod 1479 in Auftrag gegeben; seine Grabinschrift von 1528 ist in einer gedrungener wirkenden Schrift mit breiter ausgeführten Hasten und ohne Worttrenner nachgetragen worden. Auch ist für seine Grabinschrift die modernere Datierung nach Monatstagen verwendet worden, während für die Ehefrau noch die Datierung nach Heiligenfesten eingesetzt wurde.

Der hervorragende Erhaltungszustand macht wahrscheinlich, daß das Denkmal trotz der Monolith-Form einer Deckplatte mit Umschrift nicht als Grabplatte, sondern als ein an der Wand aufgerichtetes Epitaph konzipiert war. Jedenfalls hat Crusius vor 1595 das Monument bereits an der Wand aufgerichtet gesehen5. Auch Gehres spricht 1811 von „zween Statuen von Stein“, also aufrecht stehenden Figuren. Er fügt hinzu, oberhalb des Denkmals sei ein Wappenschild mit einer Inschrift angebracht gewesen, die angeblich mit der Aufschrift „in jenem Statuenstein“ übereinstimme. Da diese Inschrift jedoch anders lautet und als Sterbe-Inschrift nur Erhard Thorlinger nennt, wird sie hier unter dessen Todesdatum eingeordnet6. Vermutlich handelte es sich um einen Totenschild, dessen Inschrift die zusätzliche Information lieferte, daß Thorlinger ohne Nachkommen als Letzter seiner Familie starb.

Innerhalb des Pforzheimer Denkmalbestandes nimmt das Grabmal eine Sonderstellung ein, denn es ist das einzige figürliche Denkmal in Relief aus spätgotischer Zeit, das sich in der Stiftskirche erhalten hat. Für ein Importstück spricht, daß es aus hellgrauem und nicht aus dem sonst in Pforzheim üblichen roten Sandstein gemeißelt ist. Der barhäuptig dargestellte Ritter präsentiert ein bis in Schulterhöhe aufragendes Schwert, verzichtet aber auf kriegerische Attribute – wie Turnierhelm und weitere Waffen. Mann und Frau neigen sich einander zu, womit die enge Zusammengehörigkeit des Paares sichtbar gemacht wird. Bei der männlichen Figur ist das Standmotiv nicht recht gemeistert, weil nur der Unterkörper ins Profil gedreht ist. Die Zuschreibung an den Pforzheimer Schreiner Hans Kern durch Rott ist abwegig, weil dieser einer späteren Generation angehörte7. Für eine Zuschreibung an den markgräflichen Werkmeister Hans Spryß, der um 1470/80 den Stiftschor mit Lettner schuf, fehlen die Kriterien, weil seine Leistung als Bildhauer nicht faßbar ist8.

Die erhaben ausgemeißelte Schrift ist im Umkreis von Pforzheim eine Seltenheit. Die in Vaihingen an der Enz (Lkr. Ludwigsburg) aufgefundene erhabene Minuskel ist nicht vergleichbar, denn sie preßt die Inschrift in ein Zweilinien-Schema9. Hier dagegen entfalten sich Ober- und Unterlängen, weil die gesamte Fläche zwischen den rahmenden Stegen für das Schriftband genutzt werden kann. Die erhabenen Buchstabenschäfte sind oben nicht flach, sondern entsprechen in ihrer Bildung quasi dem Positiv einer negativ eingetieften Gotischen Minuskel, d. h. sie sind im Querschnitt oben zugespitzt; also mit einer Art Grat versehen. Hinsichtlich ihrer Formgebung im einzelnen fallen das zweibogige E, das D mit verdoppeltem Bogen sowie die beiden Anfangs-A auf. Die letzteren entsprechen mit ihren nach links durchgebogenen Schäften und der Aufspaltung der Bögen der Inschrift auf der Pforzheimer Grabplatte des Johannes von Baden († 1481)10. Aus der gleichen Werkstatt stammt die Grabplatte des Bernhard I. von Sternenfels († 1489) in Kürnbach (Lkr. Karlsruhe)11.

