Inschriftenkatalog: Odenwaldkreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 63: Odenwaldkreis (2005)

Nr. 95a† Höchst, ehemaliges Augustinerinnenkloster kurz nach 1508?

Beschreibung

Gebetsinschrift und Titulus in einer Zelle des ehemaligen Konventsgebäudes. In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts wurden auf den Putzfeldern zwischen den Fachwerkbalken der Zellen für die Nonnen Wandmalereien freigelegt und zum Teil in Photographien festgehalten. Ein Bild zeigt die Verkündigung an Maria, die an einem Betpult kniet, während links vor ihr der Engel des Herrn steht, der ein Spruchband mit der Inschrift (A) in der Hand hält. Der Anbringungsort der Malerei läßt sich heute nicht mehr lokalisieren. Der Titulus (B) befand sich über dem Sturz einer später zugesetzten Tür. Rechts davon war die Geburt Christi dargestellt und links davon war möglicherweise ein Stifterbild zu sehen, dessen Hintergund den Breuberg und das Kloster Höchst zeigte.1) Sämtliche Malereien wurden nach 1956 vernichtet.

Nach Hotz (A) und Photo (B).

Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis (B).

  1. A

    Ave Maria plena graciaa)

  2. B

    IH(ESV)S · NASARE(N)VSb) / REX · IVdEORV(M)

Kommentar

Da Inschrift (A) auf dem Photo nicht zu erkennen ist und Hotz sich nicht zur Schriftart äußert, bleibt fraglich, ob sie in gotischer Minuskel oder in frühhumanistischer Kapitalis ausgeführt wurde. Die auf dem Photo gut zu erkennende Inschrift (B) zeigt eine etwas ungelenke frühhumanistische Kapitalis. Das spitze A trägt einen nach beiden Seiten überstehenden Deckbalken, das E ist zweibogig, das O ist spitzoval, und das R besitzt einen kleinen Bogen und eine gerade Cauda. Auffällig ist das Minuskel-d in IVdEORVM, da Einfügungen von Minuskelbuchstaben in Inschriften mit frühhumanistischer Kapitalis nur selten vorkommen.2)

Hotz setzte die Entstehung der Bilder aus stilistischen Gründen um 1500 an. Dem widerspricht auch der paläographische Befund nicht.3) Bis 1508 befand sich das Kloster allerdings in einer Krise, die dazu führte, daß der zuständige Abt von Fulda in diesem Jahr Höchst mit Benediktinerinnen besetzte, die den Konvent der Augustinerinnen ablösten.4) Möglicherweise steht die Ausmalung der Zellen mit dem Neuanfang der Benediktinerinnen in Zusammenhang.

Textkritischer Apparat

  1. Beginn des „Ave Maria“ nach Lk 1,28 und Lk 1,42; die Worte plena gracia sind in der Inschrift gegenüber dem „Ave Maria“ in ihrer Abfolge vertauscht; da auf dem Photo der Text nicht zu erkennen ist, bleibt fraglich, ob die Inschrift entsprechend ausgeführt war oder ob es sich um ein Versehen des Abschreibers handelt.
  2. Der zu erwartende Kürzungsstrich für das N ist durch die Beschädigungen der Malfläche nicht mehr zu sehen.

Anmerkungen

  1. Vgl. Hotz 15 – 17.
  2. Gleich zweimal wird ein Minuskel-d im Kontext der frühhumanistischen Kapitalis auf der Grabplatte des 1462 verstorbenen Bischofs Heinrich von Hewen in Konstanz verwendet, vgl. Neumüllers-Klauser, Epigraphische Schriften 322 mit Abb. 28.
  3. Vgl. Einleitung Kap. 5. 2.
  4. Simon, Geschichte 212.

Nachweise

  1. Hotz, Geschichte 17 und 15 f. (Abb.).

Zitierhinweis:
DI 63, Odenwaldkreis, Nr. 95a† (Sebastian Scholz), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di063mz09k00095a4.