Inschriftenkatalog: Stadt Osnabrück
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 26: Stadt Osnabrück (1988)
Nr. 166† St. Marienkirche 1594
Beschreibung
Epitaph des Bürgermeisters Rudolph Hammacher, früher im Chorumgang der Marienkirche an der Rückwand des Altars. Holz, bemalt. Das Epitaph wurde im 2. Weltkrieg beim Brand der Marienkirche zerstört1).
Laut Siebern/Fink bestand das Epitaph aus einer hochrechteckigen, von Säulen gerahmten Tafel, die durch eine Bekrönung mit dem Bild des Bürgermeisters abgeschlossen wurde. Auf der Tafel die Inschrift (A), auf einer Kartusche unterhalb der Tafel die Inschrift (B).
Inschriften nach F. Lodtmann.
- A
Rudolph Hammachers dürr GebeinThuen rugen unter diesem Stein,Welcher bey lebens zeitten zwarIn dieser Statt berühmet war,5Berümbt von lieb der Gerechtigkeit,Berümbt warer Gottseligkeit,Berümbt von hohem weisen rath,Von grosser trew und ehren that.Dann weil er einn fromn Vater hett,10Die Mutter von Leden geschlecht,Hat er gefasset mit dem geblüetEin gute Natur und froms gemüet,Welchs er darnach außzierte sehrDurch gute künst und feine lehr,15Insonders durch erkenntnuß rechtGottes und seines willens schlecht.Ueber solch deß gemüts gabenSich Gottes segen reichlich erhaben.Ein tugentsamb Weib ihm Gott beschert,20Die zeitlichen Güter mit ehren mehrt.Von seiner Tochter ReginaViel Kindtskindt er geboren sah.Heinrich Nitze ihr Ehemann warFleißig guter Sitten und lahr.25Bey Schwiegervaters Leben es feltDaß er zum Rathsstandt wird erwelt.Und fürdert der ganzen Freundschaft ehr,Mit Ehrbarkeit und Tugend sehr.Die andr Ehe auch Hammacher zwar30Glückhaft und sehr tröstlich war,Voll Gehorsams und willigkeit,Voll ehrlicher lieb und freundtlichkeit,Welch mit Anna Herrn ChristianSlebingii Tochter fieng an.35Auß lieb ihrer und der schönen larDamit er von ihrem Vater warIn der Jugent unterweisen woll,Wie man jungen Knaben thun soll.Diese Gotts gaben hat lobsan.40An ihm geliebet jedermann.Auch die Fürsten bey welchen istGewesen zu regieren diess stift,Johannes groß von Rath und MuthEntsprossen aus dem Höischen Blut,45Heinrich von Sachssen außerkorn,Zu Engern und Westphaln hochgeborn.Wilchelm der nach der wahl behendt,Am fünften Tag sein leben endt.Auch Bernhardt stark von Leib und gmüt,50Der ander aus Waldechschem gblüt,Auch entlich Philips Sigismundt,Der diese Landt zu dieser stundtMit großem rhum und hohen ehrnVerwalten thut, schützen und mehrn.55So auß der Gwelffen hohem Stam,Zu dießem Stifft erfürdert kam,Durch gbührlich wahl der GeistligkeitUnd anhalten der Weltligkeit.Diese Fürsten all lobesan60Hammachern sehr geliebet hanUnd ihn gebraucht in ihrem Rath,Wenn’s traff das Land und auch die Statt.Nach andern Emptern viel und hartIhm auch glücklich betrauet wart,65Des Bürgermeisters hohen standt,Und was demselben ist bewandt,Das hat er gefürt recht und wol,Wie ein gut Biederman thun soll.Die sorg er sich nicht beschwern ließ,70Auch nicht die mühe, so auff ihn stieß.Er acht kein Gunst groß geschenck,Dan solchs das hertz vom rechten lenkt.Sein einzig fleiß und sorge war,Den frommen nutzn, der bösen schar75Straffen ernstlich, das VaterlandtHalten bey ruh und gutem standt.Derwegen er die reinen lehrStarck schützet und befürdert sehr.Die von des HErren Abendmahl80Einführten spaltung und Irrsahl,Mit seiner treuwen ghülffen rathEr schaffet ab und auß der Stadt.Die Freyheit von füreltern gutErworben durch ihr teures blut85Verfechtet er gebürnder weißMit allem rhuhm und ehren preyß.Den armen er in ihrer nothSein hülfreich Handt ganz gerne both.Das Hoffhauß zun Twente genannt,90(Wie jedermann ist wol bekant)Hat er an zinsen und jährlichr pachtGebessert sehr, und reich gemacht.Den Thurm, so dieser Kirchen zier,Der Statt wacht ist, nach seinr manier,95Hat er zu baun geordnet an,Dazu sein hülff neben andrn gethan.Wen nimpt es den so wunder sehr,Das dieses Mans Nam, ruhm und ehrVon zeit zu zeit, von hauß zu hauß100Sich immer weiter breitet auß?Gott geb solche Leut der Gmeine viel,So wirt es bey dem vorign ZielIn Kirchen, Rathauß und Schuln stehn,Glücklich und allzeit wol ergehn.
