Inschriftenkatalog: Stadt Osnabrück

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 26: Stadt Osnabrück (1988)

Nr. 9 Dom 1. H. 13. Jh.

Beschreibung

Taufkessel. Bronze. Der Taufkessel in Form eines konischen Kübels mit zwei Henkeln ruht auf drei Tierfüßen. Am oberen Rand ein umlaufendes Schriftband (A), das fünf halbkreisförmige, mit Schriftbändern umgebene Reliefs (B) gerade nach oben hin abschließt. Die Reliefs zeigen Christus in der Taufe – Kopf und zum Segen erhobene Hände ragen aus den Wellen, die die Körperumrisse noch durchscheinen lassen –, Johannes Baptista, Petrus, Paulus und einen Engel, der mit einem Tuch in Händen Christus entgegenzueilen scheint. Dieser Streifen wird nach unten hin durch ein aufgelegtes umlaufendes Schriftband (C) begrenzt. Der untere Teil des Taufkessels ist schlicht. Die Schriftbänder (A) und (B) sind von schmalen Zierleisten eingerahmt, alle Schriftbänder sind einzeilg.

Maße: H.: 65 cm; Dm. (oben): 63 cm; Bu.: 1,3–1,5 cm (A), 1,6–2,2 cm (B), 2 cm (C).

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

Sabine Wehking [1/7]

  1. A

    A ω+ · QVANDO · SACRAMENTVM · FIT · AQVE · SIMPLEX · ELEMENTVM ·+ · VERBO · VIRTVTIS · OP(ER)ATVR · DONA · SALVTIS ·+ · NAM · REDIT · AD · VITAM · NOVVS · ET · VETVS · INTERIT · ADAM ·

  2. B

    BAPTIZATUR · XPCa)BAPTISTA IOHANNESSANCTVS PETRVSSANCTVS PAVLVSANGELVS · DOMINI ·

  3. C

    + · WILBERNVS · PETRE · CONFERT · ISTVT · TIBI · DONVM ·+ · VT · P(ER) TE · SVMMVM · POSSIT · HABERE · BONV(M)b) ·GERARD(VS) · ME FEC(IT) ·c)

Übersetzung:

Wenn das einfache Element des Wassers zum Sakrament wird, bewirkt es durch das Wort der (göttlichen) Kraft Gaben des Heils, denn der neue Adam kehrt zum Leben zurück und der alte geht zugrunde. (A) Christus wird getauft. Johannes der Täufer. Der heilige Petrus. Der heilige Paulus. Der Engel des Herrn. (B) Dir, Petrus, übergibt Wilbernus dieses Geschenk, damit er durch dich das höchste Gut erhalte. Gerhard machte mich. (C)

Versmaß: Drei leoninische Hexameter (A), ein Distichon mit Endreim (C).

Kommentar

Die Inschrift (C) spricht Petrus als den Hauptpatron des Osnabrücker Doms an, während die Inschrift (A) auf die Taufsymbolik Bezug nimmt. Ihr liegt die Vorstellung von Adam als dem Antitypus Christi zugrunde. Erst durch den Akt der Taufe wird die Wandlung vom alten zum neuen Adam möglich, da durch sie, die die Vergebung der Sünden impliziert, der Mensch am Heilsgeschehen teilnimmt.

Sowohl Stifter als auch Künstler werden in der Inschrift genannt. Damit rückt der Osnabrücker Taufkessel in engen Zusammenhang mit der Bronzetaufe im Hildesheimer Dom1), der er auch stilistisch nahesteht und deren Inschrift ebenfalls einen Wilbernus als den Stifter ausweist. Unklarheit besteht in beiden Fällen über die genaue Datierung und über die Person des Stifters. Urkundliches Material, das zur Klärung beitragen könnte, ist nicht nachgewiesen. Wenn die Osnabrücker Taufe gegenüber der – vorwiegend auf das 2. Viertel des 13. Jahrhunderts datierten2) – Hildesheimer Taufe auch ungleich schlichter wirkt, so weisen beide doch eine Reihe gemeinsamer Merkmale auf. Die Muster der Gewandsäume gleichen sich, das Gewand des Petrus an der Osnabrücker Taufe entspricht im Muster dem der Stifterfigur des Hildesheimer Taufkessels. Die Nimben der Heiligen sind sehr ähnlich ausgeführt, ebenso die Leisten der Schriftbänder. Dies könnte auf die gemeinsame Herkunft beider Taufen aus einer Werkstatt deuten. Die Verwandtschaft ist jedoch – wie schon Müller-Hauck betont3) – nicht so eng, daß man dem in Osnabrück genannten Künstler Gerhardus auch die Hildesheimer Taufe zuschreiben könnte. Müller-Hauck hält die Osnabrücker Taufe für die jüngere und meint, Gerhardus, über den sonst weiter nichts bekannt ist4), habe sich an dem Hildesheimer Vorbild orientiert5).

