Inschriftenkatalog: Stadt Osnabrück

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 26: Stadt Osnabrück (1988)

Nr. 23 St. Katharinenkirche 2. H. 14. Jh.

Beschreibung

Bauinschrift links oberhalb des Südportals, nur teilweise erhalten. Sie befand sich ursprünglich auf zwei nebeneinander angebrachten Steinen am westlichen Strebepfeiler des südlichen Langhauses1). Die Inschrift (A) des einen Steins, über dessen Verbleib nichts bekannt ist, war schon Ende des 19. Jahrhunderts nahezu vollständig verwittert2). Die älteste Überlieferung aus der Mitte des 17. Jahrhunderts stammt von Büscher3), der eine niederdeutsche Paraphrase liefert; J. F. A. Lodtmann4) und J. E. Stüve5) geben im 18. Jahrhundert den Text wortgetreu wieder. Alle späteren Zitate gehen, wie jeweils ausdrücklich vermerkt, auf diese drei Quellen zurück. Die Inschrift (B) auf dem zweiten Stein, der Mitte des 19. Jahrhunderts oberhalb des Südportals eingemauert wurde6), ist bis auf wenige Buchstaben erhalten.

Maße: (A) nach Lodtmann. (B) H.: 12 cm; B.: 110 cm; Bu.: 8 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel (gilt auch für A).

Sabine Wehking [1/1]

  1. A

    Got gheve eme eina) ewichb) Levent de dar to helpec) dat dit Gadeshus werde maket toren und) Kerkee) alsof) to unser Vrowen is

  2. B

    [De da]r vordellichg) [t]hoh) [sin] un [t]hoh) gheveni)7)

Kommentar

Die Datierung und der Inhalt dieses in Stein gehauenen Spendenaufrufs sind problematisch. Aus der Inschrift, die sich mit ihrem Aufruf zur Unterstützung durch die Bürger auf einen zweiten Bau der Katharinenkirche bezieht – dieser dauerte vom 2. Viertel des 14. bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts8) –, geht zweifellos hervor, daß sie zu einem Zeitpunkt angebracht wurde, als sich toren un Kerke zumindest teilweise noch im Zustand der Planung oder des Baubeginns befanden.

Begonnen wurde mit dem Neubau der Kirche im Osten9), es ist jedoch fraglich, wieweit die Arbeiten fortgeschritten waren, als 1350 der Ausbruch der Pest in Osnabrück die Bautätigkeit für die nächsten Jahrzehnte lahmlegte. Daß der westliche Strebepfeiler der Südseite, an dem die beiden Steine ursprünglich angebracht waren, bereits in diesem Bauabschnitt errichtet wurde, ist nicht völlig auszuschließen10). Gegen Ende des 14. Jahrhunderts wurde die Arbeit an der Katharinenkirche wieder aufgenommen und u. a. mit dem Bau des Turms begonnen, der erst Anfang des 16. Jahrhunderts beendet wurde. Um 1410 war das Langhaus fertiggestellt und damit auch der Strebepfeiler, der die Inschrift trug. Spätestens zu Beginn dieses Bauabschnitts dürfte also die Inschrift ausgeführt worden sein11), wenn ihr Inhalt noch einen Sinn ergeben sollte, da man, abgesehen vom Turmbau, nun nur noch die Gewölbe einzog, ein Vorgang, der wohl in den 30er Jahren abgeschlossen wurde. Die Baugeschichte der Kirche erlaubt somit nur eine ungefähre Datierung der Inschrift auf die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts. Dies ist umso bedauerlicher, als es sich hier neben der Glocke von 1366 (Nr. 20) um ein frühes Osnabrücker Beispiel gotischer Minuskel und um die erste überlieferte gotische Minuskel in Stein handelt. Etwa gleichzeitig dürften auch zwei weitere Bauinschriften der Katharinenkirche entstanden sein (vgl. Nr. 24, 25), die dasselbe Schriftbild aufweisen. Die Schrift ist in ein Zwei-Linien-Schema eingefügt, Ober- und Unterlängen sind nur angedeutet. Die Buchstaben sind durch Spatien voneinander getrennt und sehr sorgfältig in einer voll ausgebildeten gotischen Minuskel ausgeführt.