Dignum laude virum Musa vetat mori.
- B
Ille suae patriae Decus immortale RudolphusHammacherus (eheu, proh dolor, o lacrymae!)Occidit. Ille hujus Consul dignissimus urbisHic cubat: eximia vir pietate, fide.Justitiae zelo, et morum gravitate verendus,Postulat officii quod ratio atque fides.Religionis amor, Themidisque et Palladis illiMaximus: hinc lugent curia, templa, scholae.
Übersetzung:
Einem lobenswerten Mann verwehrt die Muse das Sterben. (A)
Diese unsterbliche Zierde seiner Vaterstadt, Rudolph Hammacher, (oh Schmerz, oh Tränen!) ist tot. Jener würdigste Bürgermeister dieser Stadt ruht hier: ein Mann von herausragender Frömmigkeit und Glauben, verehrungswürdig durch den Eifer für die Gerechtigkeit und die Sittenstrenge, wie es das Amtsinteresse und der Glauben forderten. Größte Liebe der Religion, Gerechtigkeit und Weisheit (waren ihm eigen): deswegen trauern Rat, Kirchen und Schulen. (B)
Versmaß: Die Inschrift (B) ist in Distichen verfaßt.
Anmerkungen
- Die Angabe bei Dehio, Niedersachsen, S. 739, das Epitaph befinde sich noch im Chorumgang, ist falsch.
- F. Lodtmann, Die letzten Hexen, S. 192–195. Leichenpredigt des Rudolph Hammacher im Stadtarchiv Minden, 6952/26.
- Die Überschrift der deutschen Version der Grabschrift lautet: Entwerff einer Grabschrift. Dem Erbarn, Wolweisen und Namhafften Rudolphen Hammacher, Burgermeistern der Stadt und Landrath deß Stiffts Oßnabrugk, auch getrewen Provisorn des Kerßspels zu unser lieben Frawen, bey seinem leben und auff sein beger geschrieben und offeriert durch M. Andream Dithmarum Pastorn zu St. Catharinen. F. Lodtmann, Die letzten Hexen, S. 192.
- Siebern/Fink, S. 141; Freund, Bd. 27, S. 47ff.
