Inschriftenkatalog: Stadt Osnabrück

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 26: Stadt Osnabrück (1988)

Nr. 4 Diözesanmuseum nach 1193

Beschreibung

Reliquienkasten. Eichenholz, verkleidet mit teilweise vergoldetem Silberblech. Der vor allem an den Schmalseiten stark beschädigte Kasten mit überkragender abgeschrägter Deckplatte und Sockel ist an den Längs- und Schmalseiten durch eine Rundbogenarchitektur untergliedert. Unter den je vier Bögen der Längsseiten und den je zwei Bögen der Schmalseiten befanden sich ursprünglich zwölf Apostelreliefs, von denen noch neun erhalten sind. Lediglich Petrus ist durch zwei Schlüssel gekennzeichnet, der Apostel links von Petrus hält eine Schriftrolle, die sieben anderen Figuren je ein Buch. Die Schrägen zum Deckel und zum Sockel hin sind mit Ornamentstreifen bedeckt, um den Deckel (A) wie um den Sockel (B) verlaufen Inschriftenbänder, die Schrift auf einem fein geriffelten Untergrund. Die Buchstaben waren mit dunkler Paste ausgefüllt, die nur noch an wenigen Stellen erhalten ist. Das Schriftband (A) nennt die Namen der zwölf Apostel, es läßt sich jedoch nicht mit den darunter befindlichen Figuren in Einklang bringen. Da die einzelnen Namen nicht die Bogenbreite einhalten und fortlaufend graviert sind, war eine namentliche Kennzeichnung der einzelnen Figuren wohl niemals beabsichtigt. Die Inschrift (B), die die Reliquien aufzählt, setzt sich auf dem Boden des Kastens in der Inschrift (C) fort. Diese ist weniger sorgfältig ausgeführt als die Inschriften (A) und (B), entstammt aber dem Schrifttyp nach derselben Zeit. Auf der Deckelplatte des Reliquiars säumen Ornamentstreifen die glatte Innenfläche, in die wohl zwei Elfenbeinscheiben vermutlich römischen Ursprungs eingelassen waren, von denen jedoch nur eine erhalten ist. Sie zeigt den Kopf eines Bacchanten.

Maße: H.: 12,5 cm; L.: 26 cm; T.: 14 cm; Bu.: 0,6 cm (A, B), 0,6–0,9 cm (C).

Schriftart(en): Frühe gotische Majuskel.

Sabine Wehking [1/7]

  1. A

    + PETRVS · PAVLVS · IOHANNES · IACOBUS / [PH]ILIPPVS · IACOB/USa) · ANDREASb) · TOMAS · BARTOLOMEVS · IUD/[A]S · SYMON · MAT[HEU]S /

  2. B

    + [DE] UESTIM(ENT)[ISc) · M]ARIE · PETRI · AP(OSTO)LI · CRISP[INI]d) / [CRISPINI]AN[I....]Re) [ . . . ] / I[O]HANNIS (ET)f) PAVLI · SEBASTIA[NI] · MAVRICI / [...]RIEMAG[I]g) · LAM[BERTI] /

  3. C

    + IPOLITI · ET · SOC(IORUM) · EI(US) · HERMETI/S · M(ARTY)RIS · BERNVARDI · CONFESS(ORIS)h) · FEi) / FELICITATIS · M(ARTY)R(IS)j)

Übersetzung:

Von den Kleidern ... . (B)

(Reliquien) des Hippolytus und seiner Gefährten ... . (C)

Kommentar

Die Schrift ist eine frühe gotische Majuskel, in der unziale mit kapitalen Elementen wechseln. Im Vergleich mit den Inschriften (A1) und (A2) der beiden Reliquienschreine Nr. 6 und 7 treten hier mehr unziale Buchstaben auf, die Inschriften des Reliquienkastens könnten also etwas jünger sein als die der beiden Schreine. M erscheint in kapitaler wie in unzialer, halbgeschlossener Form, E meist unzial, aber noch ohne Tendenz zum Abschluß, ebenso auch C. A tritt ausschließlich in Kapitalis auf mit ausgeprägtem Deckbalken und geradem oder gebrochenem Querbalken. Im Vergleich zu anderen Beispielen früher gotischer Majuskel in Osnabrück (Nr. 6, 7, 9) kommt U hier relativ häufig in unzialer Form vor. Der Querbalken des H ist in der Mitte ausgebuchtet. Die Schrift verweist den Reliquienkasten an das Ende des 12. Jahrhunderts. Dies entspricht auch der Datierung aus kunsthistorischer Sicht1). Der Umstand, daß unter den Reliquien auch solche Bernwards von Hildesheim genannt sind, ist für die Datierung des Reliquiars von Bedeutung. Bernward wurde im Jahr 1193 heiliggesprochen. Da das Reliquiar aus kunsthistorischen und epigraphischen Gründen auf das Ende des 12. Jahrhunderts datiert wird, bedeutet dies, daß man in Osnabrück Reliquien Bernwards kurz nach seiner Kanonisation erworben hat, denn der Erwerb von Reliquien noch vor der Heiligsprechung ist unwahrscheinlich. Das Jahr 1193 kann somit als Terminus post quem für die Entstehung des Reliquiars angesehen werden.

Textkritischer Apparat

  1. IACOBUS] S. Jacobus Witte.
  2. ANDREAS] S. Andreas Witte.
  3. UESTIM(ENT)[IS]] VLSTIM Witte.
  4. CRISP[INI]] CRIST. Berlage, Mithoff, Siebern/Fink.
  5. R] i Siebern/Fink.
  6. Tironisch.
  7. [...]RIEMAG[I]] ... ari emag ... Berlage, Mithoff, Siebern/Fink; ... IEMAG ... Borchers.
  8. Auf der Zeile steht CON, FESS9 ist in der Zeile darunter nachgetragen und durch eine Klammer eingefügt.
  9. FE] fehlt bei Berlage, Mithoff, Siebern/Fink, Witte, Schriever und Borchers. Es handelt sich wohl um einen Fehler des Graveurs.
  10. M(ARTY)R(IS)] fehlt bei Borchers.

Anmerkungen

  1. Borchers, Domschatz, S. 51.

Nachweise

  1. Berlage, Kirchliche Alterthümer, S. 320.
  2. Mithoff, S. 111.
  3. Schriever, S. 60.
  4. Siebern/Fink, S. 73f.
  5. Witte, Domschatz, S. 27.
  6. Borchers, Domschatz, S. 51.

Zitierhinweis:
DI 26, Stadt Osnabrück, Nr. 4 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di026g003k0000404.