Inschriftenkatalog: Stadt Osnabrück

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 26: Stadt Osnabrück (1988)

Nr. 60† Dom 1485

Beschreibung

Marienglocke. Nach den im Staatsarchiv Osnabrück befindlichen Akten sollte die Glocke 1639 eingeschmolzen werden, aber der Plan wurde offensichtlich wieder fallengelassen. Anläßlich der geplanten Einschmelzung wurde die Inschrift aufgezeichnet1). Die Glocke hing bis zum 2. Weltkrieg im Dom und wurde 1944 durch einen Bombenangriff zerstört.

Auf dem Glockenmantel befand sich zweimal die Darstellung Marias mit dem Kind in einer Mandorla, darunter das spitzovale Kapitelsiegel mit den Schutzpatronen des Doms, Crispin und Crispinian. Neben einer Darstellung etwas erhöht die Inschrift (A), am Glockenhals zwischen dreifachen Stegen, die oben und unten von einem Friesband begleitet wurden, einzeilig die Inschrift (B), deren Worte durch Rosetten und Lilien getrennt waren. Beendet wurde die Inschrift durch den erhabenen Abdruck einer Münze, der sich auch zweimal auf dem Mantel befand. An den Kronenöhren vier identische Reliefs des Christuskopfes2).

Inschrift nach der Aufzeichnung von 1639.

Maße: Dm.: 165 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

  1. A

    M(agister) · Gerard(us) · de · wou me fecit

  2. B

    + noviter · formata · maria · sum · vocitata · · ·cupro · conflata · laudiq(ue) · Dei · p(rae)parata · ·annis · m · cccc · simul · octuaa) · quinq(ue) · ·Xristib) · sacrata · sum · laudibus · ac · deputata ·

Übersetzung:

Meister Gerhard de Wou machte mich. (A)

Neu geformt, werde ich Maria genannt, aus Kupfer gegossen, zum Lobe Gottes geschaffen. Im Jahr 1485 bin ich zum Lob Christi geweiht und bestimmt. (B)

Versmaß: Hexameter, mit Ausnahme der dritten Zeile leoninisch gereimt.

Kommentar

Gerhard de Wou war der bedeutendste und angesehenste Glockengießer seiner Zeit. Er entstammte einer Familie, die dieses Handwerk schon Anfang des 15. Jahrhunderts ausübte3). Seine Lebensdaten sind oft Gegenstand der Forschung gewesen, es findet sich jedoch immer wieder die falsche Angabe seine erste Glocke stamme aus dem Jahr 1465 und hänge im Osnabrücker Dom. Dies geht offensichtlich auf Mithoff zurück, der in der Inschrift der Osnabrücker Reginenglocke (Nr. 61) statt octuageno irrtümlich sexageno liest und damit die Glocke um 20 Jahre zu früh datiert4). Dies wurde von der gesamten Literatur zur Glockenkunde ungeprüft übernommen5). Hach stellt als einziger Überlegungen dazu an, daß Gerhard de Wou noch in erstaunlich hohem Alter, nämlich mindestens mit 83 Jahren, seinem Beruf nachgegangen sein müßte, wenn man die Glocke aus dem Jahr 1523 in Barfelde als letztes Werk des Meisters annimmt6). Er schreibt sie daher Gerhard de Wou dem Jüngeren zu – wahrscheinlich einem Sohn des berühmten Glockengießers, der den väterlichen Betrieb fortgeführt hat7) –, was auch dann plausibel erscheint, wenn man den Beginn einer selbständigen Tätigkeit des Älteren um neun Jahre später ansetzt. Da eine Osnabrücker Glocke von 1465 nicht existiert, ist sein erstes nachweisbares Werk eine Glocke aus Kranenburg aus dem Jahr 14748), die seinen Namen trägt. Zur selben Zeit nennt ihn auch das Bürgerbuch seines Heimatortes Hertogenbosch als magister9). Ein hohes Alter hat Gerhard de Wou also in jedem Fall erreicht, wenn er nach Angabe Walters, der allerdings keinen Beleg anführt, 1527 gestorben ist10).

