Inschriftenkatalog: Odenwaldkreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 63: Odenwaldkreis (2005)

Nr. 72†? Beerfelden, Evangelische Kirche 1500

Beschreibung

Bauinschrift auf einer Tafel, die sich heute im Betsaal der Kirche befindet. Es handelt sich um einen Abguß des heute verschollenen Originals, das in dem 1810 von einem Brand zerstörten Vorgängerbau an einem Pfeiler angebracht war.1) Die erhaben gearbeiteten Buchstaben stehen in vorlinierten Zeilen. Als Worttrenner wurden Quadrangel verwendet. Unter der Inschrift ist in einem eigenen Feld ein Steinmetzzeichen (Nr. 2) in ungewöhnlicher Größe angebracht.

Nach Abguß.

Maße: H. 108, B. 64, Bu. 4,7 cm.

Schriftart(en): Kapitalis mit Elementen der frühhumanistischen Kapitalis.

  1. DEO OP(TIMO) MAX(IMO) ET DIVO / MARTINO TEMPLI HVIVS / BASIS POSITA EST SVB AL=/EXANDRO P(A)PA · VI · MAXIMI=/ LIANO RO(MANORVM) REGE · BERTOLDO / ARCHIEPISCOPO MAGV(N)TINO / ET HERASMO BARONE AC / PINCERNA IN · ERPACH ET D(OMI)NO / IN BICKENBACH ANDREAQ(VE) / PFOT BRAMBACENSE SA(CRAE) / PA(GINAE) MAGISTRO PASTORa) / ANNO CRISTI · M · CCCCC · / · V · KALENDAS MAII

Übersetzung:

Dem besten und größten Gott sowie dem heiligen Martin ist der Grundstein dieser Kirche unter Papst Alexander VI. (1492 – 1503), dem König der Römer Maximilian (1493 – 1519), dem Mainzer Erzbischof Berthold (von Henneberg, 1484 – 1504) und Erasmus, Freiherrn und Schenken zu Erbach und Herr zu Bickenbach sowie unter Andreas Pfot aus Brombach, Magister der heiligen Schrift und Pfarrer, im Jahre Christi 1500 an dem 5. Tag vor den Kalenden des Mai (27. April) gelegt worden.

Kommentar

Die gedrängt stehenden Buchstaben der Kapitalis zeigen mit wenigen Ausnahmen schmale, unklassische Proportionen. Linksschrägenverstärkungen fehlen ebenso wie ausgeprägte. Bogenverstärkungen. Das spitze A trägt einen breiten Deckbalken, der flache Bogen des D ist oben deutlich über den Schaft hinaus verlängert, das E besitzt drei gleich lange Balken, die Cauda des G ist rund, der Mittelteil des M reicht etwa bis zur Zeilenmitte, das O ist nicht kreisrund, das R ist mit einem kleinen Bogen gebildet, an dessen Schnittpunkt mit dem Schaft die gerade Cauda ansetzt, und das S zeigt weit eingebogene Bogenenden. Die Inschrift weist also bei A, D, G, R und S deutliche Einflüsse der frühhumanistischen Kapitalis auf, doch überwiegen insgesamt die Elemente der Kapitalis.2) Neben der relativ frühen Verwendung der Kapitalis fällt die sehr frühe Verwendung der Formel DEO OPTIMO MAXIMO auf, welche die Kenntnis antiker Formeln verrät.3)

Die in einem von den Zentren der humanistischen Bildung doch recht entfernten Ort wie Beerfelden ungewöhnlich erscheinenden fortschrittlichen Elemente im Formular und in der Schriftgestaltung gehen mit großer Wahrscheinlichkeit auf den Pfarrer Andreas Pfot aus Kirch-Brombach zurück. Pfot wurde 1466 in Heidelberg immatrikuliert und dort im Jahr 1472 zum Magister ernannt.4) Im Jahr 1477 wurde er zum Dekan der Artistenfakultät gewählt, und in den Jahren 1479, 1483 und 1488 war er Rektor der Universität Heidelberg.5) Als Theologieprofessor in Heidelberg lebte Pfot in einem Umfeld, das für neue Strömungen offen war. Auf welche Weise Pfot konkret die aus Italien nach Deutschland vordringende Kapitalis kennenlernte, läßt sich allerdings nicht mehr feststellen.6) Pfot starb 1503 und wurde in der Heiliggeistkirche zu Heidelberg begraben.7)

Der von Pfot angeregte Kirchenbau, zu dem er selbst etwa 300 Gulden beisteuerte,8) wurde nach Ausweis des unter der Inschrift befindlichen Meisterzeichens von einem Meister gebaut, der gemeinsam mit Konrad von Mosbach 1490 an der Kirche von Michelstadt (Nr. 62) tätig war. Das Zeichen dieses Meisters erscheint 1493 auch an der Kirche von Reichelsheim (Nr. 67).9)

Textkritischer Apparat

  1. Sic statt PASTORE.

Anmerkungen

  1. Schneider 278 und 351; Schaefer 5.
  2. So fehlen das für die frühhumanistische Kapitalis typische unziale D, das zweibogige E, das M mit schräggestellten Schäften und kurzem Mittelteil sowie das sogenannte byzantinische M; in Mainz läßt sich die Kapitalis zuerst 1484 nachweisen, vgl. DI 2 (Mainz) Nr. 206, der aber die nächste reine Kapitalisinschrift erst 1504 folgt, vgl. DI 2 (Mainz) Nr. 278; dazwischen sind noch zwei Inschriften in frühhumanistischer Kapitalis vorhanden, deren Entstehungsdatum nicht genau bekannt ist, vgl. DI 2 (Mainz) Nr. 1 und Nr. 1014; in Worms stammt die erste Kapitalisinschrift von 1488, vgl. DI 29 (Worms) Nr. 316; in Heidelberg läßt sich die erste reine Kapitalis erst 1508 belegen, vgl. DI 12 (Heidelberg) Nr. 194, doch sind in Dossenheim zwei Inschriften aus der Zeit nach 1485 vorhanden, die ähnlich der Beerfeldener Inschrift eine Kapitalis mit Einflüssen der frühhumanistischen Kapitalis aufweisen, vgl. DI 12 (Heidelberg) Nrr. 138 f.
  3. Vgl. Neumüllers-Klauser 324.
  4. Toepke, Matrikel I 320 und II 406.
  5. Toepke Matrikel II 410 und I 360, 372, 390.
  6. Steiger, Grundsteinlegungsinschrift 12 f.
  7. Klauser 343; DI 12 (Heidelberg) Nr. 182.
  8. Klauser 344.
  9. Vgl. dazu Hotz, Spätgotik 56 und Krebs, Baugeschichte 46 und 52.

Nachweise

  1. Schneider, Historie 278 und 351.
  2. Schaefer, Kdm. 5.
  3. Klauser, Zinsregister 329 f.
  4. Neumüllers-Klauser, Epigraphische Schriften Abb. 34.
  5. Steiger, Grundsteinlegungsinschrift der Martinskirche 17 f.
  6. Steiger, Grundsteinlegungsinschrift 10.

Zitierhinweis:
DI 63, Odenwaldkreis, Nr. 72†? (Sebastian Scholz), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di063mz09k0007205.