- Beide Inschriften ebenfalls gedruckt in der Leichenpredigt und bei F. Lodtmann, Die letzten Hexen, S. 195, 189ff. Die lateinische Version der Inschrift lautet:
Rudolphi Hammacheri jacet hic sine sanguine corpus,Qui vivens patria hac magnus in urbe fuit.Magnus justitiae magnus pietatis amore,Magnus consilio consiliique fide.Natus enim celebri patre et genetrice Ledeae,Indolis excepit semina prima bonae.Quam post excoluit Phoebaea et Palladis arte,Verique ornavit cognitione Dei.Has animi at dotes benedictio multa sequuta estCum justis opibus compar honesta thori.Hujus et e gnata numerosa propago nepotum,Nitzius et claria (sic!) tinctus ab arte gener:Quem patribus scriptis se vivo vidit et addi,At generis clarum continuare decus.Quin fuit et faelix illi torus alter amorisSynceri plenus, plenus et obsequii:Quem cum Christiani Slebingi filia inivit,Doctrinae a socero quam puer hausit amans.Haec dona ampla Dei mirata est patria in ipso,Et patrii hoc seclo queis data sceptra soli.Ille poteus (sic!) linguis, doctrina atque arte Joannes,Qui satus Hojano stemmate clarus erat.Quique Leonina Henricus veniebat ab arceSaxoniae princeps Westphaliaeque decus.Nec non unanimi qui electus voce Guilelmus,Mox quinto posuit mitram animamque die.Postque hos non acie mentis sed corpore obesusAltera Bernhardus gloria Waldechidum.Quique pio voto cleri populique PhilippusSigmundus (magni o clara propago Ducis!)Guelfiadum accitus sublimi e gente, temonemImperii magni, major at ipse, regit.Hammacherum isti omnes dignati gratia et acriSunt usi illius consilio atque fide.Quin fungi officio post caetera munia jussusConsulis, et curam patriae habere gravem:Muneris hasce sui partes absolvit honeste,Et curae patiens atque laboris edax.Nec populi applausu gaudens nec munera captans,Utraque quae justo tramite jura movent.Cum ipsi fuit una, bonis prodesse, nocereNulli hominum et patrio rite cavere solo.Normam ergo fides labentem erexit et urbeDe Coena exegit dogmata prava, Dei.Dein liberatem majorum sanguine partam,Consiliu stabilem reddidit ille suo.Quin etiam tristis quos dura premebat egestasIlle sua ut fidus juvit amicus ope.Hospiti inprimis proventus gnaviter auxit,Quod dumi ad partem pauper et aeger habent.Adde quod et turris nostra specula urbis et aedis,Consilio illius stat bene structa decus.Cui mirum ergo viri talis volitare per orbemNomen et a sera posteritate coli?Hammacheri similes multos det Numen amicumSalvaque erunt nobis curia, templa, schola.
- Dithmar verfaßte auch die Leichenpredigt für Hammachers erste Frau Regina Cappelmann, LB Hannover cm 367.
- Zu den Lebensdaten Hammachers vgl. u. a. ADB 49, S. 747f.; NDB 7, S. 589.
- Matrikel Wittenberg, Bd. 1, S. 246b.
- Matrikel Erfurt, Bd. 2, S. 370.
- Hg. v. E. Fink, in: OGQu. Bd. 4, S. 161–268.
- Unter den als Hexen verbrannten Frauen befanden sich auch solche aus angesehenen Bürgerfamilien. Vgl. dazu: Heinz-Jürgen Stebel, Die Osnabrücker Hexenprozesse, Osnabrück 1970.
- Zu den Unruhen um die Entlassung Voß’: Hoffmeyer, Chronik, S. 89f.
- Vgl. Spechter, Ratsherrenlisten, S. 137–161.
Nachweise
- F. Lodtmann, Die letzten Hexen, S. 192–195.
- Leichenpredigt (wie Anm. 2).
- Sammlung A, fol. 5v (nur B).
- Siebern/Fink, S. 141 (Vers 89–96).
- Freund, Bd. 27, S. 47ff. (Vers 1–20, 39–42, 59–88, 93–104).
Zitierhinweis:
DI 26, Stadt Osnabrück, Nr. 166† (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di026g003k0016609.
Kommentar
Vollständig überliefern die Grabschrift des Epitaphs nur die Leichenpredigt Hammachers und Friedrich Lodtmann2). Die Grabinschrift geht auf einen Entwurf zurück, den der Pastor an St. Katharinen Andreas Dithmar noch zu Lebzeiten und auf Geheiß Hammachers angefertigt hatte3). Ein Vergleich dieses Entwurfs mit den an anderer Stelle überlieferten Teilen der Inschrift des Epitaphs4) zeigt, daß man bei der Ausführung keinerlei Veränderung vorgenommen hat. Neben der deutschen Versinschrift und den vier lateinischen Distichen verfaßte Dithmar eine kurze lateinische Inschrift für den Grabstein Hammachers (vgl. Nr. 167) sowie eine lateinische Grabschrift in Distichen, deren deutsche Übersetzung in der Inschrift (A) des Epitaphs der Marienkirche vorliegt5). Aus der Leichenpredigt Hammachers geht hervor, daß dieser mit Dithmar eng befreundet war und Dithmar die Entwürfe der Grabschriften Hammacher noch zur Korrektur vorgelegt hat6).
