Inschriftenkatalog: Odenwaldkreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 63: Odenwaldkreis (2005)

Nr. 5 Steinbach (Michelstadt), Einhards-Basilika 2. H. 12. Jh.

Beschreibung

Grabplatte eines Unbekannten. Die Platte aus rotem Sandstein wurde 1934 in einem Stall südlich der Basilika gefunden und steht heute innen an der Nordwand des Langhauses. Das Grabgedicht beginnt in der Mitte der oberen Leiste und läuft zwischen Linien um. Zur Kennzeichnung der Versenden dienen Strichpunkte. Das Feld ist unbearbeitet.

Maße: H. 186, B. 79,5, Bu. 4 cm.

Schriftart(en): Romanische Majuskel.

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Thomas G. Tempel) [1/1]

  1. + QUI SOLVSa) MI/SERV(M) MVNDAS DE CRIMINE SECLVM1) ·QVEM TEGIT HEC PETRA I/VBEAS EVADERE CV/NCTA ·MORTIS SUPPLICIA S(AN)C(T)IS ET VIUERE PRESTAHIC QVOb) C(VNC)TISc) FUE/RAT SPESd)

Übersetzung:

Der du allein die elende Welt von der Schuld reinigst, befehle doch, daß der, den dieser Stein bedeckt, allen Strafen des Todes entrinnt und gewähre ihm, mit den Heiligen zu leben, du, durch den hier Hoffnung für alle gewesen war.

Versmaß: Drei leoninische Hexameter, 1 einsilbig rein, 2 und 3 einsilbig unrein gereimt; ein katalektischer iambischer Dimeter.

Kommentar

Die Inschrift ist in Scriptura continua ausgeführt. Neben den kapitalen Formen kommen A, D, E, M, Q und U auch als Unzialbuchstaben vor. Das ohne Deckbalken gebildete kapitale A zeigt eine ausgeprägte Trapezform. Das unziale A in EVADERE ist mit einem rechtsschrägen Mittelbalken gebildet, der beim A in PETRA nur angedeutet oder verstümmelt ist. Das C wird sowohl in runder als auch in eckiger Form verwendet. Der Mittelteil des kapitalen M reicht bis zur Zeilenmitte. Neben dem symmetrischen unzialen M, dessen Bögen unten nach außen gebogen sind, ist in CRIMINE auch ein links geschlossenes unziales M vorhanden. Die Cauda des R ist oft nur leicht geschwungen. Die Sporen an den Schaft-, Bogen- und Balkenenden sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nur schwach ausgeprägt. Merkmale der gotischen Majuskel fehlen vollständig. Deutliche Parallelen im Schriftduktus sind zur Inschrift der Judda in Michelstadt zu erkennen, doch ist die Schriftausführung im vorliegenden Fall unbeholfener. Auf der Platte für Judda ist das kapitale A allerdings weniger stark trapezförmig, und die Bögen des symmetrischen unzialen M sind unten nach innen gebogen.2) Hingegen zeigt der Godefridusstein aus St. Peter in Bubenheim (Pfalz) von 1163 ein ähnlich breites kapitales A, das allerdings einen Deckbalken trägt.3) Der Bubenheimer Stein weist aber noch eine ganze Reihe weiterer vergleichbarer Buchstabenformen auf, wie etwa das unziale A mit Mittelbalken, das unziale D, das eingerollte G, das kapitale M mit dem bis zur Zeilenmitte reichenden Mittelteil und das linksgeschlossene unziale M. Auch das um 1165 entstandene Daniel-Relief im Wormser Dom zeigt bei A und M ähnliche Formen4) und ist ebenso wie der Godefridusstein in seinem ganzen Schriftduktus mit der Steinbacher Inschrift vergleichbar. Letztere kann aufgrund der genannten Parallelen in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts eingeordnet werden, wobei eine Entstehung im dritten Viertel des 12. Jahrhunderts durchaus möglich ist.

Der erste Hexameter verarbeitet das aus dem Johannesevangelium abgeleitete „Agnus Dei“.5) Zu diesem gab es im Mittelalter zahlreiche in Hexametern abgefaßte Tropen, die jedoch hier nicht als Vorlage gedient haben. Lediglich eine nicht hexametrische Trope, die in einer St. Galler Handschrift aus dem 10. Jahrhundert überliefert ist, zeigt in der Wortwahl „mundans nostra crimina“ eine gewisse Parallele zu dem Grabgedicht.6) Die im ersten Hexameter angesprochene Erlösungstat Christi ist die Grundlage für die Bitten in den beiden folgenden Hexametern. Im Bewußtsein, daß kein Mensch aus eigener Kraft in den Himmel gelangen kann, ergeht die Bitte an Christus, dem Verstorbenen die Strafen des Fegefeuers zu erlassen und ihm das Leben bei den Heiligen, also im Paradies, zu gewähren.7) Der letzte Vers, ein katalektischer iambischer Dimeter, drückt den Gedanken, daß Christus die Hoffnung für alle Menschen ist, in ungewöhnlicher Weise im Plusquamperfekt aus, während er sonst stets im Präsens erscheint. Ebenfalls ungewöhnlich an der Inschrift ist das Fehlen des für die Memoria wichtigen Namens des Verstorbenen sowie seines Sterbetags.

Textkritischer Apparat

  1. S klein hochgestellt und nach links geneigt.
  2. V über das Q gestellt.
  3. Für die Auflösung von CTIS zu C(VNC)TIS fehlt ein Parallelbeleg. Naheliegender wäre die Auflösung zu C(ER)TIS, was jedoch keinen Sinn ergibt.
  4. HIC QU .. TIS FUERAT SP(IRITU) Beeh-Lustenberger 272.

Anmerkungen

  1. Anlehnung an Joh 1,29: „Ecce agnus Dei, ecce qui tollit peccatum mundi“; vgl. auch Jungmann, Missarum sollemnia II 420.
  2. Vgl. Nr. 4 mit ausführlichem paläographischem Kommentar.
  3. Böcher, Kunst Nr. 58, 277 f. mit Abb. 142.
  4. DI 29 (Worms) Nr. 21 mit Abb. 8.
  5. Vgl. oben Anm. 1.
  6. Tropen des Missale I 394, Nr. 444.
  7. Zum Hintergrund vgl. Angenendt, Theologie 129 f.; Scholz, Totengedenken 47.

Nachweise

  1. Hauptstaatsarchiv Wiesbaden 1163 – 871 a (Abzeichnung).
  2. Beeh-Lustenberger, Grabdenkmäler 272, Nr. I,2 mit Abb. Taf. 121.

Zitierhinweis:
DI 63, Odenwaldkreis, Nr. 5 (Sebastian Scholz), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di063mz09k0000506.