Inschriftenkatalog: Stadt Pforzheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 57: Stadt Pforzheim (2003)

Nr. 15 Ev. Schloßkirche (Stiftskirche St. Michael) 1324

Beschreibung

Grabplatte des Priesters Trutwin (?) und seiner Mutter Luitgardis (Lucgardis). Ursprünglich im südlichen Teil des Westbaues; nach 1945 außen am Chor, Nordseite; im Dezember 2001 Aufstellung im Vorchor an der Südwand. Rechteckplatte aus rotem Sandstein mit Umschrift zwischen Linien, im Feld Ritzzeichnung eines Priesters beim Meßopfer, dargestellt im Profil nach links. Die Umschrift beginnt oben links mit einem Invokationskreuz; für den ersten Sterbevermerk auf der rechten Längsseite ist eine umfangreiche Lücke für den Eintrag der Sterbedaten gelassen. Schon 1939 war rechts unten ein Teil der Randleiste zerstört (Buchstabenverlust); nach 1945 weitere schwere Beschädigungen, im unteren Drittel schräglaufender Bruch, Gesicht und Hände ausgebrochen, links unten große Fehlstelle durch Absplittern der Oberfläche, abblätternde Oberfläche.

Ergänzung nach KdmBadenIX/6.

Maße: H. 233, B. 83, T. 22–23, Bu. 6–7,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

© Heidelberger Akademie der Wissenschaften [1/1]

  1. + ANNO · D(OMI)NI · / M° · CCC°a) 〈– – –〉 · O(BIIT) · TṚṾ[. . . . . .] / RECTOR · ECC(LESI)E [· / IN · OTENSHA]IN · ET · X · X° · IIII° · O(BIIT) · LVCGARD(IS) · MAT(ER) · EI(VS) ·

Übersetzung:

Im Jahr des Herrn 13(. .) starb Tru(twin) Rektor der Kirche in Ötisheim (?) und (13)24 starb Lucgardis, seine Mutter.

Kommentar

Weder Trutwin noch seine Mutter sind urkundlich belegbar. Die Ergänzung des Vornamens zu Tru(twinus) wird dadurch gestützt, daß eine Familie dieses Namens vom 14. Jahrhundert ab mehrfach in Vaihingen a. d. Enz (Lkr. Ludwigsburg) nachweisbar ist1. Auf den engen Zusammenhang dieser Familie mit Pforzheim weist die Tatsache hin, daß das Wappen der Trutwin – gespalten, zwei senkrecht gestellte Fische – später gleichfalls von den Pforzheimer Patrizierfamilien Rappenherr und Rot (oder Reut) genannt Veyhinger geführt wird2. Hier handelt es sich um den Vornamen des Priesters und nicht um einen Familiennamen, was immerhin anzeigt, daß dieser seltene Name auch in Pforzheim vorkam. Das Weglassen des Familiennamens ist beim Klerus im 13. Jahrhundert durchaus üblich. Auch waren die Namen bürgerlicher Familien im 13. Jahrhundert noch nicht festgeschrieben, was ebenfalls für eine frühe Datierung der Platte spricht. Eine Lucard ist 1292 als Witwe des Albert Liebener zu Pforzheim belegt3. Es handelt sich bei diesem Namen um die volkstümliche Form für Luitgard (oder Liutgard)4.

Trutwin wird als RECTOR ECCLESIE IN OTENSHAIN bezeichnet. Der heute zerstörte Ortsname erlaubt verschiedene Deutungen. Nach Krieger5 wären Odenheim (Lkr. Karlsruhe), Ötigheim (Lkr. Rastatt), Ötisheim (Enzkreis) oder Ottenheim (Gde. Schwanau, Ortenaukreis) möglich. Für die Pfarrkirche in Ottenheim ist zwischen 1296 und 1419 mehrfach ein rector ecclesiae nachgewiesen. Andererseits spricht die Nähe Pforzheims als Bestattungsort eher für Ötisheim.

Die Ikonographie eines ins Profil gedrehten Priesters, der bei der Elevation der Hostie während der Eucharistiefeier dargestellt ist, begegnet gerade um 1300 mehrfach. Vergleichbar sind Priester-Grabplatten in den Klosterkirchen von Alpirsbach und Wittichen (Gde. Schenkenzell, Lkr. Rottweil)6. Solche frei gezeichneten „Flachbilder“7 waren besonders in Frankreich, aber vermutlich auch im deutschen Bereich schon im 13. Jahrhundert weit verbreitet, weil sie geringere Kosten als ein plastisches Bildwerk verursachten und ebenerdig im Kirchenboden verlegt werden konnten.

Die mit einem Invokationskreuz und besonders großen und breiten Buchstaben einsetzende Schrift zeigt den Wechsel von kapitalem und rundem N, der in der Zeit um die Wende zum 14. Jahrhundert gerade für die Schreibung des einleitendes Wortes ANNO charakteristisch ist. So weit noch festellbar überwiegen die unzialen Formen. Die Hastenenden sind oben und unten keilförmig verbreitert. Diese formalen und epigraphischen Kriterien entsprechen der Entstehungszeit des Denkmals 1324 nach dem Tod der Luitgardis. Offenbar war der Tod der Mutter der Anlaß gewesen zur Stiftung des Denkmals zugleich für den Sohn, dessen Sterbedaten später nicht nachgetragen wurden. Da auf der linken Längsleiste nur noch wenig Raum vorhanden war, sind alle Wörter mit Kürzungen versehen. Für die Jahreszahl sind nur die Zehner und Einer eingesetzt; daß man sich im ersten Viertel des 14. Jahrhunderts befand, war für die Zeitgenossen eindeutig.

Textkritischer Apparat

  1. Das hochgestellte Zahlzeichen könnte auch eine Beschädigung des Steins sein.

Anmerkungen

  1. Vgl. DI 25 (Ludwigsburg) nrr. 43 , 72, 104 u. ö.
  2. Vgl. nrr. 18, 22.
  3. Carl, Regesten Pforzheim 1998, 36f. nr. 43.
  4. Auch Luitgard von Bonlanden († 1326), Witwe Graf Albrechts I. von Löwenstein und erste Gemahlin des Markgrafen Rudolf IV. († 1348), die Stifterin des Pforzheimer Spitals, wurde in den Pforzheimer Quellen von 1322 und 1323 Lukard(is) oder Lutgard(is) genannt; vgl. Carl, Regesten Pforzheim 1998, 49 nr. 74, 50 nr. 78, 79, 51 nr. 80.
  5. Krieger Bd. 2, Sp. 404, 447, 451.
  6. Vgl. Seeliger-Zeiss, Alpirsbach, Inschriften 2001, 524 u. nr. 11.
  7. Definition und Beispiele bei Bauch, Grabbild 1976, 282–291.

Nachweise

  1. KdmBadenIX/6, 153 nr. 32, Abb. 129.
  2. Trost, Schloßkirche 1962, 23 (Lesung unsicher), 67 nr. 8.
  3. Köhler/Timm 1996, 30f.

Zitierhinweis:
DI 57, Stadt Pforzheim, Nr. 15 (Anneliese Seeliger-Zeiss), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di057h015k0001500.