Inschriftenkatalog: Odenwaldkreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 63: Odenwaldkreis (2005)

Nr. 2 Erbach, Schloß, aus Steinbach (Michelstadt), Einhards-Basilika 1119 – 1135

Beschreibung

Nischengrab für den Propst Libelinus. Das Grabmal wurde angeblich „1819 nach langer Verschollenheit“1) im Schutt des 1568 abgebrochenen südlichen Seitenschiffs2) des Klosters Steinbach gefunden, doch waren eine Ansicht des Grabmals sowie der Text der Inschrift bereits 1736 durch Schneider ediert worden.3) Von Steinbach wurde das Denkmal in das Erbacher Schloß verbracht, wo es heute in der Einhardskapelle aufgestellt ist. Die aus rotem Sandstein gefertigte kastenförmige Tumba, die von einer Platte verschlossen wird, steht in einer Rundbogennische, deren Bogen auf zwei die Tumba flankierenden Säulen ruht. Über dem Bogen befindet sich ein profiliertes Abschlußgesims, das die einzeilige Inschrift trägt. Als Worttrenner dienen runde Punkte. Die Vorderseite der Tumba zeigt eine Folge von drei Rundbögen, die außen auf gedrehten und in der Mitte auf glatten Säulen ruhen. Die Säulen stehen auf einem abgetreppten Sockel. Die Zwickel der Bögen sind mit Palmetten gefüllt.

Maße: H. 170, B. 133, Bu. 4,5 cm.

Schriftart(en): Romanische Majuskel.

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Brunhild Rittereiser) [1/4]

  1. · + LIBELINO · HO(MIN)I · DEI · + ·

Übersetzung:

Für Libelinus, den Mann Gottes.

Kommentar

An der sehr sorgfältig ausgeführten Majuskel fallen die ausgeprägten Bogenverstärkungen sowie die kräftigen Sporen an den Schaft- und Balkenenden auf. Schaftverbreiterungen sind nicht vorhanden. E und H werden in der unzialen Form verwendet, wobei das H mit seinem weit nach rechts ausgreifenden Bogen sehr entwickelt erscheint. Der Schrägschaft des N ist leicht eingezogen, und das O ist nicht kreisrund. Durch die Bogenverstärkungen und die kräftigen Sporen besitzen die Buchstaben eine deutlich andere Ausprägung als jene auf der Grabplatte des 1119 im Kloster Steinbach bestatteten Abtes Benno von Lorsch (vorangehende Nr.). Allerdings ist in den Bogenverstärkungen der Libelinusinschrift noch kein Hinweis auf die Bogenschwellungen der gotischen Majuskel zu sehen, sondern hier wird der Einfluß von Buchstabenformen des 11. Jahrhunderts sichtbar, die vielfach dieselben kräftigen Bogenverstärkungen zeigen.4) Auch in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts lassen sich ausgeprägte Bogenverstärkungen in sicher datierten Inschriften nachweisen, so etwa in der Trierer Weiheinschrift aus der Bantuskapelle von 1124,5) in der kurz nach 1142 entstandenen Grabinschrift für den Legaten Ivo im Trierer Dom6) sowie in der Weiheinschrift der Trierer Paulinuskirche von 1148.7) Die Inschriften von 1124 und 1142 weisen zudem ein vergleichbares unziales H auf. Auch das 1135 auf der Mainzer Domtür angebrachte Adalbert-Privileg zeigt bei vielen Buchstaben kräftige Bogenverstärkungen sowie ein in der Ausführung ähnliches unziales H. Die paläographischen Merkmale der Inschrift widersprechen einer Datierung in die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts also nicht.

Libelinus war Propst der zum Kloster Lorsch gehörenden Propstei Michelstadt. Er geriet mit Abt Benno von Lorsch in Konflikt, weil er gegen dessen Willen bei Kaiser Heinrich V. die Zerstörung der Burg Weinheim durchsetzte. Die Burg war auf einem zur Propstei gehörenden Gelände gebaut worden, das zuvor als Weingarten gedient hatte und der Propstei durch Kaiser Heinrich IV. zur freien Verfügung übertragen worden war.8) Um Libelinus zu bestrafen, zog der Abt wohl im Jahr 1119 nach Michelstadt, doch starb er dort kurz nach seiner Ankunft. Libelinus wird danach in den Quellen nicht mehr erwähnt, und erst 1135 erscheint in einer Urkunde Rehewinus als Propst von Michelstadt.9) Libelinus muß demnach zwischen 1119 und 1135 gestorben sein.

Das aufwendige Nischengrab für den Propst stellt eine Besonderheit im Denkmälerbestand des Bearbeitungsgebiets dar. Die in Deutschland seltenen Nischengräber wurden zur Bestattung von Königen und von Personen genutzt, die in besonderer Weise mit der betreffenden Kirche verbundenwaren.10) Bei Libelinus könnte der Grund für das aufwendige Grabmal im Konflikt mit dem Lorscher Abt liegen. Möglicherweise sollte Libelinus, der so energisch für die Wahrung der Rechte der Propstei eingetreten war, in besonderer Weise verewigt werden.

Anmerkungen

  1. Schaefer 262.
  2. Vgl. dazu Ludwig, Baugeschichtliche Zusammenfassung 82.
  3. Schneider 261 mit Abb. Taf. VII.
  4. Vgl. etwa die Weiheinschrift der Nikolauskapelle des Wormser Doms von 1058 in DI 29 (Worms) Nr. 11 mit Abb. 3; vgl. auch die Beispiele bei Scholz, Gemalte Inschriften 33 ff. und dort den Hinweis auf die ebenfalls mit breiten Bogenverstärkungen ausgeführten Auszeichnungsschriften in den Handschriften des 11. Jh.; vgl. dazu auch Koch, Wege zur gotischen Majuskel 239 f.
  5. Fuchs, Weiheinschriften 34 – 36 mit Abb.
  6. Vgl. dazu Fuchs, Fromme Männer 101 mit Abb. 1.
  7. Fuchs, Weiheinschriften 38 f. mit Abb.
  8. Codex Laureshamensis I, cap. 143 a, 423; Simon, Geschichte Urk. Nr. I; vgl. auch bei der vorangehenden Nr.
  9. Simon, Geschichte Urk. Nr. II.
  10. Vgl. den knappen Überblick bei Bickel, Bedeutung des mittelalterlichen Nischengrabes 117 f.

Nachweise

  1. Schneider, Historie 261 mit Abb. Taf. VII – Dahl, Beschreibung 295.
  2. Schaefer, Kdm. 262 mit Abb. 135.
  3. Beeh-Lustenberger, Grabdenkmäler 274, Nr. II,1 mit Abb. Taf. 121.

Zitierhinweis:
DI 63, Odenwaldkreis, Nr. 2 (Sebastian Scholz), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di063mz09k0000209.