Dagegen, daß die Hildesheimer Taufe die ältere ist, spricht allerdings neben der wesentlich einfacheren Ausführung der Osnabrücker Figuren, die unbeweglicher und lebloser erscheinen – dies ließe sich auch auf einen weniger begabten Künstler zurückführen –, vor allem der epigraphische Befund. Während die ausgewogenere und sorgfältig ausgeführte Hildesheimer Inschrift ausgeprägte Elemente einer gotischen Majuskel mit nahezu abgeschlossenem unzialen E aufweist, handelt es sich in Osnabrück um eine gotische Majuskel, in der kapitale Buchstaben noch überwiegen. Unziales offenes E erscheint nur einmal, N und M treten in unzialer und kapitaler Form auf. Die Bögen sind häufig mit Schwellungen versehen, besonders ausgeprägt ist die häufig auftretende schraffierte Schwellung des S. Berücksichtigt man diese Fakten, so kann man die Osnabrücker Taufe auf die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts datieren, die epigraphische Untersuchung macht eine Entstehung in der Mitte dieses Zeitraums wahrscheinlich. Setzt man die Identität der Stifter voraus, kann der zeitliche Abstand zu der Hildesheimer Taufe nicht allzu groß sein.

Über die Person des Stifters Wilbernus ist in Ermangelung von Tatsachen bereits eine Vielzahl von Spekulationen angestellt worden, die hier nicht im einzelnen wiederholt werden sollen6). Letztlich ist jedoch mit einigermaßen großer Sicherheit nur festzustellen, daß es sich nach der Darstellung auf der Hildesheimer Taufe um einen Kleriker handelte, der vermutlich dem Osnabrücker wie dem Hildesheimer Domkapitel angehörte und zweifellos vermögend war. Da man einen Wilbernus weder in den Osnabrücker noch in den Hildesheimer Quellen fand, vermutete man zunächst in einem gleichnamigen Goslarer Kanoniker den Stifter7), bis Dolfen mit der These, Wilbernus sei identisch mit Wilbrand Graf von Oldenburg-Wildeshausen – von 1219 bis 1225 in Hildesheim, 1226 in Osnabrück Bistumsverweser –, eine heftige Diskussion entfachte8). Die sehr fragwürdige Argumentation Dolfens9) hat bereits Algermissen widerlegt10). Festzuhalten gilt es hier daher lediglich, daß Wilbrand keine der zahlreichen von ihm überlieferten Urkunden mit Wilbernus unterzeichnet hat11). Daher ist es mit Sicherheit auszuschließen, daß er sich so auf zwei bedeutenden Stiftungen nannte, die sein Andenken wahren sollten.

Man wird also bei der Suche nach dem Stifter nicht von der Namensform Wilbernus abgehen dürfen12). In diesem Zusammenhang muß darauf hingewiesen werden, daß der Name Wilbernus einmal in den Osnabrücker Quellen der fraglichen Zeit erscheint, nämlich im Domnekrolog unter dem Datum des 22. Mai13). Meyer14) datiert die erste Schreiberhand, von der der Eintrag stammt, zwar noch auf das 12. Jahrhundert, aber schon Ende des 19. Jahrhunderts vermutete Philippi15), sie sei um einiges später zu datieren. Vermutlich ist der Nekrolog erst im 13. Jahrhundert angelegt worden16). Unter dieser Voraussetzung ist es recht wahrscheinlich, daß der unter dem Datum des 22. Mai als verstorben eingetragene Wilbernus mit dem Stifter der Taufe identisch ist, zumal der Name Wilbernus in den Urkunden des Osnabrücker Raums bis zum Jahr 1300 sonst nur ein einziges Mal vorkommt17), im Gegensatz zu dem Namen Wilbrandus, der sehr geläufig ist. Der Domnekrolog sagt über die Person des Wilbernus ebenfalls nichts aus, so daß man sich nach den zahlreichen vergeblichen Bemühungen, den Stifter ausfindig zu machen, wohl damit abfinden muß, daß die Quellen in dieser Frage nichts hergeben und man daher die Stiftungen für sich selbst sprechen lassen sollte. Das Bildprogramm wie auch die Inschriften vor allem der Hildesheimer Taufe, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann18), deuten auf einen gelehrten Kleriker, der das theologische Gedankengut seiner Zeit souverän in Wort und Bild umzusetzen verstand.

Textkritischer Apparat

  1. CHRISTVS.
  2. Dolfen: Ut per te habere possit summum bonum.
  3. Die letzten beiden Worte sind aus Platzmangel gedrängt.