Rudolph Hammacher wurde am 15. 8. 1528 als Sohn eines Glasers und Gildemeisters in Osnabrück geboren7). Wohl während des Besuchs der Domschule fand er engen Anschluß an deren damaligen Rektor Christian Sleibing (vgl. Nr. 117), einen strengen Verfechter der lutherischen Lehre, was Hammacher entscheidend prägen sollte. Als Sleibing 1544 in Hannover ein Rektorenamt annahm, wurde er dorthin von Hammacher begleitet. 1547 immatrikulierte sich Hammacher an der Universität Erfurt8), 1549 in Wittenberg9). Aufgrund des Augsburger Interims war Sleibing 1548 gezwungen, Osnabrück zu verlassen. Er wurde Rektor in Herford, wohin ihm Hammacher 1550 als Collaborator folgte. 1552 kehrten beide nach Osnabrück zurück. Hammacher heiratete noch im selben Jahr die Witwe des vermögenden Kaufmanns Lengerke, Regina Cappelmann, und brach seine Gelehrtenlaufbahn ab. Seine Karriere kann als beispielhaft gelten für das Osnabrück des 16. Jahrhunderts wie für andere Städte auch. Mütterlicherseits aus dem Ministerialengeschlecht von Leden stammend, einen Gildemeister zum Vater, erfüllte er bereits eine wesentliche Voraussetzung für den Aufstieg in städtischen Diensten. Die materielle Basis schaffte er sich durch die Heirat mit Regina Cappelmann. Er übernahm den Leinwandhandel ihres ersten Ehemannes und brachte es bereits nach vier Jahren Tätigkeit als Kaufmann 1556 zum Gildemeister des Krameramtes. Zwei Jahre später wurde er Ratsherr, 1565 Bürgermeister. Er bekleidete dieses Amt bis 1587 und zog sich dann in den Ruhestand zurück. Der Marienkirche war Hammacher eng verbunden, er gehörte dem Kirchenrat 37 Jahre lang an. Nach dem Tod seiner ersten Ehefrau heiratete er 1589 Anna, die Tochter seines Lehrers Christian Sleibing. Wahrscheinlich während seines Ruhestands verfaßte Hammacher das sog. Legerbuch, eine für die Osnabrücker Stadtgeschichte bedeutsame Quelle, die chronikalische Aufzeichnungen und wichtige Urkunden der Stadt enthält10). Er starb 66jährig am 19. 4. 1594.
Das heutige Bild des Bürgermeisters Hammacher ist überwiegend negativ geprägt aufgrund der in seine Amtszeit fallenden und von ihm mit Nachdruck betriebenen Hexenverfolgungen, in deren Zuge man in Osnabrück allein im Jahr 1583 121 Frauen als Hexen verbrannte und darüber hinaus viele andere gefangennahm und folterte11). Als erbitterter Gegner des Calvinismus ging Hammacher vor allem gegen den bei der Bevölkerung sehr beliebten Prediger an St. Katharinen, Wilhelm Voß, vor und erwirkte trotz Widerstandes der Bürger, daß dieser die Stadt verlassen mußte12). Neben seiner Fähigkeit, die Interessen der Stadt gegenüber dem Bischof zu wahren und für eine geordnete städtische Verwaltung zu sorgen, brachte ihm aber gerade die unnachsichtige Verfolgung alles dessen, worin sich nach Ansicht dieses Vertreters eines strengen Luthertums das Böse manifestierte, bei seinen Zeitgenossen einen legendären Ruf ein. Für seine Beliebtheit spricht allein die Tatsache, daß er über 23 Jahre immer wieder zum Bürgermeister gewählt wurde, ein singulärer Fall in der Geschichte Osnabrücks bis 165013).