Inschriftenkatalog: Stadt Minden

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 46: Stadt Minden (1997)

Nr. 59 Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Kunstgewerbemuseum 1487

Beschreibung

Chormantelschließe.1) Silber, teilweise vergoldet. Die Chormantelschließe wurde noch im Jahr 1683 als zum Besitz des Mindener Domes gehörig aufgeführt.2) Zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist sie in der Königlichen Kunstkammer zu Berlin nachweisbar, 1876 gelangte sie in den Besitz des Kunstgewerbemuseums Berlin.3) Die durchbrochene Vorderseite der runden Kapsel ist eingefaßt von einem Kettenband, einer mehrfachen Profilierung sowie einer Bogenkante mit nach innen aufgesetztem Blütenornament. Dieser Umrahmung ist eine spätgotische dreiachsige Nischenarchitektur vorgeblendet. In der Mitte in einer Nische mit zwei durchbrochenen Maßwerkfenstern unter einem Baldachin die sitzende Figur des Petrus mit Schlüssel, Buch und Tiara. In den etwas tiefer gesetzten, ebenfalls von Baldachinen bekrönten Nischen links und rechts Gorgonius mit Schwert und Rüstung sowie Mauritius mit Fahnenlanze und Schwert. Unterhalb der drei Nischen drei kleinere Felder, darin links und rechts in einem Rundbogen je eine Rosette, in der Mitte eine kniende Stifterfigur in geistlicher Kleidung und einer mit Troddeln besetzten Almucia. Die silberne Rückseite der Kapsel ist plastisch als große Rosette gestaltet. Oben verläuft in zwei gravierten geschwungenen Schriftbändern mit aufgerollten Enden die Inschrift A, dazwischen die Meistermarke des Goldschmieds (M2) mit seiner Initiale (B). Auf der Zarge der Kapsel in zwei Teilen die Inschrift C, dazwischen graviertes Rankenornament. Die Worttrenner der Inschrift A sind als kleine Ranken ausgeführt, die Worttrenner der Inschrift C sind in Form von Paragraphenzeichen gestaltet.

Maße: Dm.: 14 cm; H.: 14,6 cm; T.: 3,3 cm; Bu.: 0,25 cm (A, B), 0,45 cm (C).

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

Sabine Wehking [1/6]

  1. A

    Reineke · · vam · dressche · gholtsmed · // mindens(is)

  2. B

    r

  3. C

    · Anno · d(omi)nj · Mo · cccco · lxxxvijo a) · albertusb) · de · letelen · // Canonicus · eccle(s)ie · mindensis · dedit · hoc · monile · req(ui)escat · i(n) · pace ·

Übersetzung:

Im Jahr des Herrn 1487 gab Albert von Leteln, Kanoniker der Mindener Kirche, dieses Schmuckstück. Er ruhe in Frieden. (C)

Kommentar

Die zwei Linien des Mittelbandes der Inschrift A sind vorgraviert und die Buchstaben darin eingefügt worden, was den gitterartigen Charakter der gotischen Minuskel verstärkt. Die i der Inschrift C tragen mit Ausnahme der Jahreszahl i-Punkte. Die Jahreszahl, die bisher alternativ mit 1484 oder 1487 angegeben wurde, kann nur als 1487 gelesen werden, da die zweite Haste der auf Mo · cccco · lxxxo folgenden Zahlbuchstaben unten deutlich nach links umgebrochen ist und diese daher eindeutig als vij zu transkribieren sind. Die große Sorgfalt, mit der die Buchstaben der Inschrift ausgeführt worden sind, spricht dagegen, daß hier ein Fehler bei der Gravierung unterlaufen sein könnte.

Albert von Leteln war vermutlich der Sohn der Arndeke von Leteln und ein Enkel des um 1400 amtierenden Mindener Bürgermeisters Albert von Leteln (vgl. a. Nr. 56).4) Im Jahr 1436 immatrikulierte er sich an der Universität Köln; in der Matrikel ist er als clericus Mindensis eingetragen.5) Seit dem Jahr 1451 ist Albert von Leteln als Archidiakon von Pattensen genannt.6) 1452 wurde er in dieser Eigenschaft und als Kanoniker des Mindener Domes von Nikolaus von Kues mit der Untersuchung einer Präbendenübertragung an das Bistum Minden beauftragt.7) Im September des Jahres 1483 lieh Albert von Leteln dem Stift St. Marien, als dessen Kirchherr er bezeichnet wird, Geld zum Bau des Kirchturmes.8) Letztmalig wird er lebend am 28. September 1483 urkundlich erwähnt.9) Im November 1485 ist der Bruder des Albert, Dethard von Leteln, als dessen Testamentsvollstrecker genannt.10) Da der Nekrolog des Klosters St. Mauritii einen Eintrag enthält, wonach Albert von Leteln am 19. September verstorben ist,11) kommt als Todesdatum nur dieser Tag in den Jahren 1484 oder 1485 in Frage.12) Die auf der Chormantelschließe angegebene Jahreszahl 1487 kann sich demzufolge nicht auf den Zeitpunkt der Stiftung der Schließe, sondern nur auf deren Übergang in den Besitz des Domes beziehen. Ob die Jahreszahl 1487 auch gleichzeitig die Fertigstellung des Stücks bezeichnet, läßt sich nicht klären, da sich die Schließe bereits vor dem Tod des Albert von Leteln in dessen Besitz befunden haben kann. Allerdings erscheint das Stück so prachtvoll, daß es wohl nur von einem Bischof, nicht jedoch von einem Kanoniker getragen werden konnte, auch wenn letzterer offenbar eine bedeutende Position in der Mindener Kirche verkörperte. Die Chormantelschließe wird daher aufgrund einer Verfügung des Albert von Leteln noch zu dessen Lebzeiten oder nach seinem Tod in Auftrag gegeben und dem Dom gestiftet worden sein. In jedem Fall bedeutet die sonst vor allem in Grabinschriften vorkommende Fürbitte requiescat in pace, daß der Stifter zum Zeitpunkt der Ausführung der Inschrift verstorben war. Auch dem Kloster St. Mauritii gegenüber zeigte sich Albert von Leteln großzügig. Im Nekrolog von St. Mauritii ist eine Stiftung des Domherrrn verzeichnet, die aus Geldzuwendungen und Büchern bestand. Dem Nekrologeintrag zufolge stifteten die Testamentsvollstrecker Alberts noch einmal 20 Florin zur Anschaffung von neuen Dalmatiken.13)