Anmerkungen

  1. Abb. der Hildesheimer Taufe in: A. Zeller, Die romanischen Baudenkmäler von Hildesheim, 1907, Taf. 50; Adolph Bertram, Das eherne Taufbecken im Dom zu Hildesheim, in: Zs. f. christl. Kunst 13/1900, Sp. 135–138.
  2. Vgl.: Bertram (wie Anm. 1), S. 129; Dehio, Niedersachsen, S. 475; Ernst Panofsky, Die deutsche Plastik des 11.–13. Jahrhunderts, München 1925, S. 110f.; Janni Müller-Hauck, Das Taufbecken im Dom zu Hildesheim, phil. Diss. Göttingen 1965 (masch.). V. C. Habicht, Die mittelalterliche Plastik Hildesheims, Straßburg 1917, S. 51, setzt als einziger die Datierung schon um 1210 an, allerdings weniger aufgrund von stilistischen Erwägungen als aus dem Grund, weil er um diese Zeit einen Stifter Wilbernus nachweisen zu können meint.
  3. Müller-Hauck (wie Anm. 2), S. 102.
  4. Dolfen, Taufbecken, S. 36f., will in Gerhardus nicht den Künstler sehen, sondern denjenigen, der für die Beschaffung des Materials sorgte, da er in der 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts in Osnabrück zwar einen Mercator Gerhardus, aber keinen Künstler gleichen Namens nachweisen kann. Dieser Vermutung entbehrt jedoch jeder Wahrscheinlichkeit.
  5. Zur Datierung der Osnabrücker Taufe: Mithoff, S. 109, um 1200; Siebern/Fink, S. 82, und Berlage, Kirchliche Alterthümer, S. 331, 12. Jahrhundert; Dehio, Niedersachsen, S. 730, und Dolfen, Taufbecken, S. 26ff., um 1225; Müller-Hauck (wie Anm. 2), S. 102ff., kaum vor 1240.
  6. Vgl. u. a.: Bertram (wie Anm. 1), S. 129ff.; S. H. Steinberg, Der Stifter des Hildesheimer Taufbeckens, in: Althildesheim 12, 1933, S. 36ff.; Thümmler, S. 26; Konrad Algermissen, Die künstlerische Gestaltung und der Ideengehalt des Hildesheimer Dom-Taufbeckens, in: Unsere Diözese 26, 1957, S. 2–8; Dolfen, Taufbecken; Müller-Hauck (wie Anm. 2), S. 6ff.
  7. Habicht (wie Anm. 2), S. 50f. Der Goslarer Kanoniker Wilbernus tritt in einer Urkunde des Hildesheimer Bischofs von 1208 als Zeuge auf. Das ist jedoch seine einzig nachweisbare Verbindung zu Hildesheim.
  8. Dolfen, Taufbecken, passim.
  9. Die Argumentation gipfelt darin, daß das in der Inschrift angesprochene summum bonum von Dolfen als Bischofsamt interpretiert wird, das nach seiner Ansicht Wilbrand durch die Spende zu erlangen gehofft hätte.
  10. Vgl. Algermissen (wie Anm. 6), S. 2–8.
  11. Ebd., S. 6.
  12. Algermissen (wie Anm. 6), S. 5, behandelt ausführlich, daß Wilbernus und Wilbrandus auf unterschiedliche Stämme zurückgehen und keineswegs beliebig austauschbar verwandt werden können.
  13. OM 4, 1855, S. 83.
  14. Ebd., S. 7f.
  15. F. Philippi, Die älteste Osnabrücker Bischofsreihe, in: OM 15, 1890, S. 218, Anm. 1.
  16. Neuere Untersuchungen zu dieser Frage stehen noch aus, das Schriftbild läßt aber eine Datierung auf die 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts zu.
  17. Vgl. das Register OUB 1–3. Im Jahr 1000 wird ein Willibern genannt.
  18. Vgl. Algermissen (wie Anm. 6), der beides ausführlich behandelt.

Nachweise

  1. Lübke, S. 417.
  2. Schriever, S. 8.
  3. Mithoff, S. 109.
  4. Siebern/Fink, S. 82f.
  5. Berlage, Kirchliche Alterthümer, S. 329ff.
  6. Algermissen (wie Anm. 6), S. 13 (nur C).
  7. Dolfen, Taufbecken, S. 25 (nur C).
  8. Müller-Hauck (wie Anm. 2), S. 6 (nur C).
  9. Ornamenta Ecclesiae (Katalog der Ausstellung des Schnütgenmuseums) Köln 1985, Bd. 1, S. 480, Abb. ebd.

Zitierhinweis:
DI 26, Stadt Osnabrück, Nr. 9 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di026g003k0000906.