Inschriftenkatalog: Stadt Pforzheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 57: Stadt Pforzheim (2003)

Nr. 99 Ev. Schloßkirche (Stiftskirche St. Michael) 1510

Beschreibung

Epitaph und Stiftungsinschrift für ein Seelgerät für Nicolaus Weiler (Wyler). Im nördlichen Seitenschiff des Langhauses, am Pfeiler gegenüber von der sog. Margarethen-Kapelle, an der „Kanzel-Saul“. Tafel aus weißem Sandstein, umrahmt von einer spätgotischen Zierarchitektur. Sie besteht aus einem Tabernakel, dessen Rahmenprofile sich durchdringen und als Bekrönung einen geschweiften Giebel bilden. Die inneren Rundstäbe sind Aststäbe über zweiteiligen, gedrehten Sockeln. Im Feld die fünfzehnzeilige Inschrift, darunter – nach rechts gerückt – ein Wappenschild. Sehr gut erhalten.

Maße: H. 170, B. 88, Bu. 4–5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

© Heidelberger Akademie der Wissenschaften [1/2]

  1. Anno · / d(omi)ni xvc x vff de(n) x tag Julij / ist der wirdig he(r) Niclaus Wy=/ler canonick disz Stiffts gestor=/ben Ein stifft(er) Zweye(r) mesza) · vff / heillig crucz alta(r) ein vo(n) de(r) heilligen / driualtikeit vff Suntag zu lesen Die / ander vff mitwoch vo(r) de(m) liden chr(ist)ib) zu / singe(n) Zu trost sin Vatte(r) vn(d) mutte(r) / geschwisterig Auch die er insumde(r)/heit vermey(n)t vn(d) allen glaubigen / selen Die heillige driualtikeit vn(d) / das liden Cristi wöl ir selen gne=/dig barmherczig trostlich sin / Jn pace quiescant Amen ·

Übersetzung:

Sie mögen in Frieden ruhen!

Wappen:
Weiler1.

Kommentar

Nicolaus Weiler gehörte einer der führenden Pforzheimer Familien an2. Der in der Inschrift genannte Vater des Nicolaus soll Paul Weiler, Vogt in Mühlburg († vor 1486), gewesen sein; die Mutter ist unbekannt. Nach dem Studium 1463–1465 an der Universität Basel3 begegnet Nicolaus 1484 und 1488 als Vikar des Kreuzaltars der Stiftskirche, dessen Präbende seine Familie zu vergeben hatte. 1487 erfolgte die Präsentation auf eine Stiftsherrenstelle am Matthias-Altar. Im Jahr 1486 wurde dem Nicolaus Weiler das Stiftsherrenhaus Pfarrgasse 16 gefreit4. Nach seinem Tod erhielt die Pfründe sein Bruder Dietrich Weiler († 1534). Dietrichs Testament ist überliefert und zeigt eindrucksvoll, welch reiche Ausstattung an Mobiliar und an Büchern im Hof eines Pforzheimer Stiftsherrn an der Schwelle zur Reformation vorhanden war5. Unter den Vermögenswerten befanden sich auch Bergbauanteile (Kuxen) im Erzgebirge. Ein jüngerer Bruder des Nicolaus, vermutlich aber eher ein Neffe, soll Matern Weiler gewesen sein, dessen Grabplatte in der Stiftskirche erhalten blieb6.

Beträchtlicher Reichtum ermöglichte schon vor 1510 die mehrfache Seelgerätstiftung des Nicolaus und ihre schriftliche Fixierung in Stein von der Hand eines Schrift-Künstlers und Steinmetzen. Eine solche Stiftungstafel war 1503 bereits für den Landhofmeister Burkhard von Reischach geschaffen worden7. Eine dritte Stiftungstafel ist die Tafel des Johann Widmann von 15228. Wie der Text aussagt, war die Seelgerätstiftung des Nicolaus Weiler nicht nur dem eigenen Seelenheil gewidmet, sondern ausdrücklich seinen Eltern und Geschwistern und weiteren hier nicht näher benannten Personen sowie allen gläubigen Seelen. Die Tafel war zugleich Epitaph mit Grabinschrift.

In der Gestaltung folgt die Art der Rahmung durch Astwerkstäbe dem Vorbild der Reischach-Tafel, doch ist die Gotische Minuskel kunstvoller gebildet. Sie verwendet mehrfach Versalien, die teils der Gotischen Majuskel zu entstammen scheinen, teils Züge der schreibschriftlichen Bastarda tragen. Besonders reich gestaltet ist das Anfangs-A von Anno. Die Schäfte der Versalien wurden einseitig gezackt, die Bögen von Zierstrichen begleitet. Die Datumszeile ist auffallend locker gestaltet mit großen Zwischenräumen, so daß der nachträgliche Eintrag des Todestages und die Entstehung der Tafel zu Lebzeiten zu erwägen ist9.

Textkritischer Apparat

  1. Bei stiffter und zweyer handelt es sich eindeutig um eine r-Kürzung am Ende; Ein stiffter Zweyer mess ist logisch als Apposition zum vorangehenden Satz. Doch haben andere Transkriptionen diese Kürzungszeichen ignoriert und schreiben: Ein stifft Zweye Meß.
  2. Geschrieben xpi mit Kürzungsstrich darüber.

Anmerkungen

  1. Gestürzte Spitze, belegt mit gekrönter Schlange.
  2. Zu den biographischen Angaben vgl. Trost, Schloßkirche 1962, 26; Ehmann, Das Geschlecht von Wyler/Weiler 1976/78, 64; Fouquet, St. Michael in Pforzheim 1983, 160. – Die Weiler besaßen mehrere Häuser in Pforzheim. Die Angaben darüber sind widersprüchlich, weil die Straßennamen und Hausbezeichnungen wechselten. Jedenfalls besaß Paul Weiler, der Vater des Verstorbenen, 1447 mit dem Haus Pfarrgasse 11 in nächster Nähe des Schlosses eines der größten und vornehmsten Häuser der Stadt; vgl. KdmBadenIX/6, 375; Trost, Adelssitze 1961, 139; ders., Schloßkirche 1962, 26.
  3. November 1465 Bacc. Artium; vgl. Kremer, Lateinschule 1997, 134.
  4. Vgl. Trost, Adelssitze 1961, 89, 101; Haag/Bräuning, Stadtkataster 2001, 137. nr. 71.
  5. Der Text des Testaments ist in der Edition durch Korth greifbar geblieben; vgl. Korth, Urkunden Pforzheim 1899, 36–44, nr. 11; das Testament ist ausgewertet bei Fouquet (wie Anm. 2) 160.
  6. Vgl. nr. 134.
  7. Vgl. nr. 92.
  8. Vgl. nr. 112.
  9. Der Todestag ist eindeutig ; deshalb ist die Angabe 1497 bei Ehmann falsch; vgl. Ehmann (wie Anm. 2) 64.

Nachweise

  1. Karlsruhe, GLA 171/1514, Bürcklin, Diözesanbeschreibung 1737, fol. 15.
  2. Karlsruhe, GLA 47/39, Weygold, Epitaphia 1747, nr. 29.
  3. Gehres, Pforzheim 1811, 30.
  4. Karlsruhe, GLA HFK 510, Herr, Collectanea Pforzheim 1830, fol. 48, nr. 29.
  5. Pflüger 1862, 183 Anm. 1.
  6. KdmBadenIX/6, 138f. nr. 2.
  7. Trost, Schloßkirche 1962, 26.

Zitierhinweis:
DI 57, Stadt Pforzheim, Nr. 99 (Anneliese Seeliger-Zeiss), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di057h015k0009900.