Inschriftenkatalog: Odenwaldkreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 63: Odenwaldkreis (2005)

Nr. 10 Michelstadt, Evangelische Stadtkirche E. 13./A. 14. Jh./(1304?)

Beschreibung

Grabplatte eines unbekannten Ritters. Die Platte aus rotem Sandstein liegt heute innen in einer Nische der Nordwand der Sakristei. Im Feld befindet sich ein abgearbeitetes Wappen, das an einem noch erhaltenen Band aufgehängt ist. Die Inschrift läuft auf dem Rand zwischen Linien um. Als Worttrenner dienen Kreuze und Punkte. Der Stein ist vor allem im unteren Teil stark abgetreten, wodurch auf der unteren Leiste Textverlust eingetreten ist.

Maße: H. 200, B. 79, Bu. 5 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Thomas G. Tempel) [1/8]

  1. + ANNO + DO/MINI + MILLESIMO + CC IIII + O(BIIT) + / [...]CI[...]LIN / + MILES · DE · HOCHHE(IM)a) · IN OCT(AV)A MICHAHEL(IS)

Übersetzung:

Im Jahr des Herrn 1204 starb NN., Ritter von Hochheim, am achten Tag nach Michaelis (6. Oktober).

Wappen:
unkenntlich.

Kommentar

Die Majuskel ist vom Wechsel zwischen kapitalen und unzialen Buchstaben geprägt. Das A ist einmal als unziales und zweimal als vollrundes A gestaltet. Das unziale M erscheint in der links geschlossenen Form. Auch das E kommt nur in der unzialen Form vor, während D und N stets als Kapitalbuchstaben erscheinen. H ist in beiden Varianten vorhanden. Beim unzialen H ist das in Höhe der Grundlinie nach rechts umknickende Bogenende mit einer leichten Schwellung ausgezogen. Die Buchstaben zeigen mit Bogenschwellungen und Schaftverbreiterungen typische Merkmale der gotischen Majuskel. Zudem sind C und E stets durch Abschlußstriche geschlossen.

Die Buchstabenformen passen nicht zu dem in der Inschrift genannten Todesjahr 1204. Die Maulbronner Bauinschrift von 12011) oder die Würzburger Inschrift über die Ablösung des Meßpfennigs von 12122) lassen keine derartig ausgeprägten Merkmale der gotischen Majuskel erkennen, wie sie hier vorliegen. In beiden Fällen fehlen Schaftverbreiterungen, und Bogenschwellungen sind nur in der Würzburger Inschrift im Ansatz vorhanden. In beiden Inschriften fehlt zudem noch die Abschließung von C und E. Diese fehlt auch noch auf der Platte des 1279 verstorbenen Konrad Schenk von Erbach (Nr. 6) aus der bei Michelstadt gelegenen Einhards-Basilika in Steinbach.3) Erst die ebenfalls aus Steinbach stammende Grabplatte des 1296 verstorbenen Johannes I. Schenk von Erbach (Nr. 8) zeigt geschlossenes unziales E, jedoch noch kein geschlossenes C.4) Dies läßt sich im Bearbeitungsgebiet erst auf der Platte für die 1304 verstorbene Agnes von Erbach (Nr. 11) nachweisen.

Ein weiteres Argument gegen die Entstehung der Platte im Jahr 1204 ist die Verwendung des Heiligenkalenders statt des römischen Kalenders für die Tagesangabe. Die Verwendung des Heiligenkalenders kommt in deutschen Inschriften erst im Laufe des 13. Jahrhunderts auf5) und läßt sich im Bearbeitungsgebiet zum erstenmal 1310 (Nr. 12) nachweisen. Im benachbarten Heidelberg stammt der erste Beleg für die Verwendung des Heiligenkalenders auf einer Grabplatte erst von 1334,6) während eine Wormser Grabplatte eine entsprechende Datierung schon im Jahr 1300 aufweist.7) Belege für den Anfang des 13. Jahrhunderts fehlen jedoch.

Auch die Darstellung eines an einem Band aufgehängten Wappenschildes erscheint für 1204 sehr früh, da sich diese Form sonst erst in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts nachweisen läßt. Allerdings sind Grabplatten mit Wappen grundsätzlich schon im späten 12. Jahrhundert nachweisbar.8)

Alle angeführten Beobachtungen sprechen gegen eine Entstehung der Platte im Jahr 1204 und weisen auf eine Fertigung gegen Ende des 13. oder zu Beginn des 14. Jahrhunderts hin. Es stellt sich fast unweigerlich die Frage, ob der Steinmetz nicht ein C in der Jahreszahl vergessen haben könnte. Falls dies nicht der Fall ist, muß es sich um eine nachträgliche Verewigung eines früher verstorbenen Familienmitglieds handeln. Um welche Familie von Hochheim es sich handeln könnte, läßt sich aber aufgrund des zerstörten Wappens und des verstümmelten Namens des Ritters nicht mehr feststellen.9)

Textkritischer Apparat

  1. Unter dem kapitalen H am Anfang des Wortes steht im Feld ein unziales H oder ein rundes N.

Anmerkungen

  1. DI 22 (Enzkreis) Nr. 3 mit Abb. 2.
  2. DI 27 (Würzburg) Nr. 25 mit Abb. 15.
  3. Auch die Platte für Heinrich Gribarius von 1289 aus Heidelberg weist noch kein geschlossenes C auf, vgl. DI 12 (Heidelberg) Nr. 11 mit Abb.
  4. Allerdings ist geschlossenes C in dieser Zeit nicht mehr ungewöhnlich, vgl. DI 12 (Heidelberg) Nrr. 12 f. von 1290 und 1291.
  5. Glaser/Bornschlegel, Datierungen 541 f.
  6. DI 12 (Heidelberg) Nr. 37.
  7. DI 29 (Worms) Nr. 51; ein Wormser Maßgefäß weist die Datierung nach dem Heiligenkalender bereits 1278 auf, vgl. DI 29 (Worms) Nr. 49.
  8. Drös, Heraldik fränkischer Adelsgrabmäler 64 mit Abb. 1; die dort erwähnte Grabplatte des Konrad von Sulz in der Comburger Schenkenkapelle zeigt allerdings einen mandelförmigen Schild.
  9. Man könnte hier an die Wormser Patrizierfamilie Dirolf denken, die in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts in den Ritterstand aufstieg und deren Mitglieder dann als Ritter von Hochheim erscheinen, vgl. Gensicke, Ritter Dirolf 224 – 226; Beziehungen nach Michelstadt lassen sich hier jedoch nicht nachweisen.

Nachweise

  1. Nikitsch, Michelstadt 118, Nr. 47 mit 148 Abb. Taf. 21.

Zitierhinweis:
DI 63, Odenwaldkreis, Nr. 10 (Sebastian Scholz), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di063mz09k0001009.