Inschriftenkatalog: Stadt Minden

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 46: Stadt Minden (1997)

Nr. 16† Dom 1251

Beschreibung

Glocke. Sie hing bis zum Zweiten Weltkrieg im obersten Stockwerk des Westwerks. Am 28. März 1945 wurde sie durch einen Bombenangriff zerstört. Der Mantel der Glocke war schlicht, die Kronenöhre trugen außen Flechtbänder.1) Um die Schulter verlief zwischen zwei Stegen eine Inschrift, die in einer Durchzeichnung überliefert ist.2)

Inschrift nach der Durchzeichnung.

Maße: Dm.: 130 cm; Bu.: 5,5–6 cm.3)

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

Reproduktion nach: Albert Ludorff, Die Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Minden, Münster 1902, S. 79. [1/1]

  1. + ANNO · DOMINI · MILLESIMO · DVCENT(ESIMO) · L · I · A · IACOBO · FUSA · SV(M) P(RO)CVRANTE GERARDOa)

Übersetzung:

Im Jahr des Herrn 1251 bin ich von Jacobus gegossen worden auf Veranlassung von Gerhard.

Kommentar

Die Durchzeichnung der Mindener Glockeninschrift zeigt, daß die Inschrift in gotischer Majuskel sehr sorgfältig gestaltet war. Die Buchstaben wiesen Bogenschwellungen und keilförmige Verdickungen der Hastenenden auf. Viele der Schäfte waren mit Nodi verziert; in die Bogenschwellungen waren Zierelemente in Form von Punkten, Querstrichen oder Bogenlinien eingepaßt. Die Ausführung der einzelnen Buchstaben variiert: Neben kapitalem M stand unziales M in offener Form mit beidseitig nach außen umgebogenen Bogenenden wie auch mit geschlossenem linken Bogen; rundes E in P(RO)CVRANTE mit abgeknicktem oberen Bogenende; trapezförmiges A mit breitem Deckbalken sowie gebrochenem Querbalken; in FUSA pseudounziales A mit nach links überstehendem Deckbalken und gebogener linker Haste; der Bogen des R offen und eingerollt. Die Haste des letzten I in DOMINI war in der Mitte als Spitze nach rechts ausgezogen. Die Feststellung von Peter4), die Buchstaben der Inschrift seien fadenförmig und nur schwach erhaben gewesen, läßt sich anhand der Durchzeichnung nicht nachvollziehen, die sich in nichts von den Durchzeichnungen der anderen Mindener Glocken unterscheidet.

Der Name des Glockengießers, Jacobus, läßt sich keinem bekannten Gießer sicher zuordnen. Es ist jedoch nicht völlig auszuschließen, daß es sich um den französischen Glockengießer Jacobus de Croisilles handelte, der vermutlich 1262 eine Glocke für St. Peter in Aachen goß und im Jahr 1266 eine Glocke für den Osnabrücker Dom.5) Da beide Glocken nicht mehr erhalten sind, können keine Vergleiche über die Ausführung der Inschriften angestellt werden. Gewisse Anhaltspunkte könnte allenfalls die ohne großes Bemühen um genaue Wiedergabe angefertigte Aufzeichnung der Osnabrücker Glockeninschrift geben.6) Übereinstimmungen zwischen den beiden Inschriften bestehen in dem Kreuz, dessen keilförmig verbreiterte Balkenenden beidseitig ansetzende eingerollte Zierstriche tragen, sowie in den als drei Punkte übereinander ausgeführten Worttrennern. Eine weitere Parallele findet sich in den in beiden Inschriften vorkommenden A mit breitem Deckbalken und gebrochenem Querbalken. Allerdings sind die C und E in der Osnabrücker Nachzeichnung mit einem Abschlußstrich versehen, auf der Mindener Glocke waren sie hingegen offen.

Über den in der Inschrift neben dem Glockengießer Jacobus genannten Gerhard ist nichts bekannt. Vermutlich handelte es sich um ein Mitglied des Domkapitels, das die Glocke in Auftrag gab.7) In den Urkunden läßt sich 1239 bis 1253 ein Mitglied des Domkapitels namens Gerhard nachweisen,8) in den Jahren 1255–61 ein Domkantor Gerhard, der aller Wahrscheinlichkeit nach mit dem 1261 amtierenden Dekan gleichen Namens identisch ist.9)

Textkritischer Apparat

  1. Der erste Worttrenner als Punkt, der zweite als Doppelpunkt, alle weiteren Worttrenner als drei übereinander gestellte Punkte ausgeführt.

Anmerkungen

  1. Beschreibung nach der Abbildung bei Peter, Geläute, S. 112.
  2. WAfD Münster, Durchzeichnungen von Glocken.
  3. Angaben nach der Glockenkartei 1918 und nach der Durchzeichnung, beides WAfD Münster.
  4. Peter, Geläute, S. 112.
  5. DI 32 (Aachen), Nr. 9, u. DI 26 (Osnabrück), Nr. 10.
  6. StA Osnabrück, Rep. 100, Abschn. 332, Nr. 12, fol. 3.
  7. Die Vermutung Christian Dolfens (Das Taufbecken des Domes zu Osnabrück. In: Osnabrücker Mitteilungen 72, 1964, S. 25–37, hier S. 36f.), es habe sich bei dem inschriftlich genannten Gerhard um den Zulieferer des Glockenmaterials gehandelt, entbehrt jeder Grundlage.
  8. Dräger, Domkapitel, S. 65; WUB 6, Nr. 321, 349, 597.
  9. Dräger, Domkapitel, S. 68.

Nachweise

  1. Durchzeichnung, WAfD Münster.
  2. Ledebur, Denkmäler, S. 12.
  3. Kratz, Glocken, S. 189 u. Tafel nach S. 192.
  4. Kayser, Schatzkammer, Heft 1, S. 5.
  5. Walter, Glockenkunde, S. 181.
  6. Ludorff, Kunstdenkmäler, S. 79 (Abb.).
  7. Krins, Geläut, S. 1.
  8. Peter, Geläute, S. 112 (Abb.).

Zitierhinweis:
DI 46, Stadt Minden, Nr. 16† (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di046d003k0001607.