Auch inhaltlich wirft die Inschrift Fragen auf. Sie wird in den drei überlieferten Versionen häufig zitiert, um zu belegen, daß die Katharinenkirche in der Nachfolge und nach dem Vorbild der Marienkirche gebaut worden ist12). Die Tatsache, daß die Katharinenkirche jünger ist als die Marienkirche, soll hier nicht in Zweifel gezogen werden. Aber es ist auf die Möglichkeit hinzuweisen, daß die Inschrift aufgrund einer falschen Lesung immer wieder falsch ausgelegt worden ist, und zwar im Anschluß an die Paraphrase Büschers, die den Text um wesentliche Bestandteile ergänzt und damit interpretiert. In der Version J. F. A. Lodtmanns und J. E. Stüves erscheint der letzte Teil der Inschrift (A) also to unser Vrowen is unvollständig, wenn die Inschrift einen Bezug zur Marienkirche herstellen sollte. Man hätte eine Formulierung erwartet, wie sie die Büschersche Paraphrase mit alß de kercke Unser Leven Frauen gibt. Vollständig wäre die Inschrift jedoch, wenn man einen Lesefehler annimmt, der gerade bei einer Inschrift in gotischer Minuskel naheliegen mußte, und davon ausgeht, daß anstelle von Vrowen im Original Vromen gestanden hat. Dies würde bedeuten, daß hier nicht von der Marienkirche die Rede sein, sondern lediglich auf den Nutzen des Kirchenbaus für die Gemeinde hingewiesen werden sollte. Da J. F. A. Lodtmann die Inschrift (B) nicht orthographisch genau wiedergibt, was sich am Original überprüfen läßt, könnte ihm wie auch J. E. Stüve hier ebenfalls ein Fehler unterlaufen sein, verursacht vielleicht durch die – falsche – Büschersche Paraphrase, die beide gekannt haben dürften.

Textkritischer Apparat

  1. ein] sin Mithoff.
  2. ewich] ewick Mithoff.
  3. J. F. A. Lodtmann vermerkt, daß an dieser Stelle die Inschrift auf dem zweiten Stein ergänzend weitergeführt wurde.
  4. un] na J. F. A. Lodtmann.
  5. Kerke] Karke Siebern/Fink. J. E. Stüve: dat dit Gadeshus Toren un Kerke werde maket.
  6. also] alse J. E. Stüve.
  7. vordellich] vorderlich Mithoff, vordellig J. F. A. Lodtmann.
  8. tho] to J. F. A. Lodtmann.
  9. gheven] geven J. F. A. Lodtmann.

Anmerkungen

  1. Siebern/Fink, S. 155.
  2. Veltmann, S. 142, Anm. 2.
  3. Vitus Büscher, Geistliche Polizeiordnung des Fürstentums Osnabrück, hg. v. Bindel, in: OM 46, 1924, S. 86: Jedoch ist das gewiß, daß S. Mariae Kirche elter als S. Catrinae, weilen an dieser Kirchenmauren nach der Mittagseite, in einem großen Stein diese Worte gehauen: Gott geve dem dat ewige leben, de darto hulp, dat diet gadeshuß, kercke undt thurm gebauet wurd, alß de kercke Unser Leven Frauen. Ebenso ders. in Chronik 4, S. 196.
  4. J. F. A. Lodtmann, Acta Osnabrugensia, Bd. 1, S. 256.
  5. J. E. Stüve, Beschreibung und Geschichte des Hochstifts und Fürstentums Osnabrück, Osnabrück 1789, S. 49.
  6. Veltmann, S. 148.
  7. Die dazu förderlich sind und [etwas] dazu geben.
  8. Angaben zur Baugeschichte vgl. Salzmann.
  9. Salzmann, S. 41.
  10. Ebd.
  11. Es wird nicht recht deutlich, warum Salzmann die Entstehung der Inschrift um 1430 ansetzt (Anm. 6), zumal zu diesem Zeitpunkt nach seinen eigenen Ergebnissen die Bauarbeiten zum größten Teil abgeschlossen waren.
  12. Vgl. Abeken, S. 8; Mithoff, S. 126; Siebern/Fink, S. 155; Rothert, Geschichte, Bd. 2, S. 298; Veltmann, S. 148.

Nachweise

  1. J. F. A. Lodtmann, Acta Osnabrugensia, Bd. 1, S. 256.
  2. Büscher (wie Anm. 3), S. 86 (nur A).
  3. Chronik 4, S. 196 (nur A).
  4. J. E. Stüve (wie Anm. 5), S. 49 (nur A).
  5. Abeken, S. 8.
  6. Veltmann, S. 142.
  7. Mithoff, S. 126.
  8. Siebern/Fink, S. 155.
  9. Rothert, Geschichte, Bd. 2, S. 298 (nur A).
  10. Salzmann, S. 24 (nur B), Anm. 2 (A) in der Version Büschers.

Zitierhinweis:
DI 26, Stadt Osnabrück, Nr. 23 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di026g003k0002309.