Inschriftenkatalog: Stadt Osnabrück

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 26: Stadt Osnabrück (1988)

Nr. 36 Dom um 1425

Beschreibung

Vortragekreuz. Eisenkern, Silber, teilweise vergoldet. Das Kreuz ist als Gegenstück zum vorhergehenden gestaltet, weist aber in Details wie dem Corpus Christi Abweichungen auf. Die Figuren in den Dreipässen der Vorderseite – links und rechts je ein Prophet, oben und unten ein König – wie der Rückseite sind identisch mit denen des anderen Kreuzes, halten aber Schriftbänder anderen Inhalts, die z. T. beschädigt sind. Das Kreuz befindet sich generell in einem schlechteren Erhaltungszustand als sein Gegenstück.

Maße: H.: 64,5 cm; B.: 42,5 cm; Bu.: 1,2 cm (A); 0,2 cm (B–E); 0,2–0,3 cm (F–I).

Schriftart(en): Gotische Majuskel (A), gotische Minuskel (B–I).

Sabine Wehking [1/5]

  1. Vorderseite:

  2. A

    I · N · R · I1)

  3. B

    + foderunt + manus + meas + (et)a) + pedes + meos2)

  4. C

    + factus + su(m) + i(n) + deri[sum] omn(es) [ . . . ] meb)3)

  5. D

    + corpus + meum + dedi + [p(er)c]ucientib[u]s4)

  6. E

    + festinant + ut + effundant + sangu(in)e(m)5)

    Rückseite:

  7. F

    ‡ os + non + conminuetisc) + ex eo6)

  8. G

    ‡ clamans + voce + magna + emisit + spiritu(m)7)

  9. H

    ‡ tenebre + facte + s(un)t + s(upe)r + univ(er)s(a) + terra8)

  10. I

    ‡ tradidit + eis + a(u)t(e)m + flagell(atum) + iesu(m)d) + ut + c(ru)c(e)fige(re)t(ur)9)

Übersetzung:

Sie haben meine Hände und Füße durchbohrt. (B)

Ich bin zum Spott geworden, alle (verlachen) mich. (C)

Ich hielt meinen Körper denen hin, die mich schlugen. (D)

Sie eilen, um (mein) Blut zu vergießen. (E)

Ihr sollt ihm keinen Knochen zerbrechen. (F)

Er schrie laut und hauchte seinen Geist aus. (G)

Es wurde eine Finsternis gelegt über die ganze Erde. (H)

Er übergab ihm den gegeißelten Christus, damit er gekreuzigt werde. (I)

Kommentar

Die Spruchbänder beider Kreuze haben ausschließlich das Kreuzigungsgeschehen zum Thema. Die Texte der Propheten und Könige sind typologisch auf die Evangelienzitate der Rückseite bezogen, der Phönix der Rückseite auf den Kruzifixus der Vorderseite. Der von Löwen bewachte Turm unter dem Kreuz symbolisiert das himmlische Jerusalem. Welche Sorgfalt man nicht nur auf das Bildprogramm, sondern auch auf die Auswahl der Texte legte, zeigt schon die Tatsache, daß man für die beiden Kreuze unterschiedliche Sprüche ausgewählt hat. Die Kreuze sind vermutlich eine einheimische Arbeit. Witte10) sieht eine Beziehung zum Kelemannkelch (Nr. 17), was wiederum für dessen Entstehung in Osnabrück sprechen würde. Nach dem Vorbild der beiden Kreuze sind zwei weitere für die Marienkirche angefertigt worden (vgl. Nr. 101).

Textkritischer Apparat

  1. Tironisch.
  2. Fehlt bei Borchers. Das Spruchband ist stark zerstört. Die Ergänzung aufgrund des Vulgatatextes omnes [subsannant] me ist nach dem Buchstabenbefund nicht zulässig.
  3. conminuetis] comminuentes Borchers.
  4. iesu(m)] ieusum Borchers.

Anmerkungen

  1. Io. 19,19: I(esus) N(azarenus) R(ex) I(udeorum).
  2. Ps. 21,17.
  3. Ier. 20,7.
  4. Is. 50,6.
  5. Is. 59,7. Der Spruch paßt folglich nicht zu dem dargestellten König.
  6. Io. 19,36.
  7. Mt. 27,50.
  8. Lc. 23,44.
  9. Mt. 27,26. Der Spruch kommt in leicht veränderter Form auch bei Mc. 15,15 vor.
  10. Witte, Domschatz, S. 51.

Nachweise

  1. Witte, Domschatz, S. 40.
  2. Borchers, Domschatz, S. 102, Abb. 130–137.

Zitierhinweis:
DI 26, Stadt Osnabrück, Nr. 36 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di026g003k0003606.