Inschriftenkatalog: Stadt Minden

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 46: Stadt Minden (1997)

Nr. 81 Dom 1551

Beschreibung

Epitaph des Dompropstes Thomas von Halle. Sandstein. Der hochrechteckige Stein, der vor dem Zweiten Weltkrieg im Kreuzgang hing,1) ist heute an der Nordwand im Querschiff des Domes angebracht. Im Flachrelief ist der Verstorbene in einer der Renaissance-Architektur entsprechenden Nische unter dem seitlich in den Hintergrund verschobenen Kreuz kniend dargestellt.2) Zwischen seinem Kopf und dem Kreuz ein gewundenes Schriftband mit der Inschrift A. Zu Füßen des Kreuzes ein großer Wappenschild mit hoher Helmzier, der die untere Hälfte des Kreuzes verdeckt. Über der Nische ein an den Enden eingerolltes Schriftband mit der Inschrift B, das von zwei auf dem seitlichen Gesims sitzenden Putten gehalten wird. Das untere Drittel des Steins nimmt die Inschrift C ein, die auf einem von zwei Putten an den oberen Ecken gehaltenen Tuch steht. Die Buchstaben aller Inschriften sind erhaben gehauen.

Maße: H.: 208 cm; B.: 123,5 cm; Bu.: 4,5 cm (A), 5 cm (B, C).

Schriftart(en): Kapitalis mit Elementen der frühhumanistischen Kapitalis.

Sabine Wehking [1/1]

  1. A

    · MISERERE · MEI · DEVS · MEVS · SECVND(VM) ·3)

  2. B

    SI · PIETAS · SI · SA(N)CTA · FIDES ASCENDIT OLIMPV[M]HIC CORPVS TEGITVR SPIRITVS ASTRA TENET

  3. C

    D(OMI)NO THOMAE DE HALLE VIRO MAGNIFICO HVIVS CHATE/DRALIS ECCL(ES)IAE · P(RAE)P(OSI)TO · DIGNISS(IMO) QVEM INIMICI CONTRA / IVS · FASQ(VE) IN OPPIDO NIEMBVRGK PER DECENNIVM CAPTI/VVM TENVERVNT AD POSTREMVM · AVXILIO FRATRIS / LIBERATO · (ET) · QVADRIENNIO POST · VITA FVNCTO AMICI / MOESTISS(IMI) POS(VERVNT) · DECESSIT ANNO SALVT(IS) M · D · LI · XVIIIJ / [K]ALEN(DAS) FEBR(VARII)4) DVODECIMA AETATIS SVAE OLIMPIADE

Übersetzung:

Mein Gott, erbarme dich meiner gemäß (deiner Barmherzigkeit). (A)

Wenn die Frömmigkeit, wenn der heilige Glaube zum Olymp emporsteigt, dann liegt hier nur der Körper begraben – der Geist aber erreicht die Sterne. (B)

Dem Herrn Thomas von Halle, einem hochherzigen Mann, dem hochwürdigen Propst dieses Domes, den Feinde gegen das Recht und die heilige Ordnung in der Stadt Nienburg zehn Jahre lang gefangen hielten, der schließlich durch die Hilfe seines Bruders befreit wurde und vier Jahre später starb, haben seine hochbetrübten Freunde (dieses Denkmal) gesetzt. Er starb im Jahr des Heils 1551 am 19. Tag vor den Kalenden des Februar im Alter von 60 Jahren. (C)

Versmaß: Ein elegisches Distichon (B).

Wappen:
Halle5)

Kommentar

Die von Soenke6) vorgenommene Zuschreibung des Epitaphs an den Baumeister Jörg Unkair entbehrt jeder Grundlage, zumal nicht erwiesen ist, ob dieser jemals als Bildhauer gearbeitet hat (vgl. Nr. 73). Auch die von Soenke beobachtete Ähnlichkeit des Schriftduktus mit den Inschriften einer Gruppe verschiedener Stücke, zu denen die Mindener Beischlagwangen Nr. 73 und das Samsonrelief (Nr. 76) gehören, läßt sich nicht nachvollziehen. Während es sich bei der Inschrift des Samsonreliefs um eine frühhumanistische Kapitalis mit breit und unregelmäßig gestalteten Buchstaben handelt, weisen die Inschriften des Halle-Epitaphs eher schlanke und entsprechend der Qualität des Epitaphs gleichmäßig ausgeführte Kapitalisbuchstaben auf. Allerdings gibt es auch hier noch vereinzelte Elemente der frühhumanistischen Kapitalis wie die ausgebuchteten Querbalken zweier H in der ersten Zeile der Inschrift C und die leicht spitzoval geformten O.

Thomas von Halle fungierte in der Zeit von 1529 bis 1550 als Propst des Mindener Domes. Die in der Grabschrift erwähnte langjährige Gefangenschaft des Dompropstes bezieht sich auf die Fehde der Brüder Franz und Thomas von Halle mit dem Grafen Jobst von Hoya, während der Thomas von Halle im Jahr 1537 in Gefangenschaft der Grafen von Hoya geriet. Er wurde auf der Burg Rahden, dem Pfandbesitz seines Bruders Franz von Halle, gefangengenommen und erst zehn Jahre später mit militärischer Gewalt durch seinen Bruder befreit, den Herzog Heinrich der Jüngere von Braunschweig unterstützte.7)

Anmerkungen

  1. Ledebur, Denkmäler, S. 7.
  2. Laut Soenke (Unkair, S. 18) stellt das Relief den Dompropst in einem Verließ unter dem Kreuz dar. Angesichts der prachtvollen architektonischen Gestaltung der Nische, der in den Vordergrund gerückten Figur des Verstorbenen im vollen Ornat und der beträchtlichen Größe des Wappenschildes kann diese Interpretation nur als völlig aus der Luft gegriffen bezeichnet werden.
  3. Ps. (G) 50,3. Zu ergänzen zu SECVNDVM MISERICORDIAM TVAM.
  4. 14. Januar.
  5. Wappen Halle (Schrägbalken mit drei Rosen belegt). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 6, Abt. 4, S. 25 u. Tafel 18.
  6. Soenke, Unkair, S. 17.
  7. Vgl. dazu Piel, Chronicon, S. 126f., u. Neukirch, Renaissanceschlösser, S. 80.

Nachweise

  1. Ledebur, Denkmäler, S. 7.
  2. Von der Horst, Denkmäler, S. 59.
  3. Soenke, Unkair, S. 18 (Abb.).

Zitierhinweis:
DI 46, Stadt Minden, Nr. 81 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di046d003k0008104.