Inschriftenkatalog: Stadt Pforzheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 57: Stadt Pforzheim (2003)

Nr. 62 Ev. Schloßkirche (Stiftskirche St. Michael) um 1470

Beschreibung

Zifferblatt einer mechanischen Uhr. An der Ostseite des Lettners, in der Mittelachse in die Maßwerk-Brüstung aus hellgrauem Sandstein eingearbeitet. Rundscheibe aus rotem Sandstein. In der Mitte Rosette, umgeben von einem ringförmigen Profil, das aus einem schmalen Rundstab und einer Kehle besteht. In die Kehle eingearbeitet sind die zwölf erhabenen Ziffern der Uhr. Die Rosette hat in der Mitte ein kreisrundes Loch, durch das ehemals die Achse mit den Uhrzeigern geführt war. Das Uhrwerk muß sich hinter der Brüstung befunden haben. Nach der Zerstörung der Kirche im Februar 1945 wurde die Brüstung weitgehend erneuert.

Maße: Dm. ca. 70, Bu. ca. 6 cm.

Schriftart(en): Arabische Ziffern.

© Heidelberger Akademie der Wissenschaften [1/1]

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Kommentar

Der Lettner trennt den von Hans Spryß von Zaberfeld um 1470 erbauten Stiftschor von dem älteren quadratischen Vorchor aus dem 1. Viertel des 14. Jahrhunderts1. Der Chorbau war notwendig geworden durch die Umwandlung der Pfarr- und Schloßkirche St. Michael in ein Kollegiatstift im Jahr 14602. Anstelle eines älteren kürzeren Sanktuariums mit 5/8–Schluß aus den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts trat nun der geräumige Chorbau. Er nahm das Chorgestühl für das Stift auf, das einem Dekan, zwölf Kanonikern und zwölf Vikaren Platz zu bieten hatte3. Der Chorneubau bildete zusammen mit der zweigeschossigen Sakristei an der Südseite und mit dem Lettner eine bauliche Einheit. Dem dreijochigen gewölbten Lettner ist in der Mitte ein Altar-Baldachin mit quadratischem Grundriß angegliedert, der vermutlich ehemals den Kreuzaltar aufnahm. An der Südwestecke dieses Baldachins befindet sich ein spätgotisches Figurentabernakel mit der Figur des hl. Petrus und dem Wappen der Familie Rappenherr, das zugleich das Wappen der Rot genannt Veyhinger ist. Vermutlich bezieht sich das Wappen auf eine Stiftung einer der beiden Familien. Oben auf der Lettnertribüne befanden sich die Orgel und der Zugang zum Obergeschoß der Sakristei, das als Archiv, Kirchenbibliothek und Schatzkammer genutzt wurde und Anfang des 16. Jahrhunderts die Bücher-Stiftung des Johannes Reuchlin aufnahm4.

Schon im Frühmittelalter war die Zeitmessung zuerst in den Klöstern mittels Sonnenuhren und Wasseruhren verbreitet, um die Aktivitäten der Mönche zu koordinieren5. Auch in den Choranlagen der Dom- und Stiftskirchen regelten Uhren die Tagzeiten-Gebete. Seit dem 14. Jahrhundert kamen erste Räderuhren mit Anzeige der Stunden und Antrieb durch Gewichte als eine bahnbrechende Entdeckung auf. Berühmt ist die Astronomische Uhr in der Zisterzienser-Klosterkirche Doberan, entstanden um 13906. In der Klosterkirche Blaubeuren sind noch heute mehrere Zifferblätter einer ehemals zentral aufgestellten Uhr erhalten. Auch im Fraterhaus in Königsstein im Taunus war 1470 eine Uhr mit Stundenglocke vorhanden. In Pforzheim war der Standort der Uhr auf dem Lettner nur für das Kollegium der Stiftsherren sichtbar und diente der pünktlichen Einhaltung der Stundengebete. Eine Uhr in Verbindung mit dem Lettner als zentralem, gut einsehbarem Standort war verbreitet. Eines der bekanntesten Beispiele ist die prunkvolle Uhr an der Schauseite des Lettners im Lübecker Dom7.

Während die überlieferten Sonnenuhren und die Zifferblätter von Uhren der Spätgotik meist römische Zahlen zeigen, verwendet die Uhr des Lettners arabische Ziffern mit überwiegend eckigen Formen. Die Eins ist jeweils bogenförmig geschwungen und unten nach rechts umgebogen. Die spitze Zwei und Drei sind schräggestellt, so daß der Schrägschaft fast waagrecht verläuft. Die schlingenförmige Vier ist eckig und oben spitz. Die eckige, linksgewendete Fünf nimmt die geschwungene Form der Eins in ihrem rechten Schaft auf. Während die Sechs und die Neun der modernen Form entsprechen, ist die Sieben lambdaförmig, die Acht eckig und oben und unten spitz.

Anmerkungen

  1. Zur Baugeschichte vgl. KdmBadenIX/6, 68f., 125–131. Speziell zum Chorbau und zu Hans Spryß vgl. Seeliger-Zeiss, Spätgotik Hirsau 1991, 306–312.
  2. Vgl. dazu Einl. XXV.
  3. Später kamen noch der Propst und ein zusätzlich bepfründeter Pfarrer hinzu. Zur Gründung und Geschichte des Stifts vgl. Fouquet, St. Michael in Pforzheim 1983, 113ff.
  4. Zur Nutzung dieser doppelgeschossigen Sakristei als Kirchenbibliothek vgl. Timm, Christoph, Ein Raum für Reuchlin. Das Reuchlin-Kolleg – Bedeutung und Wiederaufbau. In: Ängste und Auswege I, 2001, 219–237.
  5. Vgl. LM 8 (1997) Sp. 1181–1184 (Stichwort Uhr; Vf. G. Dohrn-van Rossum); LM 9 (1998) Sp. 515–517 (Stichwort Zeitmessung, Zeitmeßgeräte; Vf. A. J. Turner).
  6. Vgl. Erdmann, Wolfgang, Zisterzienser-Abtei Doberan. Kult und Kunst. Königstein im Taunus 1995, 68f. (mit weiterführenden Literaturangaben).
  7. Der dortige Lettner des 14. Jahrhunderts erhielt die Uhr erst 1627/28. Aber die Lübecker Marienkirche besaß eine Astronomische Uhr schon aus der Zeit um 1410, deren Zifferblätter bei späteren Umgestaltungen beibehalten wurden.

Nachweise

  1. KdmBadenIX/6, 128.

Zitierhinweis:
DI 57, Stadt Pforzheim, Nr. 62 (Anneliese Seeliger-Zeiss), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di057h015k0006209.