Inschriftenkatalog: Stadt Osnabrück

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 26: Stadt Osnabrück (1988)

Nr. 66† St. Marienkirche nach 1490

Beschreibung

Holztafel an den Chorschranken. Auf der Tafel befand sich eine in Weiß auf schwarzem Grund ausgeführte Inschrift. Die Tafel wurde im 2. Weltkrieg zerstört.

Inschrift nach Runge.

  1. Als men na Christus gebortdusent und veerhundert förtdarto Achtig achte schref,Lenetea) sinen mothwillen drefto Ossenbrugge: dat geschachup Sanct Bartholomei dag1).Darvan quam groet niedt und haeth,unenigkeit und[e]b) Twedracht.tho der tidt stund gans toruggeEdt und plicht to Ossenbrugge.dit spel wordt gedreven forwar,beth man darna schref apenbardusent verhundert negentig;even do ward Lenthun hengerichtvom bödel – dat mercke even! –und möst den geest upgevenup den marckede met klagean Sanct Urbani dage2).

Kommentar

In der Marienkirche hingen wie im Dom mehrere Tafeln mit in Verse gekleideten Episoden aus der Osnabrücker Geschichte (vgl. Nr. 75, 126). Die Verse über den Aufstand dürften wohl bald nach dem Ereignis verfaßt und auf Geheiß des Rates in der Marienkirche zur Belehrung und Warnung der Bürger aufgehängt worden sein.

Die Umlautbezeichnung der Worte fört, bödel und möst ist vermutlich auf eine Restaurierung der Tafel zurückzuführen. Darauf verweist das zu fört gehörende Reimwort gebort. Runge3) weist darauf hin, daß ein an der linken Seite von oben nach unten verlaufender dunkler Streifen wohl von einer Ausbesserung der Tafel stammte. Diese könnte nach dem Brand von 1613 erforderlich geworden sein. Der Schneider Johann Lenethun war verarmt und, da er seine Abgaben an den Klerus nicht zahlen konnte, mit dem „schweigenden Bann“ belegt worden, der ihn vom Kirchenbesuch und den Sakramenten ausschloß4). Er wurde zum Wortführer eines vorwiegend aus dem unteren Mittelstand stammenden Teils der Osnabrücker Bevölkerung, dessen Unzufriedenheit sich in erster Linie gegen die Geistlichkeit, dann aber auch gegen den Rat der Stadt richtete, dem man mangelnde Fürsorgepflicht für seine Bürger und eine kostspielige und erfolglose Außenpolitik anlastete. Bestimmend für die Unzufriedenheit war indessen die allgemeine Verweltlichung des Klerus – einer der Beschwerdepunkte der Aufrührer richtete sich gegen die „Pfaffenmägde“ –, die eng gekoppelt war mit einem wachsenden Besitzstreben der Geistlichkeit. Man verlangte die Beseitigung der Zäune, mit denen sowohl der Klerus als auch das reiche Bürgertum seinen Grundbesitz umgab und damit die Gemeindeweide entzog. Der Rat sollte die Konkurrenz unterbinden, die dem städtischen Handwerk durch Betriebe auf den geistlichen Freiheiten der ländlichen Umgebung erwuchs. Der Rat machte jedoch keine Zugeständnisse. Die Unruhen, in deren Verlauf die Zäune des geistlichen Grundbesitzes niedergerissen und das Kloster Gertrudenberg gestürmt wurde, dauerten anderthalb Jahre, ebbten aber langsam ab, so daß es dem Rat am 25. Mai 1490 möglich war, den inzwischen recht isoliert dastehenden Lenethun festzunehmen und noch am selben Tag ohne nennenswerten Protest der Bevölkerung hinzurichten.

Textkritischer Apparat

  1. Lenete] Da sich dieses Wort auf dem übermalten Streifen befand, vermutete schon Runge, daß hier ursprünglich Lenetu mit Kürzungsstrich über dem u gestanden hat.
  2. So bei Runge.

Anmerkungen

  1. 24. August.
  2. 25. Mai.
  3. Runge, OGQu. Bd. 2, S. 323.
  4. Hauptquelle für die Ereignisse, auf die sich alle spätere Geschichtsschreibung bezieht, ist die Chronik 2, S. 199–211; vgl. a. H. B. Meier, S. 93–105.

Nachweise

  1. Runge, OGQu. Bd. 2, S. 323.

Zitierhinweis:
DI 26, Stadt Osnabrück, Nr. 66† (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di026g003k0006604.