Inschriftenkatalog: Mergentheim (Landkreis)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 54: Landkreis Mergentheim (2002)

Nr. 62 Laudenbach (Stadt Weikersheim), Weikersheimer Torturm („Herkelsturm“) 1476

Beschreibung

Bauinschrift und Wappentafel der Herren von Finsterlohr. Außen an der Nordseite des Rundturms in Höhe des dritten Geschosses eingemauert. Hochrechteckige Wappentafel mit reliefiertem und farbig gefaßtem Vollwappen, darunter hochrechteckige Sandsteinplatte mit zeilenweise eingehauener Inschrift; unten in der Mitte Stz. nr. 4. Verwittert; bei wiederholten Restaurierungen wurde die Schrift offenbar nachgearbeitet und zuletzt mit schwarzer Farbe nachgezogen, wobei zahlreiche Irrtümer unterliefen1. Zu beiden Seiten des Steinmetzzeichens wurde in modernen Ziffern die Jahreszahl 1456 (!) eingehauen und ebenfalls schwarz ausgemalt.

Maße: H. ca. 100, B. ca. 80, Bu. ca. 6 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versal.

© Heidelberger Akademie der Wissenschaften [1/1]

  1. Anno · a chr(ist)ia) · natiuitateb) · / · 1 · 4 · 7 · 6 · / inchoatum · est · hoc · opus · / sub · dominio · nobilium · / ville · tuṇc̣c) · viuentibus ·d) / wilhelmo · et wiperto · can(onicis) · / eccl(esi)e · herb(ipo)l(e)n(sis)e) · tum · et · / gotfrido · et · joh(ann)e · petroq(ue) · / de vinsterloe · genitis · / armigeris ·

Übersetzung:

Im Jahr nach Christi Geburt 1476 ist dieses Werk begonnen worden unter der Herrschaft der Adligen des Dorfs, von denen damals am Leben waren Wilhelm und Weiprecht, Domherren der Würzburger Kirche, sowie auch Gottfried, Johann und Peter von Finsterlohr, Edelknechte.

Wappen:
Finsterlohr.

Kommentar

A hat einen breiten, beidseitig weit überstehenden Deckbalken und einen geknickten Mittelbalken. Die Schriftformen der Gemeinen lassen sich aufgrund der irritierenden Übermalung auf die große Entfernung nicht zuverlässig untersuchen. An der Fahne des r ist offenbar regelmäßig ein unten eingerollter Abstrich angehängt, daneben erscheint zweimal Bogen-r mit rechtwinklig gebrochenem „Bogen“. Als Worttrenner stehen paragraphzeichenförmig ausgezogene Quadrangeln. Auffällig ist die ungeschickte Verteilung der Schrift: Um Wörter nicht trennen zu müssen, nahm der Steinmetz an den Zeilenenden zum Teil große Lücken in Kauf.

Der Torturm war Teil der Laudenbacher Dorfbefestigung. Zwei weitere Tortürme wurden 1832 bzw. 1878 abgebrochen2. Als Bauherren nennen sich in der Inschrift unter Verwendung eines ungewöhnlichen Formulars die Herren von Finsterlohr, denen es in den 1380er Jahren gelungen war, die gesamte Ortsherrschaft an sich zu bringen. Die genannten Familienmitglieder scheinen jeweils die Ältesten der verschiedenen Familienzweige gewesen zu sein, die sich die tatsächliche Ausübung der Ortsherrschaft teilten. Die unzureichende Aufarbeitung der Finsterlohr-Genealogie3 ermöglicht keine eindeutige Identifizierung aller Genannten. Wilhelm von Finsterlohr, Sohn des Kunz, Mitstifters der Vikarie an der Laudenbacher Bergkirche, war Würzburger Domherr. 1448 wurde er Domizellar, 1491 ist er als Kantor bezeugt, ab 1493 war er Senior des Kapitels. Er starb 15014. Weiprecht, Sohn Peters d. J., stammt aus einem jüngeren Zweig der Familie. Auch er war Domherr in Würzburg und starb 15175. Er hatte einen Bruder Peter, doch ist der inschriftlich Genannte des Namens wohl eher sein Vetter, Sohn des Kunz († 1456), der 1486 im Besitz von drei Vierteln des Schlosses und der Hälfte des Dorfs Laudenbach war6. Johann gehört der auf Albrecht d. J. zurückgehenden Linie an, er war ein Sohn Götz’ von Finsterlohr und starb 14927. Sein Vater ist bereits 1468 gestorben und kann daher nicht der Gotfridus der Bauinschrift sein. Biedermann führt keinen weiteren Träger dieses Namens auf, doch erwähnt er, daß Kunz, der Vater des Domherrn Wilhelm, „noch mehrere Brüder“ hatte, die er nicht namentlich nennt8. Für einen Angehörigen dieser älteren Linie der Familie spricht auch, daß Gottfried an erster Stelle der drei Nichtgeistlichen aufgeführt ist.

Textkritischer Apparat

  1. Nomen sacrum xpi mit Kürzungsstrich. Das Fahnenquadrangel des x wurde bei der Restaurierung irrtümlich zum Worttrenner umfunktioniert und mit oben und unten angesetzten Zierlinien versehen.
  2. a Xristi natu OAB Mergentheim.
  3. Befund durch die falsche Ausmalung verunklärt. Der letzte Buchstabe ist als e nachgemalt, über die Haste davor ist ein i-Punkt gemalt.
  4. Die gesamte Zeile nach OAB Mergentheim unleserlich.
  5. Buchstabenbestand durch Bemalung verunklärt. Die gängigen Abkürzungsformen in Inschriften des 15. Jahrhunderts waren herbip(olensis) und herb(ipole)n(sis); vgl. die zahlreichen Beispiele in DI 27 (Stadt Würzburg I). Für die hier vorgeschlagene Lesung kann ich bislang keine inschriftliche Parallele finden.

Anmerkungen

  1. Vgl. OAB Mergentheim (1880) 608: „leider durch die Restauration zum Theil unleserlich gemacht“.
  2. Ebd. Zur Architektur und Wehrfunktion des „Herkelsturms“ vgl. Walther-Gerd Fleck, Die Befestigungen von Niederstetten – Beschreibung und Baugeschichte, in: 650 Jahre Stadt Niederstetten 385–403, hier: 402.
  3. Maßgeblich nach wie vor Biedermann, Altmühl, tab. CCXLVI–CCL.
  4. Vgl. DI 27 (Stadt Würzburg I) nr. 384†.
  5. Biedermann, Altmühl, tab. CCXLVIII.
  6. Ebd.
  7. Ebd. tab. CCXLIX.
  8. Ebd. tab. CCXLVII.

Nachweise

  1. Muntsch, Laudenbach 4 (nur erwähnt, zu 1467).
  2. OAB Mergentheim 608.

Zitierhinweis:
DI 54, Landkreis Mergentheim, Nr. 62 (Harald Drös), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di054h014k0006204.