Textkritischer Apparat

  1. So für starb.
  2. Chorlinger Gehres; Rott; Thorling Crusius.

Anmerkungen

  1. Linksgewendet. Oberhalber Hund mit beringtem Stachelhalsband.
  2. Geteilt, oben gespalten, in 1 und 2 je ein Ring, in 3 ein unterhalbes Mühlrad.
  3. KdmBadenIX/6, 312, 375f.; Trost, Adelssitze 1961, 120f., 137, 139; Haag/Bräuning, Stadtkataster 2001, 146 nr. 95. – Es handelte sich bei diesem Haus Schloßberg 3 um eines der historisch bedeutsamsten Häuser in Pforzheim, denn das Haus wurde schon 1447 bei der Hochzeit des Markgrafen Karl I. als das Haus des Paul Weiler genannt und beherbergte die Herzogin von Bayern mit dreißig Begleitpersonen. Nach 1475 scheint das Haus an den Markgrafen gefallen zu sein, der es an seinen Haushofmeister Thorlinger weitergab. Wohl bald nach dessen Tod 1528 ist das Haus an die von Nippenburg gekommen. Dies geschah wohl durch Erbschaft, denn Konrad von Nippenburg zu Schwieberdingen (vgl. DI 25 [Ludwigsburg] nr. 290) war in erster Ehe mit Rosilia Thorlinger, vielleicht einer Tochter von Erhard und Ursula, verheiratet. 1671 verkauften die Töchter des letzten Herrn von Nippenburg das Haus an Friedrich Jakob Göler von Ravensburg, der bereits das benachbarte „Gölersche Schloß“ (Schloßberg 12) von seinem Großvater, dem Engelhard Göler († 1654), Obervogt zu Pforzheim, geerbt hatte. Nach der Stadtzerstörung 1689 war das Haus Schloßberg 11 zum Brandplatz geworden und neu bebaut worden. Diese neuerbaute „Behaußung“ erwarben 1720 Gottfried von Mentzingen und seine Frau Amalie Elisabeth von Bettendorf zur Gründung des adligern „Fräuleinstifts“, das bis 1835 dort seinen Sitz hatte. Zu diesem Stift vgl. Geistliches Leben und standesgemäßes Auskommen. Adlige Damenstifte in Vergangenheit und Gegenwart. Hg. v. Kurt Andermann. Tübingen 1998.
  4. Pflüger 1862, 174.
  5. „Extra chorum templi, ambo in saxo erecto”; vgl. Crusius.
  6. Gehres 1811, 50. Vgl. hier nr. 119.
  7. Rott, Baden-Durlacher Hof 1917, 6. Hans Kern, in Pforzheim nachweisbar zwischen 1514 und 1530, fertigte 1512 das Chorgestühl für die Stiftskirche in Baden-Baden; vgl. KdmBadenXI/1 (Stadt Baden-Baden) 207–214.
  8. Zu Spryß vgl. Einl. XLVIII.
  9. Vgl. DI 25 (Ludwigsburg) nrr. 102, 110.
  10. Vgl. hier nr. 69.
  11. Sie ist ebenfalls aus hellgrauem Sandstein; vgl. DI 20 (Karlsruhe) nr. 88 mit Abb.

Nachweise

  1. Crusius, Annales Suevici, pars III, 605 (Inschrift lateinisch wiedergegeben).
  2. Gehres, Pforzheim 1811, 50 (ohne Wortlaut der Inschrift).
  3. Pflüger 1862, 174 Anm. 1.
  4. Rott, Baden-Durlacher Hof 1917, 6 (erwähnt).
  5. KdmBadenIX/6, 146 mit Abb. 124.
  6. Trost, Adelssitze 1961, 137 (erwähnt).
  7. Ders., Schloßkirche 1962, 32 nr. 56 mit Abb., 70 (hier mit falschem Standort).

Zitierhinweis:
DI 57, Stadt Pforzheim, Nr. 67 (Anneliese Seeliger-Zeiss), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di057h015k0006704.