Inschriftenkatalog: Stadt Minden

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 46: Stadt Minden (1997)

Nr. 166 St. Martini 1. V. 17. Jh.

Beschreibung

Epitaph des Heinrich Bulle. Sandstein, farbig gefaßt. Das mehrteilige Epitaph hängt an der Südwand des Kirchenschiffs vor dem Chor. Im Mittelteil in einem rundbogigen Feld eine Darstellung des Jüngsten Gerichts, oben in den Bogenzwickeln zwei Engelsfiguren. Inschrift A in der Bekrönung, Inschrift B auf einer Schrifttafel unter dem Mittelteil. Durch zwei auf einem Gesims stehende Säulen, vor denen links die Figuren des Verstorbenen mit einem Sohn, rechts die der Ehefrau mit zwei Töchtern stehen, wird das mittlere Relief von zwei hochrechteckigen Relieftafeln an den Seiten getrennt, die den Sündenfall und die Vertreibung aus dem Paradies zeigen. Den äußeren Abschluß dieser Zone bildet – wiederum durch jeweils eine Säule von den Relieftafeln getrennt – Knorpelwerk mit je einem Engelskopf darin. Auf dem vorspringenden Gesims über den beiden äußeren Säulen links und rechts ein Wappenschild. Über dem mittleren Gesims, das in einem Bogen zurückspringt, ein Relief, das das Opfer Abrahams darstellt und von zwei Säulen eingefaßt wird. Links und rechts außen je eine weibliche Figur. Auf einem weit vorspringenden und in der Mitte in einem Bogen zurückweichenden Gesims darüber links und rechts je eine sitzende weibliche Figur, in der Mitte eine von zwei geflügelten Wesen umgebene spitzovale Kartusche mit der Inschrift A, die die Bekrönung des Epitaphs bildet. Unterhalb des Mittelteils gerahmt von zwei mit Engelsköpfen und Putten besetzten Vorsprüngen eine querrechteckige Tafel mit der Inschrift B. An dem Gesims darüber außen links und rechts je ein kleiner Wappenschild unterhalb der beiden äußeren Säulen. Den unteren Abschluß bildet mit grotesken Figuren und Früchten besetztes Ornamentwerk, das ein Medaillon einschließt, darin im Flachrelief die Darstellung des Jonas, den der Walfisch ausspeit. Die Inschriften sind erhaben gehauen und farbig gefaßt.

Maße: H.: ca. 420 cm; B.: ca. 270 cm; Bu.: ca. 3–7 cm (A); 2,5–4 cm (B).

Schriftart(en): Kapitalis.

Sabine Wehking [1/3]

  1. A

    DEO / TER OPTIMO / VIRTUTI(S)a) DOCTRINAE / MEMORIAE SACRVM / VIATOR / QVI TRANSIS HOC / IN LOCO STA PAVLVM / QVIS HIC / SEPULT(US) / QVAE/RIS?

  2. B

    HOC SUB TUMULO RESERVATUR SED PARTEM NOREb), SUI, / HENRICUS BULLAEUS MINDANUS: / PIIS QVIDEM ET HONESTIS NATUS PARENTIBUS, SED GENUS ET / PROAVOS NON IACTAVIT · IN MUSARUM SINU ENUTRITUS EST, QUAE / DEO SIC VOLENTE, ILLI OMNEM PEPEREREc) FORTUNAM ET AD / DIGNITATIS, ET HONORIS SOLSTITIUM EVM GRADATIM EIEXEREd). / MAGISTERII GRADU DONATUS EST · POST REIPUB(LICAE) PATRIAE A / SECRETIS FUITe). ET SYNDICUS EIUS FACTUS · POSTEA / V(TRIUSQUE) I(URIS)f) DOCTORIS TITULUM IN ACADEMIA ROSARUM IN:/AUGURATIONE PUBLICA SUMPSIT: ET CUM CONSU:/LIS IANI REINEKINCKS FILIA BEATA IN CONIUGIVM SE / DEDITg). CUM QVA SINE OFFENSA VIXIT AC EX EA LI:/BEROS TRES PROCREAVIT · DEINCEPS CONSUL PATRIAE / CREATUS, POSMODUMh) COMITIS OLDENBUR/GIACI, ET DENIQ(UE) EPISCOPI MINDENSIS CANCELLARIUS CON/STITUTUSi)

