Inschriftenkatalog: Odenwaldkreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 63: Odenwaldkreis (2005)

Nr. 308 Steinbach (Michelstadt), Schloß Fürstenau nach 1622, 1. H. 17. Jh.

Beschreibung

Gedenkinschrift auf einem Ölgemälde, das sich heute im Ostflügel des alten Schlosses befindet. Das Gemälde zeigt in der Mitte Einhard und Imma, die vor einem dunklen, mit Ornamenten verzierten Vorhang sitzen und sich die rechte Hand rechen. Einhard ist in einen mit Hermelin besetzten roten Seidenmantel gehüllt und trägt eine Krone auf dem Kopf. Imma trägt ebenfalls eine Krone sowie ein prächtiges Halsgeschmeide und ist mit einem sandfarbenen Seidenmantel bekleidet. In den Bildecken oben links und rechts schweben jeweils zwei Putten, die das erbachische Wappen Einhard und das Pseudowappen Karls des Großen Imma zuwenden. Vor dem Paar halten zwei weitere Putten eine mit Voluten verzierte Inschriftentafel, auf die mit goldgelber Farbe die Inschrift gemalt ist.

Maße: H. 119, B. 143, Bu. 1,7 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Brunhild Rittereiser) [1/2]

  1. ENHARD DER ERST HER ZV ERPACH IMMA SEIN GEMAHEL DES GROSSEN / KAYSERS KAROLI DOCHTER DISE HABEN DAS KLOSTER SELIGENSTAT / AM MAYN GEPAWEN VND GESTIFFT DO FIND MAN IR BAIDER LEBEN / VND GESCHIGHTa) BESCHRIBEN SEIND AVCH DOSELBST BEGRABEN

Wappen:
ErbachKarl der Große1).

Kommentar

Die Inschrift zeigt eine Kapitalis ohne besondere Merkmale, die sowohl in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts als auch im 17. Jahrhundert möglich ist. Die Form der Voluten, welche die Inschriftentafel zieren, spricht allerdings für eine Datierung in die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts. Das gleiche gilt für die Auffassung des Ornaments und der Seidenstoffe.2)

Die Bezeichnung Einhards als Stammvater der Grafen von Erbach läßt sich bereits in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts feststellen. Dr. Johannes Marquard aus Heidelberg, der etwa von 1518 – 1527 Erzieher und Reisebegleiter Georgs II. (Nr. 160) und Eberhards XII. von Erbach (Nr. 157) war, schenkte Georg II. eine Ausgabe der 1521 in Köln gedruckten „Vita Karoli Magni“ Einhards. In seiner auf die Rückseite des Titelblatts in lateinischen Distichen geschriebenen Widmung bezeichnete er Einhard als Schwiegersohn Karls des Großen und als Ahnherr der Familie von Erbach.3) Im Jahr 1622 stellte dann der Prior des Klosters Seligenstadt, Leonhard Colchon, eine Schrift über Michelstadt für den erbachischen Amtmann zu Breuberg, Peter Hag, zusammen.4) Sie enthielt die Urkunde, mit der Kaiser Ludwig der Fromme Einhard die Mark Michelstadt schenkte,5) sowie die übrigen im Lorscher Codex überlieferten Urkunden zu Michelstadt. Außerdem war in ihr der Bericht der Lorscher Chronik über Einhard und Imma6) sowie die von Einhard verfaßte „Translatio et miracula sanctorum Marcellini et Petri“ enthalten.7) Bei der Zusammenstellung der Schrift bediente sich der Prior der Handschriften, die in Seligenstadt vorlagen. Darauf könnte die Bemerkung der Inschrift Bezug nehmen, nach der in Seligenstadt Schriften über das Leben Einhards und Immas vorhanden waren. Möglicherweise wurde das Bild bald nach 1622 als Folge dieser Aufarbeitung der Gründungsgeschichte Michelstadts gemalt.8)

Die Auffassung, Einhard sei der Stammvater der Erbacher gewesen, war in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts allgemein verbreitet9) und wurde im Konvent des Klosters Seligenstadt weitergepflegt. Auf dem 1722 unter Abt Petrus II. errichten Marmorsarkophag Einhards wurde das Erbacher Wappen angebracht,10) und um 1760 ließ man eine Kopie des Bildes mit Einhard und Imma für das Kloster anfertigen.11)

