Inschriftenkatalog: Stadt Minden
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 46: Stadt Minden (1997)
Nr. 2(†) Staatsbibliothek Berlin 2. H. 10. Jh., nach 1036?
Hinweis: Die vorliegende Online-Katalognummer ist im Vergleich zum gedruckten Band mit Ergänzungen und Korrekturen versehen. Sie finden diese am Ende des Artikels. [Dorthin springen]
Beschreibung
Buchdeckel. Holz und Elfenbein. Nach der Beschreibung im Domschatzinventar von 1683 trug der Buchdeckel in jeder Ecke einen in Silber gefaßten Bergkristall.1) Die Jüngere Bischofschronik beschreibt einen mit Gold, Edelsteinen und Elfenbein verzierten Bucheinband.2) In der Mitte des Buchdeckels, der zu der Handschrift Staatsbibliothek Berlin SPK, Ms. theol. lat. qu. 3 gehört, ein heute noch erhaltenes oben rundbogig abgeschlossenes Elfenbeinrelief, das den Mittelteil eines ehemaligen Triptychons darstellt. Das Relief zeigt den thronenden Christus, zu beiden Seiten seines Kopfes die Namensbeischrift A. Links und rechts über dem Thron Büsten von Maria und Johannes mit Namensbeischriften (B, C), darüber im Bogen die Büsten der Erzengel Michael und Gabriel mit übereinander angebrachten Namensbeischriften zwischen den Köpfen der Figuren (D). Alle Inschriften eingeschnitten. Oberhalb des Elfenbeinreliefs befand sich im 17. Jahrhundert noch eine Inschrift (E), die heute verloren ist.
Inschrift E nach der Jüngeren Bischofschronik.
Maße: H.: 17,5 cm; B.: 12 cm; Bu.: 0,25–0,4 cm (Elfenbeinrelief).
Schriftart(en): Griechische Großbuchstaben (A–D).
- A
I(HCOY)C X(PICTO)C
- B
MH(TH)P Θ(EO)V
- C
A(ΠOCTOΛOC)a) Iω(ANNHC) / O / ΠP/OΔ/P(OMOC)
- D
MIXAHΛ ΓABPIHΛ
- E
[Condidit istud opus Sigibertus praesul amandus]
Übersetzung:
Mutter Gottes. (B)
Der Apostel Johannes, der Vorläufer. (C)
Dieses Werk hat der liebenswerte Bischof Sigebert gestiftet. (E)
Versmaß: Einsilbig gereimter leoninischer Hexameter. (E)
Textkritischer Apparat
- Das Α ist in einen Kreis eingeschrieben.
Anmerkungen
- Schroeder, Domschatzinventar, S. 22.
- Jüngere Bischofschronik, S. 133.
- Goldschmidt/Weitzmann, Elfenbeinskulpturen, Bd. 2, Nr. 55, S. 42.
- Kat. Ornamenta Ecclesiae, Bd. 1, B 6, S. 155; Ruth Meyer, Die Miniaturen im Sakramentar des Bischofs Sigebert von Minden. In: Studien zur Buchmalerei und Goldschmiedekunst des Mittelalters, Festschrift Karl Hermann Usener, hg. v. F. Dettweiler, H. Köllner, P. A. Riedl, Marburg 1967, S. 181–200.
- Jüngere Bischofschronik, S. 131–134.
- Staatsbibliothek Berlin SPK, Ms. germ. qu. 42.
- Ebd., Ms. theol. lat. qu. 3.
Nachweise
- Jüngere Bischofschronik, S. 133 (E).
- Goldschmidt/Weitzmann, Elfenbeinskulpturen, Bd. 2, Nr. 55, S. 42 (B), Abb. Tafel XXIII.
- Schroeder, Domschatzinventar, S. 22, Nr. 6, Abb. S. 21.
Addenda & Corrigenda (Stand: 22. Juni 2020):
Die Auflösung der ersten Kürzung in Inschrift C ist zu korrigieren:
-
C
A(ΓΙΟC) Iω(ANNHC) / O / ΠP/OΔ/P(OMOC)
Übersetzung:
Der heilige Johannes, der Vorläufer (Christi). (C)
Kommentar Für den Hinweis danke ich Dr. Jörg Bölling, Göttingen.1)
Anmerkungen
- 1.Vgl. Jörg Bölling, Zwischen Regnum und Sacerdotium – Historiographie, Hagiographie und Liturgie der Petruspatrozinien im Sachsen der Salierzeit (1024–1125). Ostfildern 2017 (Mittelalterforschungen Bd. 52), S. 167.
Zitierhinweis:
DI 46, Stadt Minden, Nr. 2(†) (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di046d003k0000203.
Kommentar
Die Elfenbeintafel wird aus kunsthistorischen Gründen in die zweite Hälfte des 10. Jahrhunderts datiert.3) Die Handschrift, ein Evangelistar, gehört zu den von dem Mindener Bischof Sigebert (1022–1036, vgl. dessen Grabplatte Nr. 11) in Auftrag gegebenen Handschriften, als deren Entstehungsort man Bamberg, nicht Minden, annimmt.4) Wenn die Aufstellung in der Jüngeren Bischofschronik zuverlässig ist, stiftete Bischof Sigebert neun Handschriften für den Mindener Dom, die alle mit kostbaren, in Gold, Silber und Elfenbein verzierten Buchdeckeln versehen waren (vgl. Nr. 3–5).5) Inschrift E, die auf den Stifter der Handschrift verweist, wiederholte sich auf einem heute nicht mehr erhaltenen Buchdeckel eines Epistolars (vgl. Nr. 5). Das Epitheton amandus legt die Vermutung nahe, daß diese Inschrift erst nachträglich nach dem Tod Sigeberts angebracht wurde. Sicher ist dies allerdings nicht nachzuweisen, zumal die an Herrscherbilder erinnernden Darstellungen des Mindener Bischofs in einem Elfenbeinrelief auf einem der von ihm gestifteten Buchdeckel6) und auf dem Widmungsblatt der dazugehörigen Handschrift7) den Schluß zulassen, daß es diesem bei seinen Stiftungen in erheblichem Maße um Selbstrepräsentation ging.