Inschriftenkatalog: Odenwaldkreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 63: Odenwaldkreis (2005)

Nr. 250(†) Michelstadt, Evangelische Stadtkirche 1611

Beschreibung

Epitaph für Graf Georg III. von Erbach. Das Denkmal aus Alabaster steht innen an der Südwand des Chors. Für die Inschriftentafeln wurde Schiefer verwendet. Das Epitaph erinnert an die Form einer Ädikula. Das Hauptgeschoß besteht aus einer flachen Nische mit sehr ausgeprägten Seitenhängen sowie einem stark verkröpftem Sockel. Die Nische wird von den Figuren der Caritas mit Kind und der Fides mit Kelch flankiert. Oben ist eine Kartusche mit der Himmelfahrt Christi angebracht, auf deren Rollwerkrahmung zwei Putti mit Siegespalmen stehen. Die rechteckige Tafel darunter enthält die 14zeilige Grabinschrift (A), in der auf die Grundlinie gesetzte Quadrangel als Interpunktionszeichen und Zahlenmarkierungen dienen. Der linke Seitenhang zeigt eine Kartusche mit der Geburt Christi und darüber das Bibelzitat (B), während der rechte Seitenhang eine Kartusche mit der Auferstehung und dem Bibelzitat (C) aufweist. Beide Kartuschen werden von einem Putto getragen. Das Sockelfeld zeigt 16 nebeneinander angebrachte Wappenschilde mit Beischriften (W). Die vorspringende Mitte des Sockels ist in Form einer Tumba mit der Liegefigur des Verstorbenen gestaltet. Sie ruht in einer sorgfältig und detailliert gearbeiteten Prunkrüstung auf einem Bett. Der entblößte Kopf liegt auf einem Kissen, und die Hände sind über dem Leib gefaltet. Vor dem Unterbau der Tumba stehen drei Karyatiden, zwischen denen zwei Schiefertafeln mit den Bibelzitaten (E) und (F) sichtbar sind. Links und rechts der vorspringenden Tumba setzt sich der Unterbau fort. Er wird von zwei weiteren Karyatiden flankiert und weist auf zwei weiteren Tafeln die Bibelzitate (D) und (G) auf. Den Aufsatz bildet ein Medaillon mit einem Vollwappen, an dem links und rechts je ein Putto mit den Vanitassymbolen Sanduhr und Totenschädel ruhen. Bekrönt wird das Medaillon von einer Figurengruppe. In der erhöhten Mitte erscheint die Dreieinigkeit aus Gottvater, Christus und der Taube als Symbol des Heiligen Geistes. Etwas tiefer stehen links davon Moses mit der Gesetzestafel und rechts ein Evangelist als Verkörperungen des alten und des neuen Bundes. Links und rechts des Medaillons sitzen auf einwärts gerollten Voluten zwei Figuren, von denen die linke ein Kreuz mit der ehernen Schlange und die rechte einen Kelch trägt. Sie dienen damit ebenfalls als Symbole des alten und neuen Bundes. Die Bekrönung wurde 1807 abgebrochen, um der neuen Orgel Platz zu machen. Sie wurde in der Sakristei gelagert, und erst 1875 wurde auf Anregung Graf Eberhards von Erbach-Erbach die Wiederherstellung des Denkmals in Angriff genommen.1) Dabei sind offenbar auch die Inschriftentafeln (B)–(G) erneuert worden. Ihre schon 1736 bei Daniel Schneider überlieferten Texte blieben unverändert.

(B)–(G) nach Kopie.

Maße: B. 380, Bu. 2 (A–G), 1,6 (W) cm.

Schriftart(en): Fraktur und Kapitalis (A), Kapitalis (B, C), Fraktur (D–W).

