Inschriftenkatalog: Stadt Osnabrück

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 26: Stadt Osnabrück (1988)

Nr. 39 Diözesanmuseum 1447

Beschreibung

Reliquienschrein, sog. „Cordulaschrein“. Eichenholz mit teilweise vergoldeten Silber- und Kupferbeschlägen, Edelsteine. Das Reliquiar in Form einer einschiffigen Kirche mit Satteldach weist an beiden Langseiten – durch Strebepfeiler getrennt – je fünf gotische Maßwerkfenster auf, die den Blick auf das Innere freigeben. Vor den äußeren und dem mittleren Fenster jeweils eine Heiligenfigur. Auf der einen Langseite links der heilige Stephan im Diakonsgewand mit Buch und Steinen; in der Mitte eine weibliche Heilige mit Krone und Märtyrerpalme, wahrscheinlich Cordula; rechts mit Buch und Szepter, im Rücken ein Schwert Petrus Martyr. Unterhalb der Figuren auf der Sockelschräge über die ganze Langseite in erhabenen Buchstaben die Inschrift (A). Die einzelnen Worte sind durch plastische Rosetten getrennt. Auf der – entsprechend gestalteten – gegenüberliegenden Seite links die Figur eines Papstes ohne Attribut; in der Mitte eine weibliche Heilige mit Krone und Märtyrerpalme; links Antonius mit Stab und Buch, zu seinen Füßen ein Schwein. Auf dem Sockel die Inschrift (B), ausgeführt wie die Inschrift der anderen Langseite. Auf der einen Schmalseite ein großes durchbrochenes Maßwerkfenster, auf der anderen auf mit Rauten gemustertem Grund Edelsteine. Die Dachflächen sind entsprechend der Kastenwandung in je fünf vertiefte, oben rundbogige Felder mit Maßwerk gegliedert.

Maße: H.: 45,5 cm; B.: 62,5 cm; T.: 30 cm; Bu.: 1,7 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

Sabine Wehking [1/4]

  1. A

    + cardulaa) ∗ corda ∗ iuva ∗ que ∗ multis ∗ clauderis ∗ intra ∗

  2. B

    ∗ Bochroit ∗ nicolai ∗ custos ∗ domusb) ∗ hoc ∗ struit ∗ anno ∗

Übersetzung:

Cordula, hilf den Herzen, in denen du bei vielen eingeschlossen bist. (A)

Der Domküster Bochroit hat dieses errichtet im Jahr des Nikolaus. (B)

Versmaß: Zwei Hexameter.

Kommentar

Witte1) hat als erster erkannt, daß die Inschrift eine genaue, wenn auch versteckte Jahresangabe enthält, da aus metrischen Gründen die zu anno gehörende Bestimmung nicolai an den Anfang gerückt wurde. Er hält die Heiligenfigur in der Kleidung eines Augustinereremiten für Nikolaus von Tolentino, dessen Kanonisation 1446 stattfand und meint daher das Jahr 1447, in dem Nikolaus V. zum Papst gewählt wurde, als Datierung ausscheiden zu können. Er übersieht indessen das Schwein zu den Füßen des Heiligen, das diesen einwandfrei als Antonius ausweist. An Nikolaus von Tolentino ist daher nicht zu denken. Dagegen könnte es sich bei der Figur des Papstes auf derselben Langseite um Nikolaus V. handeln. Die Datierung auf 1447 dürfte folglich zutreffender sein. Der in der Inschrift genannte Domküster Bockraden war ein Namensvetter Nikolaus V., was die eigentümliche Form der Datierung begründen mag. Er war nicht, wie Mithoff2) die Inschrift mißversteht, der Künstler, sondern der Stifter des Reliquienschreins und läßt sich von 1434 bis 1474 in den Domurkunden nachweisen3), wo er als Thesaurar bezeichnet wird. Von Bockraden sind mehrere Stiftungen überliefert. Er begegnet auch als Stifter des Reinergrabmals (vgl. Nr. 50) und eines Fensters im Dom, an dem sein Wappen angebracht ist.

Den Schrein hatte Witte4) aus stilistischen Gründen der Werkstatt des Osnabrücker Goldschmieds Johann Dalhoff zugeschrieben, von dem auch das Gefäß für heilige Öle und die Hostienbüchse im Domschatz (vgl. Nr. 41 u. 46) stammen. Die stilistische Verwandtschaft dieser Stücke wird bestätigt durch den Schriftduktus: In allen Fällen sind e und r sehr ähnlich ausgeführt, so daß sie kaum anders als aufgrund ihrer Stellung im Wort zu unterscheiden sind, und haben sehr lange, nahezu bis auf die Zeile herabgezogene Caudae. Der Abschlußstrich des h reicht bis weit unter die Zeile, s ist mit einem durchgehenden Querstrich versehen.

Textkritischer Apparat

  1. cardula] cordula Berlage, Mithoff, Schriever, Borchers.
  2. Das lange u in domus (Gen. Sgl.) paßt nicht ins Versmaß.

Anmerkungen

  1. Witte, Domschatz, S. 46f.
  2. Mithoff, S. 112.
  3. StAO Findbuch Rep. 2, Bd. 2.
  4. Witte, Domschatz, S. 50ff.

Nachweise

  1. Lübke, S. 408.
  2. Berlage, Kirchliche Alterthümer, S. 338.
  3. Mithoff, S. 112.
  4. Schriever, S. 95f., Abb. ebd.
  5. Siebern/Fink, S. 79.
  6. Witte, Domschatz, S. 44, Abb. Taf. 27, 28.
  7. Borchers, Domschatz, S. 105, Abb. 141–145.
  8. Abb.: Fritz, Abb. 407, 408.

Zitierhinweis:
DI 26, Stadt Osnabrück, Nr. 39 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di026g003k0003904.