Inschriftenkatalog: Stadt Pforzheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 57: Stadt Pforzheim (2003)

Nr. 90† Ev. Schloßkirche (Stiftskirche St. Michael) E. 15./A. 16. Jh.

Beschreibung

Kruzifix mit Beischriften. Holz, mit (geschnitztem?) Corpus in Lebensgröße. Um 1760/70 noch vorhanden; abgegangen. Auf der Rückseite des Querbalkens Inschrift A, am Kreuzstamm B, unter dem Gekreuzigten C. Keine Angaben zur Gestaltung der Inschriften.

Überliefert durch GLA 65/1074, Memorabilia Phorcensia.

  1. A

    Longitudo Ligni Transversalis

  2. B

    [. . . . . . . . .]a) Ligni Erecti Crucis CHR(IST)Ib)

  3. C

    Statura Humana CHR(IST)Ib) Salvatoris

Übersetzung:

Länge des Querholzes (A). – (Länge) des aufgerichteten Holzes des Kreuzes Christi (B). – Die menschliche Gestalt des Heilands Christus.

Kommentar

Der Verfasser der Liste von Pforzheimer Denkmälern, wahrscheinlich der Pforzheimer Prorektor Gottlieb Berchtold Deimling (1711–1773), überliefert als einziger Augenzeuge die Inschriften des Kreuzes. Er bemerkte zu dem Kruzifix, man „praetendiere, daß es das aechte Bildniß Christi vorstelle, gleichwie (das) Creuz nach der wahren Größe des eigentlichen Creuzes Christi soll gemacht seyn“. Offensichtlich handelte es sich um ein monumentales Kruzifix mit einer lebensgroßen Figur des Gekreuzigten. Danach kann das Kreuz nicht identisch sein mit dem von Lacroix erwähnten, 1945 zerstörten, auf dem Lettner aufgestellten Triumphkreuz, weil dessen Corpus mit einer Länge von 220 cm überlebensgroß war1. Lacroix hätte die Inschriften zuverlässig wiedergegeben.

Die Bemühung um die gleichen Dimensionen, die das Kreuz Christi angeblich gehabt haben soll, entspricht dem Wunsch nach einem besonderen Wahrheitsgehalt der Darstellung, der durch die Beischriften noch unterstrichen wird. Da alle religiöse Kunst bis zum Spätbarock hin diesen Wahrheitsanspruch vertrat, ist die Datierung des verlorenen Bildwerks ins 15. Jahrhundert nur ein Versuch einer zeitlichen Einordnung. Diese wird gestützt durch die Annahme, daß das Kollegium der Stiftsherren Wert auf den Besitz eines durch seinen besonderen Wahrheitsgehalt ausgezeichneten Bildwerks legte, daß also die Blütezeit des Kollegiatstifts als Entstehungszeit des Kreuzes angesehen werden kann. Da auch nach der Reformation die spätgotische Darstellung des Kreuzes Christi in Regionen lutherischer Konfession in Ehren gehalten wurde, ist das Kreuz offenbar bis in die Zeit Deimlings erhalten geblieben und erst der Epoche der Aufklärung und des Rationalismus zum Opfer gefallen.

Parallelen zu der hier überlieferten Länge des Kreuzes bieten die zahlreichen Beispiele von Angaben zur Körperlänge Christi. Ein Beispiel aus dem Kloster Disibodenberg beschränkt sich auf die Angabe der Körpergröße Jesu, verwendet ebenfalls die Bezeichnung longitudo cristi und wird gleichfalls im 15. Jahrhundert angesetzt2. Auch die Länge des Grabes Christi gehört zu diesen „heiligen Längenmaßen“ und war offenbar besonders verbreitet, seit der Besuch des Grabes in Jerusalem zum Programm der Palästina-Pilger gehörte und die Kenntnis von der Ausstattung der Grabeskirche sich nördlich der Alpen verbreitete3. So überliefert Crusius die Maße der „Sarkophage“ von Jesus und Maria, die – begleitet von erklärenden Inschriften – 1492 im Kreuzgang des Klosters Bebenhausen in die Kirchenwand eingehauen worden waren4. In diesen Zusammenhang gehört auch die unmittelbar aus der Grabeskirche wörtlich entlehnte Beischrift eines verlorenen Bildwerks in der Pforzheimer Stiftskirche5, was nur beweist, daß solche Verbindungen zu den Pilgerorten im Heiligen Land sich nicht nur in Architektur-Kopien oder Bildwerken, sondern auch in epigraphischen Zeugnissen greifen lassen.

Textkritischer Apparat

  1. Vermutlich hier analog zu A zu ergänzen: Longitudo.
  2. Befund: griech. XPI, überstrichen mit Strich mit Ausbuchtung nach oben.

Anmerkungen

  1. Lacroix hat das Kreuz leider nicht durch eine eigene Abbildung dokumentiert, jedoch läßt die Photographie der Lettnerbrüstung mit dem Kreuz die Vermutung zu, daß es sich bei diesem Triumphkreuz um ein ausgezeichnetes Werk aus der Nachfolge des 1467 entstandenen Baden-Badener Kreuzes von Nicolaus Gerhaerts handelte; vgl. KdmBadenIX/6, 119 mit Abb. 91 und 133f.
  2. Vgl. DI 34 (Bad Kreuznach) nr. 207.
  3. Die Bibliographie zu diesem Thema und weitere Beispiele hat Eberhard Nikitsch zusammengestellt; vgl. ebd.
  4. Vgl. Crusius, Annales Suevici 1595, pars III, 492.
  5. Vgl. hier nr. 110.

Nachweise

  1. Karlsruhe, GLA 65/1074, Memorabilia Phorcensia, 1760/70, fol. 21r.

Zitierhinweis:
DI 57, Stadt Pforzheim, Nr. 90† (Anneliese Seeliger-Zeiss), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di057h015k0009006.