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Thomas G. Tempel) [1/23]

  1. A

    Der Wolgeborne Herr Herr Georg Grave zv Erpach vnd Herr zv Brevberg / ist geborn den 15a) Ivlÿ ANNO. 1548. Hatt Christlich vnd Loblich regiert 36b) Iar / vnd mit Vier Gemahelin gezevget 25. Kinder Die erste ist gewesen Fraw Anna / Amalia ein geborne Grävin zv Saÿn mit deren er gezevgtc) eine Tochter Die ander / Fraw Anna ein geborne Grävin zv Solms Lavpacher linien, mit deren er ge=/zevget Sechs Söhne vnd Nevnc) Töchter, Die dritte Fraw Dorothea eine geborne / Revszin von plawen, mit deren er gezevget Einen Sohn vnd zwo Töchter, Die / vierte Fraw Maria eine geborne Grävin zv Barbÿ vnd Mvlingenc) mit dere(n) / er gezevget zwen Söhn vnd Vier Töchter, Ist in Christo Seliglich gestorben Zv / Erpach den 16. FEBRVARŸ ANNO. 1605. Seines alters · 56 · Iar · 7 · Mo(nat) I tag. / Hat diser Graueschafft nvtzlich vnd wol vorgestanden selbige mit Vielen schönen bewen / gezieret, Vnd sonderlich das Havsz Georgenbvrg zu Kleinhevbach am Maÿn von grvndvff / gantz New auszgebavet. Der Almechtige Gott verleihe ihm vnd allen Christgelavbigen / am Ivngsten Tag eine Fröliche vnd selige avfferstehvng. AMEN.

  2. B†

    WIER SAHEN SEINE HERLICHKEIT / HERLICHKEITd) ALS DES EINGEBOR/NEN SOHNS VOM VATTER VOLER / GNAD UND WARHEIT IOAN(NES) I.2)

  3. C†

    CHRISTU IST UM UNSRER SÜN/DE WILLEN DAHIN GEGEBEN UND / UM UNSRER GERECHTGKEIT / WILLEN AUFERWECKET, RÖM(ER) 5.3)

  4. D†

    Die Haupt Summe / aller Gebote ist Liebe / von reinem Herzen / guten Gewissen und / ungefärbten glauben. / 1 Timoth(eus) 1. v(ers) 5.4)

  5. E†

    Er ist aufgefahren in die / Höhe und hat das gefäng=/nis gefangen geführet / und hat den Menschen gaben / gegeben, der hinunter gefah=/ren ist der ist derselbige / der aufgefahren ist über / alle Himmel. auf dasz / Er alles erfülle. / Ephes(er) 4. v(ers) 8. 10.5)

  6. F†

    Unser Wandel ist im / Himmel, von dan(n)en wir / auch warten des Heiland / Iesu Christi des Herrn / welcher unsern nichtigen / Leib verklären wird, dasz / er ähnlich werde seinem / verklärten Leib, nach der / wirkung damit er ihm alle / Dinge unterthänige) mache. / Phi(lipper) 3.6)

  7. G†

    In Iesu gild weder / Besehneidungf) noch vor=/haut etwas, sondern der / Glaube, so durch die Liebe / thätig ist / Galat(her) 5. v(ers) 6.7)

  8. W
    Erpach Reingraff · 
    · Wertheim · · Newenburg · 
    Hag · Mörsch Sarwerden 
    · Eber[stein] · Vergi · 
    · Epstein · Salm · 
    · Weinsperg Finstingen 
    Iÿsenburg · Castro · 
    Epstein Meilandt Saphoy 
Wappen:
Erbach; Erbach, Wertheim, Fraunberg zum Haag, Eberstein, Eppstein, Weinsberg,8) Isenburg, Eppstein; Wild- und Rheingrafen zu Dhaun, Neufchâtel,9) Mörs-Saarwerden, Vergy,10) Salm, Finstingen, Castro,11) Mailand-Savoyen12).