Übersetzung:

Dem dreimal besten Gott im Gedenken an die Kraft der Lehre geweiht. Wanderer, der du vorübergehst, bleib ein Weilchen an dieser Stelle stehen. Wer hier begraben ist, fragst du? (A) Unter diesem Hügel ist der Mindener Heinrich Bulle verwahrt – aber doch nur ein Teil von ihm (?) –, und zwar stammte er von frommen und ehrenvollen Eltern ab, aber mit seiner Familie und seinen Vorfahren hat er sich nicht gebrüstet. Im Schoße der Musen wurde er aufgezogen, die ihm – weil Gott es so wollte – alles Glück erworben haben und ihn auf den Gipfelpunkt des Ansehens und der Ehre Schritt für Schritt emporführten. Er wurde mit dem Magistergrad beschenkt, und später war er Geheimsekretär seiner Vaterstadt und wurde zu ihrem Syndikus gemacht. Danach erwarb er den Titel eines Doktors beider Rechte in einer öffentlichen Feier an der Universität Rostock und heiratete Beata, die Tochter des Ratsherrn Jan Reineking, mit der er ohne Streit lebte und mit der er drei Kinder hatte. Darauf wurde er zum Ratsherrn seiner Heimatstadt gewählt, später wurde er zum Kanzler des Grafen von Oldenburg und schließlich des Mindener Bischofs bestimmt. (B)

Wappen:
Bulle1)Reineking?2)
?3)?4)

Kommentar

Heinrich Bulle immatrikulierte sich im Februar 1567 an der Universität Köln,5) wo er vermutlich den Magistertitel erwarb, und im Mai 1574 an der Universität Rostock. Seine in der Inschrift erwähnte Promotion zum Doktor beider Rechte fand dort am 22. Juli desselben Jahres statt.6) Nach Stiff verstarb Heinrich Bulle im Jahr 1615.7) Dieses Todesjahr paßt jedoch nicht recht zu der Angabe in der Leichenpredigt seines 1589 geborenen Sohnes, wonach Heinrich Bulle schon zu dessen Jugendzeit verstorben ist.8) Das Epitaph wird dem Bildhauer Adam Stenelt zugeschrieben.9) Daraus ergibt sich die Datierung, da Stenelts Hauptwerke im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts entstanden sind.

Textkritischer Apparat

  1. VIRTUTI(S)] Unsichere Lesung.
  2. NORE] Sic! Der Sinn ist unklar, wohl falsche Ausführung.
  3. PEPERERE] PERPERERE St. Martini.
  4. EIEXERE] Sic! Fehler in der Ausführung, eigentlich EREXERE.
  5. FUIT] FULT St. Martini.
  6. V(TRIUSQUE) I(URIS)] VI (als Zahlzeichen aufgefaßt) St. Martini. Entsprechend dort die Übersetzung.
  7. DEDIT] DEBIT St. Martini.
  8. POSMODUM ]Sic! Irrtümlich für POSTMODUM.
  9. Die letzten acht Buchstaben stehen in der Zeile darüber und sind durch einen Schlängel als zur letzten Zeile gehörig gekennzeichnet.

Anmerkungen

  1. Hausmarke Bulle (M13).
  2. Wappen Reineking? (zwei Lilien).
  3. Wappen ? (drei Fische pfahlweise).
  4. Wappen ? (Herz mit drei daraus hervorwachsenden Blumen).
  5. Matrikel Köln, Bd. 4, S. 50, Nr. 689,188.
  6. Matrikel Rostock, Bd. 2, S. 182a u. S. 183.
  7. Stiff, Stenelt, S. 65. Es ist jedoch nicht klar, welcher Quelle sie das Todesdatum entnommen hat.
  8. Leichenpredigt für Anton Bulle, verfaßt v. Werner Leidenfrost, gedr. Hannover 1654, SuUB Göttingen, 4° Conc. fun. 13/21.
  9. Lange, Bildhauerkunst, S. 16, u. Stiff, Stenelt, S. 65f.

Nachweise

  1. St. Martini, S. 53 u. 55, Abb. S. 54.

Zitierhinweis:
DI 46, Stadt Minden, Nr. 166 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di046d003k0016602.