Der in der Künstlerinschrift auf der Schließe genannte Goldschmied Reineke van dem Dresche war in Minden ansässig. Urkundlich wird er hier in den Jahren 1462 und 1479 erwähnt, in letzterem Fall zusammen mit seiner Frau Geseke.14) Die Chormantelschließe ist die einzige Arbeit, die sich dem Mindener Goldschmied sicher zuweisen läßt.15)

Textkritischer Apparat

  1. lxxxvijo] lxxxiiiio Krohm/Suckale, lxxxviiiio Heppe.
  2. albertus] Das a ist etwas größer ausgeführt als die übrigen Minuskelbuchstaben.

Anmerkungen

  1. Inv. Nr. K3876.
  2. Schroeder, Domschatzinventar, S. 28, Nr. 17.
  3. Krohm/Suckale, Goldene Tafel, S. 124.
  4. In einer Urkunde aus dem Jahr 1471 (KAM, Stadt Minden A III, Nr. 131) wird Albert von Leteln als Sohn der Arndeke von Leteln bezeichnet; der Vorname seines Vater läßt sich anhand der Urkunden nicht sicher verifizieren.
  5. Matrikel Köln, Bd. 1, S. 383, 189,15.
  6. StA Münster, Minden, St. Martini, Urkunden, Nr. 178.
  7. Ebd., Nr. 184.
  8. StA Münster, Minden, St. Marien, Urkunden, Nr. 82.
  9. Ebd., Nr. 84.
  10. StA Münster, Minden, St. Martini, Urkunden, Nr. 249.
  11. StA Münster, Msc. VII, Nr. 2718, fol. 23r.
  12. Die Angabe bei Krohm/Suckale (Goldene Tafel, S. 122), Albert von Leteln sei im Jahr 1483 verstorben, ist falsch. Auch die anderen bei Krohm/Suckale angegebenen Lebensdaten Alberts von Leteln lassen sich anhand der in den Archiven in Münster und Minden liegenden Urkunden nicht verifizieren.
  13. StA Münster, Msc. VII, Nr. 2718, fol. 23r.
  14. StA Münster, Minden, St. Martini, Urkunden, Nr. 275 u. 307. Die Angabe bei Krohm/Suckale (Goldene Tafel, S. 124), Reineke van dem Dresche sei in Minden erstmals im Jahr 1456 nachzuweisen, beruht auf einer Verwechslung mit einem in diesem Jahr und auch später verschiedentlich urkundlich erwähnten Meinheitsvorsteher und Richter aus der Mindener Familie Goltsmed, der denselben Vornamen trägt wie der Goldschmied.
  15. Bei einer 1928 aus Privatbesitz verkauften und später in Keyport, New Jersey (USA) befindlichen kleinen Büste eines Bischofs, die unter dem Sockel exakt dieselbe Künstlersignatur trägt wie die Chormantelschließe (vgl. Thomas Michels, Eine Büste des 15. Jahrhunderts aus Minden ... In: Dom und Rathaus, S. 123–127), handelt es sich um eine Fälschung (vgl. Mitteilungen des Museenverbandes 1929, Nr. 598). Für den freundlichen Hinweis danke ich Herrn Prof. Dietrich Kötzsche (Berlin) und Herrn Prof. Johann Michael Fritz (Heidelberg).

Nachweise

  1. Ludorff, Kunstdenkmäler, S. 78.
  2. Rosenberg, Merkzeichen, Bd. 2, S. 311, Nr. 3416 (A, B).
  3. Kat. Kunst und Kultur, Bd. 2, Nr. 328, S. 617.
  4. Fritz, Goldschmiedekunst, S. 308 (C), Abb. 878.
  5. Heppe, Goldschmiedekunst, S. 426, Nr. 36.
  6. Krohm/Suckale, Goldene Tafel, S. 122 (C), S. 124 (A, B).

Zitierhinweis:
DI 46, Stadt Minden, Nr. 59 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di046d003k0005909.