Inschriftenkatalog: Stadt Osnabrück

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 26: Stadt Osnabrück (1988)

Nr. 93 St. Johanniskirche 1512

Beschreibung

Hochaltar. Holz. Erhalten ist nur noch das Mittelstück des Altarschreins, die Scharniere an den Seiten zeigen, daß es sich um einen Flügelaltar gehandelt haben muß. Laut Mithoff1) befand er sich Ende des 19. Jahrhunderts im nördlichen Seitenschiff und war mit grauer Ölfarbe übermalt, die aus Anlaß der Umsetzung in den Hochchor um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wieder entfernt wurde. Von der ursprünglichen Bemalung sind nur noch geringe Farbspuren erhalten. Die unter Nr. 43 und 68 beschriebenen Reliquienschreine standen früher in den oberen Nischen der Seitenfelder2). Im 19. Jahrhundert wurden an ihrer Stelle in das linke Seitenfeld das Relief der Enthauptung des Johannes, in das rechte Seitenfeld drei einzelne Heiligenfiguren eingefügt: Barbara, Ursula im Schutzmantel3), und Antonius von Padua. Unter einem Rundbogen im linken Seitenfeld unten ein Relief der Kreuztragung, im rechten die Auferstehung; im Bogen links Szenen zur Taufe und Versuchung Christi, rechts zur Auferstehung. Im Mittelfeld eine figurenreiche Darstellung des Kalvarienbergs, das Kreuz mit Titulus (A), im Rundbogen darüber Szenen aus der Leidensgeschichte. In den 15 Nischen der Predella sitzen in der Mitte Maria, Christus und Johannes Baptista, an den Seiten stehen die Apostel. Auf der Rückwand des Altars die Jahreszahl (B).

Maße: H.: 270 cm; B.: 377 cm; T.: 38 cm; Bu.: 6 cm (A), 4,5 cm (B).

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

  1. A

    INRI4)

  2. B

    M · Vc · XII

Kommentar

Bei der Restaurierung des Altars fand man hinter dem Relief der Kreuztragung ein weiteres, das einen Müller darstellt, der einen beladenen Esel zur Wassermühle treibt5). Das könnte ein Hinweis darauf sein, daß es sich bei dem Stifter des Altars um ein Mitglied der Familie tor Mollen handelt. Egbert tor Mollen, der 1533 in einem Verzeichnis der Stiftsgeistlichkeit von St. Johann als Kanoniker aufgeführt wird6), braucht wohl nicht in Betracht gezogen zu werden, da zwischen der Stiftung und seiner Erwähnung in den Urkunden mehr als 20 Jahre liegen. Wahrscheinlich war der Stifter des Altares der decret. doctor Johann tor Mollen7), der 1506 erstmalig in den Urkunden des Johannisstifts genannt wird8) und von 1527 bis 1529 Dechant an St. Johann war9). Er ist laut Nekrolog von St. Johann am 26. April 1529 in Münster gestorben10). Der Künstler des Altars, dessen Werke sich über zwei Jahrzehnte verfolgen lassen, ist namentlich – wie die meisten der in Osnabrück tätigen Bildhauer dieser Zeit – nicht bekannt. Möglicherweise hat sich seine Werkstatt zunächst in Osnabrück befunden, da seine Frühwerke alle aus diesem Raum stammen, während er später Aufträge u. a. in Lübeck und Bremen übernommen hat11). Stilistisch wird er in die Nähe Heinrich Brabenders aus Münster gerückt12), aus dessen Werkstatt die Apostel- und Heiligenfiguren des 1644 abgebrochenen Lettners im Osnabrücker Dom stammen13). Daß sich in der Gestaltung des Altars neben westfälischen auch flandrische Einflüsse geltend machen, erklärt Schewe14) damit, daß die Marienkirche zur selben Zeit einen flandrischen Altar erhielt und das Stift St. Johann dadurch veranlaßte, seinen Gläubigen etwas ähnlich Modernes zu bieten.

Anmerkungen

  1. Mithoff, S. 118.
  2. Schewe, S. 57.
  3. Es handelt sich nicht, wie Schewe, S. 57, behauptet, um eine Schutzmantelmadonna, da die Figur einen Pfeil in der Rechten trägt und damit als Ursula ausgewiesen ist.
  4. Io. 19,19: I(esus) N(azarenus) R(ex) I(udeorum).
  5. Siebern/Fink, S. 99.
  6. Berlage, St. Johann, S. 331.
  7. Vgl. Schewe, S. 59.
  8. StAO Rep. 5, Nr. 1179.
  9. Meyer, Bischof Detmar, S. 46.
  10. StAO Rep. 2, Nr. 202.
  11. Vgl. u. a. Melchers, S. 38–68; Manske, S. 91ff.
  12. Ebd.
  13. Manske, S. 93. Die Figuren befinden sich heute im Diözesanmuseum Osnabrück und im Schnütgenmuseum Köln.
  14. Schewe, S. 59.

Nachweise

  1. Siebern/Fink, S. 99.
  2. Schewe, S. 59.
  3. Melchers, S. 39.
  4. Manske, S. 91.

Zitierhinweis:
DI 26, Stadt Osnabrück, Nr. 93 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di026g003k0009307.