Als er 1485 in Osnabrück eintraf, stand de Wou noch ziemlich am Anfang seiner Karriere. Die großen Aufträge, die ihn berühmt machen sollten, wie der Guß der sieben Glocken für die Hamburger Petrikirche und der Erfurter Gloriosa, erhielt er erst in den folgenden Jahren. Die vier Glocken für den Osnabrücker Dom dürften einiges zu seinem Ruhm beigetragen haben. Anhand der Domstruktur- sowie der Stadtrechnungen läßt sich die Osnabrücker Tätigkeit de Wous genau verfolgen, die sich nicht nur auf den Glockenguß beschränkte; gleichzeitig fertigte er für die Stadt Geschütze an11). Bei seiner Ankunft Ende Mai 1485 wurde der Meister vom Domdechanten mit einem Umtrunk begrüßt12). Untergebracht war er im Haus des renommierten Osnabrücker Goldschmieds Hofsleger (vgl. Nr. 51), dem Domstruktur und Stadt gemeinsam die Auslagen ersetzten. Ebenfalls im Haus des Goldschmieds wohnte ein Meister Klaes aus Deventer, der laut Stadtrechnungen 1485 zunächst nur mit seinen Gehilfen, im folgenden Jahr zusammen mit Gerhard de Wou die neuen Geschütze für die Stadt herstellte. Am Glockenguß scheint er nicht beteiligt gewesen zu sein, da sein Name in diesem Zusammenhang nicht genannt wird13). Hieran wirkten außer Gerhard de Wou und seinen Gehilfen, deren Zahl nicht angegeben ist, noch zeitweilig bis zu elf weitere Arbeitskräfte mit, darunter Maurer, Säger, Steinschneider und Stellmacher, die jeweils für mehrere Tage verpflichtet wurden.

Man begann mit dem Guß der „Maria“ und „Regina“, wofür laut Domstrukturrechnung 77 sintener klockspise benötigt wurden. Der Guß der beiden Glocken muß in der Woche nach dem 9. Juli stattgefunden haben, da in den Rechnungen nach diesem Datum die Angabe folgt: in die fusionis campanarum pro 3 tunnis cervisiae 3 Schilling. Anfang August war die Arbeit an den beiden ersten Glocken abgeschlossen; als Entlohnung erhielt Gerhard de Wou 120 Goldflorin.

Textkritischer Apparat

  1. Aus metrischen Gründen hier octua statt octuagena.
  2. Christi.

Anmerkungen

  1. StAO Rep. 100, Abschn. 332, Nr. 12, fol 3v. Die Inschrift wird aufgeführt unter dem Titel Der alten drei vergossenen Glocken inscriptiones.
  2. Siebern/Fink, S. 58f.; Prinz, S. 228.
  3. Walter, S. 912.
  4. Mithoff, S. 116.
  5. Vgl. u. a. Otte, S. 217; Theodor Hach, Zur Geschichte der Erzgießkunst, in: Repertorium für Kunstwissenschaft 4, 1881, S. 401–420; Rauchheld, S. 167; Walter, S. 912.
  6. Der Berechnung liegt zugrunde, daß man nach damals geltendem Recht Meister erst mit dem Erreichen der Volljährigkeit, also frühestens mit 25 Jahren, werden konnte. Dazu Hach (wie Anm. 5), S. 410.
  7. Walter, S. 915 u. 917.
  8. Kunstdenkmäler der Rheinprovinz I/4: Kunstdenkmäler d. Kreises Kleve, hg. v. Paul Clemen, Düsseldorf 1872, S. 129.
  9. Walter, S. 912.
  10. Ebd.
  11. StAO Dep. 3 b II, Nr. 1, fol. 334v–335v.
  12. Dieses wie alle folgenden den Glockenguß betreffenden Details gehen aus den im Domarchiv befindlichen Domstrukturrechnungen (fol. 48v–49v; 55r) hervor, die Prinz, S. 235f., veröffentlicht hat.
  13. Prinz, S. 227, der Meister Klaes ohne nähere Angabe von Gründen zu den Gesellen Gerhard de Wous rechnet, nimmt dies offenbar als selbstverständlich an.

Nachweise

  1. StAO Rep. 100, Abschn. 332, Nr. 12, fol. 3.
  2. Mithoff, S. 115.
  3. Siebern/Fink, S. 58.
  4. Dolfen, Gerhard de Wou, S. 154.
  5. Prinz, S. 228.

Zitierhinweis:
DI 26, Stadt Osnabrück, Nr. 60† (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di026g003k0006002.