Das Bild und seine Inschrift sind ein Beleg für das Fortleben und die Ausschmückung einer Legende, die bereits im Mittelalter ihren Ursprung hat. Gesichert ist, daß Einhard (um 770 – 840), der in Fulda ausgebildet wurde, seit 796 am Hof Karls des Großen weilte und zu seinen engsten Ratgebern gehörte. Später wirkte er auch als Berater Ludwigs des Frommen, der ihm 815 die Mark Michelstadt schenkte. Dort gründete Einhard ein Kloster, das er jedoch 828 zugunsten von Seligenstadt wieder aufgab.12) Gesichert ist auch seine Ehe mit Imma, da sie sowohl in der Urkunde Ludwigs als auch in einer Urkunde Einhards genannt wird, mit der er Michelstadt an die Abtei Lorsch schenkte.13) Daß Imma jedoch eine Tochter Karls des Großen war, ist eine Legende, die zum erstenmal in der zwischen 1170 und 1175 verfaßten Lorscher Chronik erscheint.14) Die Legende hielt sich jedoch, und ein in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts bekanntes Epitaph Einhards bezeichnete Imma ebenfalls als Tochter Karls des Großen.15)

Die Verknüpfung mit der Familie von Erbach leitet sich von der Gründung Michelstadts, das seit dem 13. Jahrhundert im Besitz der Erbacher war, durch Einhard ab. Kritisch gegenüber einer Verbindung zwischen Einhard und den Erbachern äußerte sich 1736 Schneider, da sich in den Quellen keine Nachkommen Einhards und Immas belegen lassen. Zudem wies er darauf hin, daß Imma keine Tochter Karls des Großen war.16) Trotzdem hielt Simon noch 1858 hinsichtlich der Abkunft der Erbacher von Einhard einen wahren Kern dieser Tradition für möglich.17)

Textkritischer Apparat

  1. GESCHLECHT Wolfert 57.

Anmerkungen

  1. Gespalten: vorn ein doppelköpfiger Adler, hinten drei Lilien 2:1; Karl der Große hat nie ein Adlerwappen oder überhaupt ein Wappen geführt; der Adler als königliches Wappentier erscheint erst unter Friedrich Barbarossa in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, vgl. Korn, Adler und Doppeladler 47 f.
  2. Hinweise zur kunsthistorischen Datierung verdanke ich Frau Dr. habil. Kerstin Merkel, Nassenfels.
  3. Röder, Wiederentdeckung Einhards 13 f. mit Text und Übersetzung; Wolfert 54.
  4. Simon, Geschichte 52, Anm. 1; Röder, Wiederentdeckung Einhards 17.
  5. Codex Laureshamensis I, Nr. 19, 299 f.
  6. Codex Laureshamensis I, cap. 19, 298 f.
  7. Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 15,1, Hannover 1887, 239 – 264.
  8. So schon Wolfert 57.
  9. Vgl. die Texte und Angaben bei Winkelmann, Beschreibung 166 f.
  10. Müller, Einhard-Abtei 15 und 39 mit Abb.; Wolfert 55 f. mit Abb. 1.
  11. Müller, Einhard-Abtei 5 mit Abb.; Wolfert 56 mit Abb. 4.
  12. Zu Einhard vgl. Schefers, Einhard 25 ff. und die im Sammelband Einhard, Studien zu Leben und Werk gesammelten Aufsätze.
  13. Codex Laureshamensis I, Nr. 19 und Nr. 20, 300 f.
  14. Codex Laureshamensis I, cap. 19, 298 f.; zur Abfassungszeit vgl. ebd. 17 f.
  15. Das Epitaph ist handschriftlich wohl ebenfalls von Johannes Marquard in das von ihm an Georg II. verschenkte Exemplar der „Vita Karoli Magni“ Einhards, eingetragen; es beginnt mit dem Distichon „Enhardus fueram regum qui clarus amore / Cui Caroli Magni filia nupta fuit“, vgl. Röder, Wiederentdeckung Einhards 16 mit Abb.; der Text ist auch bei Winkelmann, Beschreibung 166 (von 1697) gedruckt.
  16. Schneider, Historie 13 f.
  17. Simon, Geschichte 264 f.

Nachweise

  1. Röder, Einhards Bedeutung 11, Abb.
  2. Röder, Wiederentdeckung Einhards 17.
  3. Wolfert, Abstammung 57.

Zitierhinweis:
DI 63, Odenwaldkreis, Nr. 308 (Sebastian Scholz), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di063mz09k0030804.