Kommentar

Inschrift (A) zeigt eine Fraktur, deren Versalien die typischen breiten, geschwungenen Formen mit Schwellzügen und Ausziehungen am Ende der Schäfte oder Bögen sowie Schlaufenbildungen aufweisen. Auch bei den Kleinbuchstaben ist das An- und Abschwellen der Linien bei den Bögen sowie bei den Schäften von f und langem s deutlich zu erkennen. Die Bögen von a, d, g und e besitzen allerdings noch die typisch gebrochene Form der gotischen Minuskel. Die Inschriften (D), (E), (F) und (G) weisen dagegen gerundete und mit Schwellzügen ausgeführte Kleinbuchstaben auf. Auch die Versalien zeigen dort einen anderen Duktus als in der Inschrift (A). Neben der Ausführungsart der Buchstaben läßt auch die Verwendung moderner Ziffernformen erkennen, daß die Inschriften bei der Restaurierung des Denkmals 1875 erneuert wurden.

Auch die in (A) verwendete Kapitalis unterscheidet sich von jener der Inschriften (B) und (C). Die Buchstaben in (A) sind schlank und hoch. A und N sind mit Linksschrägenverstärkung ausgeführt. Die etwas unbeholfen wirkende Kapitalis der Inschriften (B) und (C) zeigt dagegen gedrungene Buchstaben mit deutlich verstärkten Bögen. A, M, N und V sind mit Linksschrägenverstärkung gebildet. Auffällig ist die Verwendung von symmetrischem U, das sonst erst im 18. Jahrhundert nachweisbar ist. Dies sowie die Verwendung moderner Ziffernformen macht deutlich, daß die Tafeln bei der Restaurierung 1875 neu geschaffen wurden.

Georg III. verstarb bereits 1605, doch nach Rechnungen aus dem Erbacher Archiv, die im Zweiten Weltkrieg vernichtet wurden, fertigte der Heilbronner Meister Erhard das Epitaph für ihn erst in den Jahren 1609 bis 1611 für 1000 Gulden.13) Ein Meister Erhard ist allerdings in Heilbronn zu dieser Zeit nicht nachweisbar. Krebs vermutete deshalb, es könne sich bei dem genannten Meister möglicherweise um Erhard Barg handeln, der Grabdenkmäler unter anderem in Hessenthal (Lkr. Aschaffenburg), Wertheim und Würzburg schuf.14) Endgültige Gewißheit in dieser Frage wird aber erst eine vergleichende stilistische Untersuchung der Denkmäler bringen.

Georg III. wurde 1548 als einziger Sohn Graf Eberhards XII. von Erbach und der Margareta Wild- und Rheingräfin zu Dhaun geboren.15) Er heiratete 1567 Gräfin Anna Amalia von Sayn, mit der er nur eine Tochter hatte, die im Säuglingsalter verstarb.16) Nach Anna Amalias Tod 1571 ehelichte Georg 1572 die Gräfin Anna von Solms-Laubach (Nr. 206). Dieser mit zahlreichen Kindern gesegneten Ehe entstammten Friedrich Magnus,17) Ludwig I., der Ritter (Nr. 298), und Johann Casimir von Erbach.18) Anna starb 1586, und im folgenden Jahr schloß Georg seine dritte Ehe mit Dorothea Reuss von Plauen (Nr. 216). Die drei Kinder aus dieser Ehe verstarben alle im Säuglingsalter.19) Nach Dorotheas Tod 1591 heiratete Georg 1592 schließlich in vierter Ehe Gräfin Maria von Barby, die erst 1619 starb und in Korbach beigesetzt wurde.20)

Da die Brüder Eberhards XII. von Erbach, Valentin II. und Georg II., kinderlos starben, konnte Georg III. 1569 alle Besitzungen der Erbacher in seiner Hand vereinigen. Er trat bei keinem Fürsten in Dienst, sondern kümmerte sich in erster Linie um seine Besitzungen. Dazu gehörte die in der Grabinschrift (A) erwähnte Erbauung der Georgenburg in Kleinheubach (Lkr. Miltenberg). In Glaubensfragen hielt Georg III. dezidiert am lutherischen Bekenntnis fest.21)

Textkritischer Apparat

  1. 5 Schneider; Schaefer 180.
  2. 30 Schneider; Schaefer 180.
  3. v mit Trema.
  4. In der Lutherbibel heißt es „seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit“.
  5. Beim zweiten t fehlt der Balken.
  6. Sic!

