Inschriftenkatalog: Stadt Osnabrück

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 26: Stadt Osnabrück (1988)

Nr. 65 Diözesanmuseum um 1490

Beschreibung

Drei Tafelgemälde mit Auferweckungswundern Christi. Die Tafeln, die sich heute im Diözesanmuseum befinden, lagerten lange Zeit in sehr schlechtem Zustand im Dom. Sie stammen möglicherweise aus der Katharinenkirche1) und sind offensichtlich vorübergehend völlig in Vergessenheit geraten, da weder Mithoff noch Siebern/Fink sie erwähnen. Die Bilder der Erweckung des Lazarus und des Jünglings zu Nain wurden in den 50er Jahren restauriert und dabei stark entstellt. Nur das Gemälde I, das die Auferweckung der Tochter des Jairus mit der Heilung der Blutflüssigen verbindet, ist in seinem ursprünglichen Zustand belassen worden.

Es zeigt im Vordergrund links die blutflüssige Frau (Spruchband A) kniend vor Christus (Spruchband B), dahinter zwei Männergestalten. Von rechts wendet sich Jairus mit Spruchband (C) in den Händen an Christus, rechts im Hintergrund die verstorbene Tochter des Jairus, an deren Bett die Mutter steht, die sich die Nase zuhält.

Die Szene der Auferweckung des Jünglings zu Nain (II) spielt sich vor dem Hintergrund einer Stadt ab, durch deren Tor zwei Männer auf die Geschehnisse im Vordergrund blicken. Im Vordergrund links ein Jude, der sich die Nase zuhält, und zwei Frauen, die rechte die Mutter des Jünglings mit Spruchband (D), in der Mitte der Sarg mit dem auferweckten Jüngling, rechts in Begleitung von zwei durch Nimben gekennzeichneten Jüngern Christus, in Kopfhöhe Spruchband (E), in der Hand hält er Spruchband (F).

Auf dem dritten Bild umstehen alle Figuren den Sarg mit dem auferweckten Lazarus. Links Christus, dem zwei Spruchbänder zugeordnet sind, eines links vom Kopf (G), das andere unterhalb des zum Segen erhobenen rechten Arms (H). In der Linken trägt der weinende Christus ein Tuch. Hinter ihm am linken Bildrand ein Jünger, ein anderer löst Lazarus einen um die Handgelenke gebundenen Riemen. Dahinter zwei betende Frauen, die rechte der beiden ist durch die zwei zugeordneten Spruchbänder links (I) und rechts (K) vom Kopf als Lazarus’ Schwester Martha ausgewiesen2). Das linke Spruchband ist teilweise beschädigt. Am rechten Bildrand im Hintergrund zwei Männer, der linke mit Judenhut hält sich die Nase zu, im Vordergrund eine weinende Frau, wohl die andere Schwester des Lazarus, Maria. Die Spruchbänder des Bildes III sind in der Reihenfolge (I), (G), (K), (H) zu lesen, um die Abfolge des Dialogs nachzuvollziehen.

Maße: I) H.: 71,5 cm; B.: 62,5 cm. II) H.: 74 cm; B.: 61,5 cm. III) H.: 72,5 cm; B.: 62,5 cm. Bu.: 1,5–1,8 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

  1. A

    Si tetigero ta(n)tu(m) vestime(n)tu(m) ei(us) salva ero ·3)

  2. B

    Co(n)fide filia fides tua te salvam fecit ·4)

  3. C

    D(omi)ne filia mea m(oment)o defu(n)cta est s(ed) veni (et)a) i(m)pone manu(m)5)

  1. D

    Quia p(ro)pheta magnus surrexit6)

  2. E

    noli flere7)

  3. F

    · adolescensb) tibi dico surge +8)

  1. G

    · resurget frater tuus ·9)

  2. H

    · Lazare veni foras ·10)

  3. I

    D(omi)ne si fuissesc) h[i]c frater me(us) [n]o(n) fuis[set]d) mor//e)11)

  4. K

    Scio q(uia) resurget i(n) novissi(m)o die12)

Übersetzung:

Wenn ich nur sein Kleid anrühre, werde ich gesund sein. (A)

Sei getrost, meine Tochter, dein Glaube hat dir geholfen. (B)

Herr, meine Tochter ist eben gestorben, aber komm und lege deine Hand auf. (C)

Denn ein großer Prophet ist aufgestanden. (D)

Weine nicht! (E)

Jüngling, ich sage dir, stehe auf! (F)

Dein Bruder wird auferstehen. (G)

Lazarus, komm heraus! (H)

Herr, wärest du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben. (I)

Ich weiß, daß er am Jüngsten Tag auferstehen wird. (K)

Kommentar

Durch die Spruchbänder aller drei Tafelgemälde wird die einem Bild sonst eigene Simultaneität in einen szenischen Ablauf umgewandelt. Die dargestellten Personen sind im Dialog begriffen. Besonders deutlich wird dies am Bild der Auferweckung des Lazarus, in dem in den Spruchbändern eine Wechselrede zwischen Jesus und Martha stattfindet, die – schließt man die an Lazarus gerichtete Aufforderung Jesu ein – die ganze Erzählung übergreift. Deren wichtige Elemente sind sowohl durch Spruchbänder – die Antwort Jesu auf den Vorwurf Marthas und deren Mißverstehen – als auch durch die Darstellung der Personen – der weinende Christus, die weinende Maria, der Jünger, der Lazarus die Handfesseln löst – in das Bild einbezogen. Ikonographisch interessant und charakteristisch für die drastische Darstellungsweise des Spätmittelalters ist, daß auf allen drei Bildern das Thema Tod und Verwesung durch jeweils eine Figur angesprochen wird, die sich die Nase zuhält. Obwohl sich die Auferweckungswunder Christi thematisch als Bilderzyklus anbieten, sind sie äußerst selten aufgegriffen worden und kommen wesentlich häufiger als Einzeldarstellungen oder im Zusammenhang mit anderen Wundertaten Christi vor13). Nach Gmelin14) sind die drei Tafelbilder westfälischer Herkunft, wahrscheinlich von einem Osnabrücker Künstler, da sie dem Bild der Heiligen Familie (Nr. 59) von 1484 sehr nahestehen.

Textkritischer Apparat

  1. Tironisch.
  2. adolescens] adolessens mit doppeltem Schaft-s auf dem Spruchband falsch restauriert.
  3. fuisses] suisses Gmelin.
  4. fuisset] suisset Gmelin.
  5. mor[tuus], Ende des Spruchbands.

Anmerkungen

  1. Sie sind vielleicht identisch mit den bei W. Lotz, Kunsttopographie Deutschlands, Bd. 1, Kassel 1862, S. 489, erwähnten Bildern. Danach hätten sie sich noch 1862 in der Katharinenkirche befunden.
  2. Bei Gmelin, S. 242, irrtümlich als Magdalena bezeichnet.
  3. Mt. 9,21.
  4. Mt. 9,22.
  5. Mt. 9,18.
  6. Lc. 7,16.
  7. Lc. 7,13.
  8. Lc. 7,14.
  9. Io. 11,23.
  10. Io. 11,43.
  11. Io. 11,21.
  12. Io. 11,24.
  13. LCI 4, Art. „Wunder Christi“, Sp. 542–549.
  14. Gmelin, S. 242.

Nachweise

  1. Gmelin, S. 240ff., Abb. ebd.

Zitierhinweis:
DI 26, Stadt Osnabrück, Nr. 65 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di026g003k0006507.