Anmerkungen

  1. Gräflich-Erbach-Fürstenauisches Archiv, Akten der Gräflich-Erbach-Fürstenauischen Rentkammer, Titel 1, Vol. 26, Fasc. 11, Nr. 472.
  2. Joh 1,14.
  3. Röm 4,25.
  4. 1 Tim 1,5.
  5. Eph 4,8 und 10.
  6. Phil 3,20 f.
  7. Gal 5,6.
  8. So statt Marschall von Pappenheim, vgl. Wolfert, Ahnenwappen 43.
  9. Quadriert: 1/4. ein Schrägbalken, 2/3. ein Adler.
  10. Drei Rosen (2:1).
  11. Fünf (2:1:2) Kugeln; es handelt sich um die Familie Castro aus Portugal, da Jean de Neufchâtel Margarita de Castro heiratete, vgl. Wolfert, Ahnenwappen 45; Drös, Heidelberger Wappenbuch 124, Nr. 217.
  12. Quadriert: 1/4. eine aufgerichtete Schlange, die ein Kind verschlingt; 2/3. ein Tatzenkreuz; Wappen und Beischrift stehen fälschlich statt Miolans de Savoy; die dem Ersteller der Ahnenreihe offenbar unbekannte Familie wurde zu Mailand-Savoyen verändert und ein entsprechendes Wappenbild gewählt, vgl. dazu Wolfert, Burgundische Ahnen 75 – 80 und 82 – 84, Wolfert, Ahnenwappen 50 und Drös, Heidelberger Wappenbuch 125, Nr. 219. Zur Blasonierung der Wappen der gesamten Ahnenreihe vgl. Wolfert, Ahnenwappen 40 – 50; vgl. auch Drös, Heidelberger Wappenbuch 121 f., Nr. 215 – 223, der darauf hinweist, daß die burgundischen Wappen mit ihren sehr ungenauen Beischriften in derselben Weise schon auf dem Grabmal des 1569 verstorbenen Wild- und Rheingrafen Johann Philipp in der Peterskirche in Heidelberg erscheinen, vgl. DI 12 (Heidelberg) Nr. 316; dieselbe Abfolge der Ahnenwappen mit denselben irreführenden Beischriften zu den burgundischen Wappen ist zudem auf der Stuckdecke des Johann-Casimir-Baus auf der Burg Breuberg vorhanden, so daß man dort von der Verwendung derselben Vorlage ausgehen muß, vgl. dazu Nr. 255.
  13. Klassert, Zur Geschichte der Grabdenkmäler 255.
  14. Krebs/Nikitsch, Bildhauer 93; Saur-Allgemeines Künstlerlexikon 7 (1993) 54.
  15. Europ. Stammtafeln NF V, Taf. 3.
  16. Vgl. zu ihnen Nr. 172 und Nr. 167.
  17. Vgl. Nrr. 261, 267.
  18. Vgl. Nrr. 277, 278, 279; zu weiteren Kindern aus dieser Ehe vgl. Nr. 181 und Nr. 199.
  19. Vgl. zu ihnen ebd. und Nrr. 209, 213, 214.
  20. Für Kinder aus dieser Ehe ist nur ein Begräbnis aus Michelstadt erhalten, vgl. Nr. 221.
  21. Simon, Geschichte 399 – 401.

Nachweise

  1. Schneider, Historie Abb. Taf. E.
  2. Schaefer, Kdm. 179 f. mit Abb. 94.
  3. Buxbaum, Stadtkirche 51, Nr. 44.
  4. Nikitsch, Michelstadt 144, Abb. Taf. 17.

Zitierhinweis:
DI 63, Odenwaldkreis, Nr. 250(†) (Sebastian Scholz), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di063mz09k0025005.